Es, es, es und es – ist das ein falscher Schluss? (Teil 1), ein Gastbeitrag zur Genderdebatte von Wendelin Bitzan

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Wer ist dieser Mann? Wendelin Bitzan. Was macht er? Er ist Musiker und Musikforscher, Jahrgang 1982. Was amüsiert ihn? Die momentane „Gender“-Debatte. Nicht deren Notwendigkeit (wir wollen mal annehmen, dass Gleichberechtigung für Frauen auf jeden Fall eine gute Sache ist, die wir alle toll finden), sondern deren seltsame Auswüchse (gibt es mehr Gleichberechtigung, wenn wir die Sprache politisch korrekter machen?).
Hierzu eine kleine Geschichte: mein Freund Aaron Haag schrieb neulich einen winzigen Artikel über die „Spieleerfinderzunft“ für das „Lesezentrum Steiermark“. Postwendend wurde er informiert, dass sein Artikel nun aufgrund „Vorgaben des Landes Steiermark“ zu gendern sei, dafür sei auch ein spezieller Mitarbeiter angestellt. Aus dem kurzen Text wurde damit eine ganze Seite, und es ergaben sich folgende Sätze: „SpieleautorInnen, das sind die ErfinderInnen, die EntwicklerInnen, die KompositeurInnen, die UrheberInnen, die kreativen Köpfe hinter den Spielen. Aber während die AutorInnen von Bestseller-Romanen jeder Leserin und jedem Leser geläufig sind, kennt kaum jemand die Namen der AutorInnen von Spielen wie Monopoly oder Carcassonne mit ihren weltweiten Millionenauflagen. Bis heute wird den SpieleautorInnen nicht die Bedeutung zuerkannt, die AutorInnen in der Literatur, im Theater oder in der Musik als selbstverständlich eingeräumt wird.“
Häh? Frauen, wollt ihr das wirklich, dass wir jetzt solche Sätze schreiben? Wollt ihr wirklich, dass wir euch jetzt „Kompositeurinnen“ nennen?
Was uns noch alles blühen wird, beschreibt uns nun Wendelin, in einem mehrteiligen satirischen Artikel…
(Moritz Eggert)

Ein Beitrag zur Genderforschung in den musikalischen Künsten und Wissenschaften

Was passiert, wenn man die Kriterien und Betrachtungsperspektiven der musikwissenschaftlichen Genderforschung nicht auf Personen, sondern auf Klänge, Tonarten und Kompositionen bezieht? Wendelin Bitzan, Musiker, Musikforscher und Komponist aus Berlin, versucht sich an einem musikimmanenten Ansatz.

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Vorbemerkung

Viele von uns haben keine existenziellen Sorgen. Der Gesellschaft unseres Kulturkreises geht es gut genug, dass wir uns Gedanken über Dinge wie Geschlecht und Geschlechtskonstruktion machen können. Das finde ich im Prinzip begrüßenswert. Es gibt so gut wie keinen Bereich des Soziallebens, der nicht aus dieser Perspektive betrachtet werden könnte, und so wird nach Herzenslust gegendert, wo man auch hinschaut – in der Sprache, bei der Kleidung, bei der Erziehung. Gender ist Ausdruck eines Lebensgefühls, das sich emotional aus den politischen und soziologischen Bewegungen der Nachkriegszeit speist und mittlerweile auch intellektuell untermauert ist. Bereits seit vier Jahrzehnten wird in vielen geisteswissenschaftlichen Bereichen und Disziplinen unter Gender-Aspekten diskutiert und geforscht, und vor einigen Jahren haben die gender studies schließlich die Kultur- und Kunstwissenschaften erreicht. Auch im deutschsprachigen Raum wird, beeinflusst von der nordamerikanischen new musicology, zunehmend unter Gender-Aspekten über Musik nachgedacht.1 Behandelt werden etwa das anthropologische, soziologische und kulturgeschichtliche Umfeld bzw. die Problematik von Musik und Geschlecht; Leitthemen sind die »Konstruktion von Geschlecht durch Musik«, die Rolle der »Genderperspektive für die Analyse von Musik« sowie die Konsequenzen eines Gender-Blickwinkels auf das »Bild von Musikgeschichte als Geschichte von Musikkultur«.2 Sehr interessante Themengebiete sind das zweifellos, durch die sicherlich ganze Karrieren und Lebenswerke aufgewertet oder gar erst ermöglicht werden. Aber da fehlt etwas, und ich werde sogleich kundtun, woran es mangelt.

