Was man von Iris ter Schiphorst lernen kann. Die „Gänsemagd“, eine Kinderoper.

Was man von Iris ter Schiphorst lernen kann. Die „Gänsemagd“, eine Kinderoper.

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Auch wenn viele das nicht denken – am meisten macht es mir Spaß, andere Menschen zu loben. Und dieses Mal möchte ich eine Kollegin loben, die ich schon lange für eine der interessantesten Komponistinnen halte, die wir im Moment haben: Iris ter Schiphorst.

Dass ich sie loben möchte, entspringt der Tatsache, dass ich vor einigen Monaten eine der letzten Züricher Aufführungen eines gar nicht mal neuen Stückes von ihr erlebt habe, nämlich eine wunderschön und klug von Nina Russi inszenierte Version ihrer Kinderoper „Die Gänsemagd“ (Libretto: Helga Utz, UA 2009). Dieses Stück erlebt schon seit einiger Zeit eine erfreuliche Anzahl von Wiederaufführungen, was hier nicht (wie so oft) an vorher schon abgesprochenen Koproduktionen liegt, sondern schlicht und einfach an der Qualität des Werkes.

Diese „Gänsemagd“ ist einfach so rundum überzeugend und hat mir (und den bei der Aufführung zahlreich anwesenden Kindern) so viel Freude gemacht, dass ich gerne darüber schreibe. Auch wenn mein Besuch der Aufführung schon etwas her ist, die Erinnerung daran ist noch sehr frisch. Und weil Musik für Kinder nach wie vor als eine Art „Kleinkunst“ innerhalb der Neuen Musik betrachtet und kaum bis gar nicht im Feuilleton darüber berichtet wird, sollte man ganz ausdrücklich darüber sprechen, wenn etwas gelingt.

Was also hat Iris richtig gemacht? Zuerst einmal ist es ihre Haltung gegenüber ihrem Publikum, den Kindern. Die meisten Komponisten sehen es als eine Art heiligen adornitischen Auftrag, ein junges Publikum zu belehren oder von den Vorzügen neuer Klänge zu überzeugen. Daraus entstehen oft sehr verkrampfte Versuche, Klangphänomene „auszuloten“ oder jegliche Art von Melodik oder Sanglichkeit zu vermeiden, denn dann könnten die Kiddies ja vielleicht auf die Idee kommen, etwas anderes als Nono gut zu finden. Was sie aber ohnehin aller Wahrscheinlichkeit nach tun werden. Selbst ein durchaus ansprechender Zyklus wie „Ein Kinderspiel“ von Helmut Lachenmann hat einen hoch erhobenen und weithin sichtbaren pädagogischen Zeigefinger. Am besten gefällt dieses Stück Erwachsenen, die sich an der subtilen Reduktion des Könners Lachenmann auf das Wesentliche erfreuen, aber ob Kinder sich wirklich für den ästhetischen Diskurs mittels wechselnder Obertonfrequenzen oder Clusterfilterungen so sehr begeistern wie Lachenmann es sich wünscht bleibt fraglich. „Ein Kinderspiel“ ist also ein hervorragendes Stück, hat aber mit Kindern relativ wenig zu tun, eher damit, wie wir uns ideale „Neue Musik-Kinder“ wünschen würden. Kinder sind wilder, aber auch verführbarer, im positiven wie im negativen Sinne. Daher ist es eine Verantwortung von uns Komponisten, den kindlichen Zuhörern ihre Autonomie zu belassen, sie weder belehren noch verführen zu wollen, außer dies geschieht rein aus der Kraft der Musik heraus.

Dass Kinder Musik vor allem ganzheitlich und spontan wahrnehmen, sollte klar sein. Insofern sind sie das ideale aber auch kritischste Publikum, denn jede Reaktion ist direkt und ungefiltert. Dabei wird die Phantasie von Kindern gerne unterschätzt, und auch die Fähigkeit sich auf Absurdes oder Abgründiges einzulassen.

„Die Gänsemagd“ ist sicherlich eines der verstörendsten Märchen der Gebrüder Grimm. Mit der typischen archaischen Grausamkeit die alle echten Sagen und Märchen durchzieht werden hier Themen des Verlustes und der Entfremdung verhandelt. Niemand ist sicher, auch nicht das Pferd Fallada, das den Intrigen der falschen Prinzessin zum Opfer fällt und sprichwörtlich den Kopf verliert.

Dass das Unheimliche und eine Vorstellung vom Tod Teil der kindlichen Phantasie sind, haben Schiphorst und ihre Librettistin Helga Utz erkannt (und folgen damit zum Beispiel auch einer Astrid Lindgren, die dieses Thema auch nicht aus ihren Büchern ausgeschlossen hat). In der „Gänsemagd“ wird nichts intellektuell abstrahiert, nichts für Kinder „heruntergebrochen“ oder adaptiert, es geht wirklich um das unmittelbare Erleben einer phantastischen Handlung voller Magie. Das funktioniert, weil die Musik sich nie verbiegt, sondern authentisch ist. Iris ter Schiphorst hat geschrieben wie es ihr Spaß gemacht hat – das klingt simpel, wird aber von den wenigsten Komponisten in die Tat umgesetzt. Eigene Kindheitserfahrungen des gemeinsamen Singens in der Familie (das sie als prägend und wichtig empfand) geben der Musik eine mühelose sangliche Würde, die sich durch echte melodische Einfälle – so selten in der Neuen Musik wie ein Sechser im Lotto – und eine große Unverkrampftheit gegenüber künstlichen Genregrenzen auszeichnet. In ihrer wunderbaren Musik wird das eingelöst, was ich mir stets von Musik wünschen würde – sie ist inklusiv und atopisch, stets präsent, sie nimmt den Hörer als Gegenüber ernst. Einfälle und Inspiration siegen über Konzept und allzu würdige Absicht.

Dass das Ganze dann nicht in ein braves „Singspiel“ ausartet (wie es Wolfgang Schreiber in einer Kritik etwas betulich nennt), bei dem sich Nummer an Nummer reiht, ist eine große Qualität des Stückes. Das Ganze bleibt im poetischen Fluss, reduziert auf ein kleines Ensemble und eine klare Klangsprache, was das Stück attraktiv für viele Spielstätten macht. In der Inszenierung von Nina Russi (Zürich) gab es Momente von großer Intensität und latenter Bedrohung, fast wie in einem Film von David Lynch, was durch die Doppelbödigkeit der Musik (Kinder sind entgegen landläufiger Meinung sehr wohl in der Lage, nuanciert wahrzunehmen) nur verstärkt wurde. Das war einfach gelungen.

Wie auch immer, ich bin mit meinem Lob von Iris ter Schiphorst (vorerst) am Ende, aber nicht mit meiner Begeisterung für dieses Stück (von dem man in obigem Video einen Eindruck bekommen kann). So geht es auf jeden Fall weiter mit dem Thema Kinderoper.

Moritz Eggert

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