Wie die Akustik in der Elbphilharmonie wirklich ist
Der Artikel über die Akustik der frisch eröffneten Elbphilharmonie auf Platz 24, Block I, Reihe 4 von meinem lieben Kollegen Manuel Brug hat nicht allen geschmeckt. Aber wer hatte eigentlich behauptet, dass die Akustik auf jedem Platz dieses neuen Konzertsaals gleich gut ist? (Ich könnte jetzt googeln, möchte ich aber nicht. Ich muss noch in die Bücherei und habe nicht zu viel Zeit.) Wenn jemand direkt hinter dem Schlagwerk sitzt, dann hört er vor allem eins: Schlagwerk. Das bleibt nicht leise aus.
Am vergangenen Montag, den 23. Januar im Jahre 2017 nach Christo, unserem Herrn, war ich nun höchstselbst in der Elbphilharmonie. Ingo Metzmacher dirigierte die Wiener Philharmoniker. Weberns sechs Orchesterstücke op. 6, Hartmanns erste Sinfonie (mit Gerhild Romberger als Alt-Solistin) und Schostakowitschs „Ölfte“ (wie „wir“ hier in Berlin sagen) standen auf dem Programm. Genau meins. Da traf es sich gut, dass ich für die Konzerteinführung um 19.00 Uhr im Großen Saal zuständig war. Das war mit Abstand die Konzerteinführung mit den meisten Zuhörern in meinem gar nicht mehr so jungen Leben.
Die Akustik scheint mir besonders in den Frontalsitzbereichen grandios zu sein. Und zwar ohne jegliche Abstriche. Einzig bleibt die Tatsache, dass man tatsächlich so viel von jedem einzelnen Instrument hört, wie vermutlich in keinem anderen Saal der Welt. Auch vermeintliche „Fehler“. Aber hey: An dem Abend spielten die Wiener Philharmoniker – und Ingo Metzmacher ist nun auch nicht als jemand bekannt, der als Orchesterleiter die Zügel schleifen lässt.
Nein, das Ganze war einfach ein perfekter Abend, den ich niemals vergessen werde. Nicht „perfekt“ im Sinne entmenschlichter musikalisch-technisch perfekter Präzision. Sondern, was die Intensität des Musizierens angeht.
Ich saß nach der Pause auch auf dem (vermutlich) besten Platz: Platz 6, Block A, Reihe 13. Nicht nur akustisch sehr attraktiv. Auch vom Komfort her. Sozusagen die Business Class unter den Elbphilharmonie-Plätzen. Denn das ist einer jener Sitze, der fast doppelt so breit ist wie ein normaler Sitz. Intern spricht man angeblich von „Love Seats“. Diese Plätze befinden sich an bestimmten „Krümmungsstellen“ in der Elbphilharmonie. Und an genau so einer Stelle saß ich. Leicht rechts vom Orchester (von mir aus gesehen) – in der letzten Reihe des ersten frontalen Blocks vor dem Orchester.
Wie ist also die Akustik dort?
Unglaublich! Man hört das Schnarren des Kontrafagotts auf lustvollste Weise. Dieses erdig-surrende Brummen. Und das Ganze nicht nur als „Verdopplung“ der anderen Fagotte, sondern als eigenständige Klangquelle.
Man hört die Kontrabässe, die herrlich samtig-tief tragen. Ähnlich wie in der Berliner Philharmonie, aber mit dem Unterschied, dass sie im Tutti-Fortissimo immer noch zu hören sind. Ja, der Klang erhebt sich in der Elbphilharmonie ohnehin aus den Bassbereichen eines Orchesters. Stark, körperlich, substantiell, aber nicht, nein: wirklich nie dröhnend. Nie kommt es zu diesem Bass-Dröhnen, das man aus Kirchen und anderen Konzerthöhlen kennt.
Was mich eruptiv, ja: existenziell getroffen hat: Schostakowitschs 11. Sinfonie in der Interpretation der Wiener Philharmoniker mit Metzmacher. Dieses eigentlich viel zu lange Stück! Der letzte Satz: Eine unverschämte Tirade, ein Gewaltakt, ein Kampf. Noch einmal: das werde ich niemals vergessen.
Was klingt aber eigentlich am besten in der Elbphilharmonie?
Am besten klingen Fugato-Einsätze der einzelnen Streichergruppen oder überhaupt: Stellen, bei denen die orchestral-polyphone Durchwirkung der Streicher im besten Falle ganz plastisch zu hören sein sollte. Ist in den meisten Konzertsälen aber meist nicht zu realisieren. Man hört die ersten Geigen, dann die zweiten Geigen mit ihrem Einsatz. Bei den Bratschen wird es dann meist schwächer. Und gerade dann, wenn Celli und Bässe noch eigene Fugato-Einsätze – also nicht gleichzeitig, sondern eben fugatomäßig versetzt – zu spielen haben, da bleibt dann meist von den Kontrabässen doch nur ein hummelflugartiges Gebrumme übrig.
Nicht so in der Elbphilharmonie. Der akzentuierte Einsatz einer jeden Streichergruppe in Schostakowitschs Elfter ging mich so direkt an, so erschütternd, so am Schlafittchen packend… Alles ist präsent. Klar, man hört jeden Fehler in der Elbphilharmonie. Aber die Wiener Philharmoniker machten einfach keine Fehler. Jedes Reiben der Saite, jedes kolophoniumgesegnete Bogenhaarstreicheln: eine Lust, ein Hörglück.
Vor dem Konzert, in der Pause und danach: Die Stimmung in der Elbphilharmonie ist unvergleichlich. Alle haben ein Grinsen im Gesicht. Kaum einer weiß, wo er hin soll. Aber ist ja egal. Man soll sich ja vielleicht etwas verlaufen, das Gebäude entdecken. Ich scherze einem sich ebenfalls verlaufen habenden Gast zu: „Jetzt komme ich seit Jahren hier her – und finde die Garderoben immer noch nicht!“
Ich muss da schnellstmöglich wieder hin.
Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.
Danke für diesen tollen und begeisterten Beitrag. Herr Brug, sorry, aber er ist wirklich ein Miesepeter, ein Kritikaster. Die Elbphilharmonie ist, verkürzt gesagt, der größte Kammermusiksaal der Welt, der selbst von einem Solo-Cello (vorgestern, Yo-Yo Ma mit Klavierbegleitung) gefüllt werden kann. Und ich höre gerne präzise und freue mich, dass die Musik sich in meinen Ohren, in meinem Kopf sich zusammensetzt, und nicht schon übermäßig im Saal und mir als Zuhörer das präzise Hören einzelner Stimmen nicht ermöglicht. Aber gerade auch die Foyers sind architektonisch Weltklasse, Guggenheim-Museum-Architektur.