Vorbereitung der Atopie. Ein Text in 6 Teilen. Fünfter Teil: Playback.

PLAYBACK

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Gerne gibt man den neuen Medien die Schuld am Niedergang von eigentlich allem außer Apple und Google. Neue Medien haben leider etwas Zwangsläufiges – wenn es sie einmal gibt, gehen sie nicht wieder weg.

Irgendwann gab es einmal keine laufenden Bilder, vor etwas über hundert Jahren. Dann lernten sie laufen, und sie laufen bis heute und werden auch weiterlaufen. Irgendwann einmal gab es kein Internet, und man hatte noch Zeit für andere schöne Dinge, oder glaubte es zumindest, nun kann jeder mit jedem chatten und muss dabei noch nicht einmal mehr kommunizieren. Aber auch das wird nicht mehr weggehen.

Natürlich ist immer die Frage: wie geht man mit etwas um. Wir lernen gerade, wie man mit den Neuen Medien umgeht, viele von ihnen sind wirklich noch recht neu. Im Moment benutzen wir sie vornehmlich um Dinge zu kopieren und zu verbreiten, tausendfach, millionenfach, seien es Shakespeares gesammelte Werke oder Pornos. Vor allem natürlich Letzteres.

Was damit einhergeht ist – und hat das Walter Benjamin schon sehr richtig vorhergesehen – eine gewisse Verlust von Aura, zum Beispiel eines Kunstwerks, aber auch von Menschen, zum Beispiel Politikern. In letzterem Fall könnte man sogar sagen: Gottseidank verlieren Politiker Aura! Vielleicht bleiben uns zukünftige Hitlers erspart. Dafür haben wir aber dann Berlusconis.

Und da die Kopie im digitalen Zeitalter vom Original nicht mehr zu unterscheiden ist, gibt es auch kein Original mehr. Aber gab es das je? Gab es nicht vielmehr Ideen, Visionen, Aufbrüche? Ist die Mona Lisa wirklich noch ein Original oder vielleicht die Idee eines Originals? War sie je ein Original? Das sind alles Fragen, die wir uns heute stellen müssen.

Der Klassik-CD Markt hat unter der Kopie sehr gelitten. Was aber nie gelitten hat ist das Livekonzert, das eine unglaubliche Blütezeit erlebt. Das Problem ist, dass man Künstler noch nicht digital kopieren kann, deswegen müssen sie um die Welt jetten, um überall präsent zu sein, sie müssen auf Facebook Bilder von sich posten, twittern, den Jahrmarkt der kopierten Eitelkeiten befeuern.

Vielleicht sollte man all dies nicht als Wirklichkeit gewordene Schreckensvision empfinden (und ich gebe zu, dass ich manchmal dazu tendiere) sondern mit einer gewissen Ironie nehmen, with a „pinch of salt“, wie der Engländer sagt. Mitmachen, aber nicht im Geringsten ernst nehmen.

Und zum nicht ernst nehmen gehört auch, dass man nicht dem Glauben verfällt, irgendetwas von diesem Panoptikum der Selbstdarstellung wäre wirklich relevant. Oder vielmehr: die Selbstdarstellung allein, getrennt von Ideen, Inhalten oder Botschaften, ist natürlich nie relevant. Deswegen frisst Pop auch immer seine eigenen Kinder, immer wieder, und aus der Kotze des Pop entsteht lemurengleich das nächste Kind.

Im Internet gibt es den Begriff des „long tail“. Einfach gesagt heißt das, dass sich selbst für den letzten Mist genügend Leute interessieren, sobald man eine möglichst große Prüfsumme zur Hand nimmt. Das heißt wenn ich in einer Fußgängerzone in unserem Land lange genug herumgehe, werde ich tatsächlich irgendwann jemanden treffen, der ein Fan der Musik von (hier beliebigen obskuren und komplett unverständlichen Komponisten einsetzen) ist, so seltsam und ungeheuerlich dies auch erscheinen mag. Aber vorher muss ich natürlich 50.000 Menschen fragen.

Dies hat zur Folge, dass sich im Internet verschiedene „Geek Cultures“ oder Fankulturen herausbilden, zu eigentlich jedem Thema, Briefmarkensammeln, Taubenzucht, Batik und Kronkorken, ja sogar „Neue Musik“ mit großem „N“. Diese Fankulturen geben sich gegenseitig Sicherheit, versorgen sich mit Tipps für Stipendien, laden sich genseitig auf die Soundcloud hoch.

Der Fehler ist nicht, dass es in Wirklichkeit so wenige sind, das finde ich – wie oben ausgeführt – überhaupt nicht schlimm. Es gibt sehr viele wichtige Dinge in der Menschheitsgeschichte, die erst einmal nur von sehr wenigen Menschen erkannt, bedacht und erdacht wurden, das bleibt außer Zweifel.

Der Fehler in der Geek-Kultur der kleinen Schwester Neuen Musik ist aber die Dummheit zu glauben, dass das gegenseitige Anklicken (oder Vortanzen auf den gängigen Festivals) an sich irgendeine Bedeutung hat. Die hat es natürlich nicht. Inhalte, Ideen, Entwürfe haben Bedeutung, Anklicken hat überhaupt keine Bedeutung, wenn man nur denjenigen anklickt, der dann wieder zurückklickt.

Selten gibt es aber in einer Geek-Culture den Impuls, den Kreis der Eingeweihten und Experten zu verlassen, man bleibt lieber unter sich, entwickelt Geheimsprachen, schmiedet Manifeste und Thesen einer zweiten, dritten und vierten Moderne, die aber genauso klingt wie die erste Moderne. Vor hundert Jahren.

Und genau aus diesem Grund kommt die kleine Schwester so selten raus aus ihrer kleinen Kammer. Was sie braucht ist Sonnenlicht.

Moritz Eggert

(FORTSETZUNG FOLGT)

chandler pfeife

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Eine Antwort

  1. Eberhard Klotz sagt:

    „Deswegen frisst Pop immer seine eigenen Kinder, immer wieder, und aus der Kotze des Pop entsteht lemurengleich das nächste Kind.“ Bin ganz damit einverstanden! Egal wo man sich heute befindet, ob im Café, Restaurant, Geschäft, im Auto oder sogar in der Bank – überall läuft seit Jahrzehnten der fade, gleichgeschaltete, vom Computer generierte Popbrei. Wenn man bedenkt, was ein Unterhaltungsmusiker also ein „Popmusiker“ im 19. Jahrhundert noch alles können musste: Er musste orchestrieren können, Periodenbau und Metrik beherrschen, Modulation, Harmonielehre und sogar Kontrapunkt verstehen (ab Min. 3:20 im Beispiel).
    Ich komme mir heute manchmal vor wie die Bienen, denen man den Honig weggenommen hat und ihnen dafür billige Zuckerpampe vorsetzt; und die Jugendlichen glauben es, da sie keinen Vergleich mehr haben, was Qualität sein könnte…

    Eduard Strauss: „Das Leben ist schön…“

    http://www.youtube.com/watch?v=IIY6f5ssmSI