Vorab ist festzustellen, dass die genderbezogene Musikforschung vorrangig in der universitären Musikwissenschaft beheimatet ist (wobei dieses Forschungsfeld fast ausschließlich in weiblicher Hand liegt).3 In den philosophischen Fakultäten ist das Nachdenken und Sprechen über Musik aus Gender-Perspektive vollständig angekommen und verinnerlicht, während es in musikalischen Ausbildungsinstitutionen (Musikhochschulen, Konservatorien und Musikschulen) sowie für die Träger und Protagonisten der ausübenden Musikszene (Orchester, Theater, freie Ensembles) eine weitaus geringere Rolle zu spielen scheint. ›Musik und Gender‹ ist also ein akademischer Topos, der die Musikpraxis und Musikpädagogik noch kaum erreicht hat. Liegt das an mangelndem Interesse oder Sensibilität der letztgenannten Disziplinen? Oder gar an mangelnder Relevanz des Genderns für die tatsächlich erklingende Musik? Ein Schelm, wer Böses denkt.

Es bleibt abzuwarten, wann sich auch die Musikschullehrkräfte, Geigenprofessor_innen, Operndramaturg_innen und Konzertagent_innen auf Gender-Themen besinnen. Lange kann es nicht mehr dauern, denke ich; Gendern ist schließlich en vogue, repräsentiert moderne Tugenden wie Toleranz, Sensibilität und politische Correctness und demonstriert zudem eine hohe Formalbildung der sich äußernden Person bzw. Institution. Zudem quellen die Gender-Fördertöpfe geradezu über, so dass auch reichlich monetäre Anreize geschaffen werden. Viel brennender als der künftige Zulauf der Gender-Gemeinde ist für mich aber die folgende Frage: Warum interessieren sich die Musikforschung und das Musikgewerbe so wenig für das genuin musikalische Gender, für das Geschlecht von Noten, Klängen, Tönen und Tonarten? Es macht den Anschein, als sei die bisherige Forschung auf Personen und deren soziale Gefüge fixiert, wenn es um Musik und ihre Ausübung geht. Der Gegenstand an sich, die Musik selbst, wird oft vernachlässigt – und dies gilt gleichermaßen für Komponierende, Musizierende, Forschende wie für die Zuhörerschaft. Dies soll nun anders werden. Es ist an der Zeit, der Gender-Musikforschung einen anschaulichen, musikimmanenten Kontrapunkt zu verleihen.

Gender, Gendie, Gendas: Jüngere Trends in der Linguistik

Knüpfen wir zunächst bei der Sprache an, denn sie ist es, in der auch musikalische Sachverhalte beschrieben und untersucht werden. In dem Bemühen um größtmöglichte Geschlechtsneutralität und Chancengerechtigkeit sind in der jüngeren Vergangenheit verschiedene Versuche unternommen worden, das Problem der Wortendung -in, mit der im Deutschen weibliche Berufs- oder Funktionsbezeichnungen auf der Grundlage von Substantivstämmen mit männlicher Endung erzeugt werden, zu umgehen. Gern gewählte Strategien sind interpunktische Behelfe wie das BinnenI, der Unter_strich oder das Stern*chen, sowie die inflationäre Verwendung von Partizipien (›Studierende‹, ›Lehrende‹). All dies ist möglich und höchstens auf stilistischer Ebene anfechtbar. Das generische Maskulinum kann aber auch flexibilisiert (wie in der konsequenten Anwendung der Amtsbezeichnung ›Professorin‹ für männliche wie weibliche Personen an der Universität Leipzig) oder ganz eliminiert werden (gemäß dem Vorschlag Profx Lann Hornscheidts von der Humboldt-Universität zu Berlin, alle geschlechtsspezifischen Flexionsformen und Suffixe durch ein x zu ersetzen).

Bereits ein alter Hut ist das Wörtchen man, das offenbar zu maskulin klingt, um in geschlechtsneutraler Sprache akzeptiert werden zu können, und schon früh durch sein feministisches Gegenstück frau ergänzt wurde. Zu den Wörtern Versöhnung und Vetternwirtschaft sind mir hingegen keine Beschwerden bekannt. Auch an dem weiblichen Substantiv Person hat sich noch kein maskuliner Adressat gestört, genausowenig wie an der Tatsache, dass die Pronomina ihr und sie (zweite und dritte Person Plural) offenbar von der weiblichen dritten Person Singular abgeleitet sind – und der feminine bestimmte Artikel die mutiert im Genitiv, wer hätte das gedacht, gar zum maskulin anmutenden der. Ein verbaler Transgender! Da haben wir den Salat. Auch voll emanzipierte grammatikalische Transvestiten finden sich in unserer Sprache: Dass die sich androgyn gebenden Substantive Pinguin und Harlekin nicht schon Gegenstand von langen Diskussionen geworden sind, verwundert geradezu. Aber würde es der Zoologie denn helfen, wenn künftig von der ›Pinguinin‹ die Rede wäre? Und was tut mensch mit männlichen Tontechnikern, die, getreu dem in der Audiobranche gängigen Jargon, Stecker als male und Buchsen als female zu bezeichnen, einen Kabeladapter mit zwei weiblichen Steckverbindungen (gender changer) als ›Lesbe‹ titulieren? Toleranz üben – oder abmahnen, kündigen, exkommunizieren? Hilft doch alles nichts.

