Die Quadratur der Linie – ein neuer Blick auf das Werk von Brian Ferneyhough.
Die Quadratur der Linie – ein neuer Blick auf das Werk von Brian Ferneyhough
Brian Ferneyhough ist einer der großen unverstandenen Künstler unserer Zeit. Der umtriebige und wortgewandte Brite gilt als einer der Ikonen der Kunstrichtung die sich „New Complexity“ nennt, ist ein einflussreicher Pädagoge. Dennoch wird sein Werk oft missverstanden. Immer wieder aufs Neue werden die falschen Aspekte hervorgehoben und seine wesentliche kreative Leistung wird übersehen. Dabei wäre es doch wichtig, dass man die Schöpfung dieses Großmeisters endlich einmal so würdigt, wie sie intendiert ist.
Schauen wir uns eines der bekanntesten Werke von Ferneyhough an:
Cassandra’s Dream Song
https://www.youtube.com/watch?v=hrymva3SHCo
Zuerst einmal überrascht es, dass es sich hier um ein Video handelt. Da Ferneyhough aber stets in Serien arbeitet (und die einzelnen Seiten streng in der intendierten Abfolge nummeriert) macht diese Form der Präsentation durchaus Sinn.
In diesem bekannten Werk (untertitelt „für Soloflöte“ (?)) begegnet uns eines der wichtigsten Elemente der Ferneyhoughschen Ästhetik: die Linie. Linien ziehen sich durch das gesamte Schaffen Ferneyhoughs. Sie nehmen unterschiedliche Formen an, manchmal wellig, manchmal geknickt, manchmal durchbrochen. Selten schräg, oft rechtwinklig. Angeordnet sind diese Linien in sogenannten „Akkoladen“, einem der entscheidenden Stilmittel des Meisters. Als grafisches Zentrum dieser Akkolade dient stets ein geometrisches Objekt, das sich als 5 dünne parallele Linien übereinander beschreiben lässt. Der Abstand dieser Linien ist in allen Werken Ferneyhoughs sehr ähnlich, und streng symmetrisch. Diese 5 Linien wirken wie ein Raster und dienen dem Künstler quasi als Bezugspunkt, als artifizielle Leinwand für seine visuelle Imagination. Man weiß, dass Ferneyhough grundsätzlich seine Grafiken auf diese Weise vorbereitet – auf weiße Blätter werden zuerst einmal immer gleiche Liniensysteme gezogen, auf denen dann später seine Zeichnungen entstehen. Zuerst als Skizzen, dann als penible und detailverliebte Tuschezeichnungen.
Auf diesen 5 Linien sind stets mehrere ovale Punkte (auch „Knubbel“) angeordnet, in zuerst scheinbar chaotischen „Clustern“, die auf den zweiten Blick aber verborgene Bezüge offenbaren. Sehr oft sind die „Knubbel“ mit rechtwinklig angeordneten Linien verbunden, die wiederum gerne in eine Art Fähnchen münden, das sich auch zu dicken schwarzen Balken zusammenballen kann und dabei seinen Status als „Fähnchen“ preisgibt. Wenn diese Balkenanordnungen vorkommen, so sind 3 oder 4, ja sogar 5 oder 6 Balken keine Seltenheit. Es besteht kein Zweifel: diese Knubbel symbolisieren Menschen, gleichsam Lebewesen (Ferneyhough selber nennt sie „Töne“ und ordnet ihnen bestimmte kryptische Namen zu, wie „Bb“ oder „F#“, sicherlich Abkürzungen für Persönlichkeiten aus der Biografie des Künstlers). Bedeutende Kunstkritiker haben in diesem immer wieder kehrenden Stilmittel „Fähnchen“ versus „Balken“ eine Art Symbol für den Widerstreit des Individuums gegen die Norm gesehen. Manchmal ist das Individuum (=Knubbel) „frei“, es hält quasi seine „Fahne in den Wind“ (immer nach rechts, was als Rassismuskritik gelesen werden kann), manchmal ist es aber auch Teil eines martialisch-oppressiven „Systems“ und muss sich im Gleichschritt einordnen, stets unter der Knute apokalyptisch anmutender „Balken“.
Mit diesen Balkenanordnungen entsteht eine Art dreidimensionaler Effekt, der in dieser Art von schwarz-weißer Grafik (Ferneyhough beschränkt sich als Künstler grundsätzlich auf schwarze Tusche, vermeidet jede Farbe) ganz außerordentliche Ergebnisse zeitigt. Der Gesamteindruck ist zuerst einmal schockierend dekorativ, fast barock verziert. Dieser Eindruck wird gebrochen durch zahllose „Anweisungen“, die der Zeichner Ferneyhough den grafischen Objekten zuordnet. So wimmelt es von Buchstabenkombinationen wie „p“ oder „ff“, manchmal weit auseinander, manchmal in dichter Abfolge. Der bedeutende amerikanische Kunstkritiker Thomas Louis Pemberton assoziiert diese kryptischen „Anweisungen“ als „Befehle“, die den „Wesen“ auf den 5er-Zeilen zugeordnet sind. So sind Ferneyhoughs Grafiken immer auch Lautgedichte, im onomatopöetischen Sinne.