Derlei Erörterungen verlieren schnell ihren Reiz, wenn wir in Betracht ziehen, dass es auch Maskulina und Pluralia gibt, die von Feminina abgeleitet sind: etwa Bräutigam, Ziegenbock oder Geschwister. Im Tierreich werden für viele Arten weibliche Bezeichnungen verwendet, ohne dass eine polarisierende Geschlechtsdifferenzierung intendiert wäre: Amsel, Biene, Robbe, Schlange – kein Mensch spricht dagegen von einem ›Schneckling‹ oder einem ›Wesperich‹. Ist ja auch nicht schlimm, tut schließlich nicht weh, und niemand müsste sich aufregen. Die Leute tun es aber und greifen, etwa in Österreich, zu unansehnlichen Neubildungen wie Gästin oder Vorständin. In Ordnung, aber dann muss es auch maskuline Formen für von Frauen dominierte Berufsgruppen geben; ich warte schon lange auf den ›Hebammerich‹ und, anstatt des distanzierten Pfleger, auf den herzlich-vertrauten ›Krankenbruder‹. Aber das ist im Grunde unwichtig. Was auch immer wir uns zurechtgendern, am Ende müssen wir eingestehen, dass es in der Sprache gar nicht so dichotom und schwarz-weiß zugeht, wie manche Zeitgenoss_innen uns glauben lassen möchten. Eine Vokabel wie Leiter, die als Maskulinum wie als Femininum mit völlig unterschiedlichen Wortbedeutungen existiert, beweist eindrucksvoll, dass die linguistische Realität sich bunt und vielgestaltig gebärdet. Kann es aber in der Sprache jemals ganz gerecht zugehen? Darauf kommen wir später noch einmal zurück – lassen wir dieses diffuse und unüberschaubare Feld zunächst hinter uns, und wenden wir uns nun endlich der Musik zu.

(Fortsetzung in Teil 2)

Anmerkungen:
  1. Die folgende Liste mag einen unvollständigen, gleichwohl repräsentativen Überblick geben: An der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover existiert seit 2006 ein Forschungsinstitut Musik und Gender (www.fmg.hmtm-hannover.de, geleitet von Susanne Rode-Breymann). Die Hochschule für Musik und Theater Hamburg betreibt seit 2001 das Webportal Musik und Gender im Internet (www.mugi.hfmt-hamburg.de; Beatrix Borchard). An der Universität Bremen gibt es seit 2010 das Mariann Steegmann Institut Kunst & Gender (www.mariann-steegmann-institut.de; Irene Nierhaus, Kathrin Heinz). Das Sophie Drinker Institut in Bremen widmet sich bereits seit 2002 in freier Trägerschaft der musikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung (www.sophie-drinker-institut.de; Freia Hoffmann). Die Universität Oldenburg erforscht die Kulturgeschichte der Musik unter Gender-Aspekten (www.uni-oldenburg.de/musik/forschung/kulturgeschichte/musikwiss-genderforschung; Melanie Unseld). Auch am Institut für Historische Musikwisenschaft der Hochschule für Musik und Tanz Köln (www.hfmt-koeln.de; Annette Kreutziger-Herr) ist die Genderforschung ein zentrales Anliegen. Die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (www.mdw.ac.at/ID/66; Doris Ingrisch) verfügt über eine eigene Professur für gender studies und offeriert ein umfassendes Studienprogramm in diesem Bereich.
  2. So zu finden im Vorwort des Sammelbandes Musik und Gender. Grundlagen – Methoden – Perspektiven (hg. von Rebecca Grotjahn und Sabine Vogt, Laaber 2010, S. 11). Ähnlich umschreibt es das Lexikon Musik und Gender (hg. von Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld, Stuttgart 2010, S. 234f.): musikwissenschaftliche Genderforschung »fragt nach der sich immer wieder neu manifestierenden, performativen Konstruktion von Geschlecht (…) innerhalb einer Musikkultur«.
  3. Ein Blick in die erste Fußnote sowie in die Literaturhinweise zu diesem Text genügt, um dies zu verifizieren. Immerhin, ein kleiner Hoffnungsschimmer: Der Musikwissenschaftler Hermann Danuser stammt aus dem schweizerischen Frauenfeld. Bisher ist er allerdings nicht mit Genderforschung in Verbindung gebracht worden.
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