„ffffff…..p….p…..mf….mp…ppppppp….fff..ff.f…..fffffff“. Hier artikuliert sich ein geknebeltes und geknechtetes Wesen, dass so gerne zum Wort finden möchte, dem dies aber nicht gelingt. Was will es uns sagen? Dies wird der Imagination des Betrachters überlassen.
Zu diesen „Anweisungen“ gesellen sich viele andere Symbole, deren Zahl zu groß ist, um auf jedes einzeln einzugehen. Häkchen, Punkte, Kreise (manche ausgefüllt, manche schwarz), Wellenlinien und Pfeile, immer wieder Pfeile, manchmal schräg, manchmal parallel zum alles beherrschenden „System“. Noch auffälliger ist die Vorliebe Ferneyhoughs für Zahlen. So wird der Rhythmus der Grafik immer wieder durch mysteriöse Zahlenanweisungen unterbrochen: 7/16, 13/32. Und sehr oft nach einer senkrechten dünnen Linie (die einen neuen Abschnitt einzuleiten scheint) t auch „Knubbel = x“, zum Beispiel 63. Oder auch 57. Wie viel kostet der Mensch? Was ist der Preis der Freiheit?
Es gibt keine Währung, kein Bezugssystem. Wir sind der Zahl ausgeliefert, wir sind die Zahl. „I am not a number, I am a free man“ sagt der „Prisoner“ in der gleichnamigen englischen Fernsehserie, und dennoch hat er eine, die 6.
6:2 = 3. Und 3 ist eine ganz wichtige Proportion, die Ferneyhough zu faszinieren scheint. Fast alle „Ereignisse“ sind in Dreiergruppen von unterschiedlicher Ausdehnung unterteilt, wobei jede „Zeile“ für sich wie ein eigenes, eigenständiges Kunstwerk wirkt, das gar nicht notwendigerweise im Kontext des Vorherigen gesehen werden muss. Durchgängiges Prinzip ist stets die Wiederholung. Die Anordnungen sind ähnlich, jedoch nie gleich.
Manisch wie ein Roman Opalka füllt Ferneyhough ganze Zeichenorder mit immer neuen Grafiken, deren existentielle Schönheit sich erst beim zweiten Hinsehen in seiner Gänze offenbart. Dies ist ein Lebenswerk, ein endloser Dialog mit dem Betrachter, der immer wieder dem horror vacui entflieht, mit Gewalt dem unerbittlich weißen Blatt entrungen ist.
„Ich fürchte nichts so sehr wie die Leere“ soll Ferneyhough einmal gesagt haben, und gegen diese Leere setzt er immer wieder aufs Neue: Zeichen. Wer diese Zeichen lesen kann, dem wird sich eine Welt offenbaren.
Hier noch ein paar weitere Beispiele des Ferneyhoughschen Schaffens, diese streben eine zunehmend beeindruckende „Maximum Complexity“ an, eine Art Kampfansage gegen die eher wildwüchsigen Schraffuren zum Beispiel eine Horst Jansson. Es sollte jedem schnell klar werden, dass die Kunst von Ferneyhough den zweiten, ja den dritten und vierten Blick mehr als verdient. Dass diesem großen Künstler bisher kein einziger Kunstpreis vergeben wurde und er sich mühsam mit seinem Hobby – der Musik – über Wasser halten muss, ist schlichtweg ein Skandal der Kunstgeschichte.
Moritz Eggert
Anmerkung: Aus unerklärlichen Gründen sind alle diese yotube-Videos mit irgendeinem nervigen Gedudel unterlegt, dies lässt sich aber leicht mit der „Stumm“-Funktion bei youtube abschalten.
https://www.youtube.com/watch?v=piBqsmYcj0s
https://www.youtube.com/watch?v=odTUqs8rJDg
Komponist
Haters gonna hate! Ferney rulez.
Personally I dislike his pretentious unfounded alien-styled inhumane chaotic pseudo-random material, which exists only for it’s own sake and creates sensory responses that are not of the composer’s intention, but just happen to occur.
Make no mistake: Ferneyhough is no real composer; and the fact that this has never been accordingly stated or criticized shows the times in which we live: Feed the people any rubbish, with just a hint of added intellectual implication and they’ll believe it and worship your ‘message’.
… Ferneyhough… the charlatan king of pretentious wishful implication
Endlich habe ich Ferneyhough verstanden. Er ist ja doch ein Künstler! Danke, Moritz Eggert.