Wider die Geringschätzung von Musikprojekten für Kinder
Foto: aus Moritz Eggert: „Teufels Küche“
von links nach rechts:
Sven Kacirek, Sonja Lena Schmid, Carola Schaal, Regie: Heiko Hentschel, Foto: Mara Eggert
Es ist immer dasselbe – einerseits klagen alle ständig, dass es um die Musikpädagogik in Deutschland schlecht bestellt ist. Der Musikunterricht in den Schulen kämpft mit schwindenden Stundenzahlen und Mitteln. Die Orchester klagen über grauhaarige Konzertbesucher und fehlenden (Hörer)nachwuchs. In den Kindergärten und – Krippen wird kaum noch gesungen und es fehlt an kompetenten Kräften, die mit den Kindern Musik machen. Zudem gibt es nur sehr wenige zeitgenössische Komponisten, die sich wirklich ernsthaft mit Musik für Kinder auseinandersetzen – das Feld wird fast komplett Rolf Zuckowski und seinen vielen Klonen überlassen (Diese mögen zwar ihre Meriten als Weihnachtsbäcker oder ähnliches haben, der künstlerische Mehrwert bewegt sich aber eher gen Null).
Nun ist es ja nicht so, dass diese Problematik ignoriert wird. Tatsächlich ist in Deutschland seit vielen Jahren eine große Anstrengung zu verspüren, dem musikalischen Erziehungsnotstand entgegen zu wirken. Fast jedes Orchester und Opernhaus leistet sich ein Education-Programm, es gibt zahlreiche unabhängige Initiativen, die wunderbare und liebevoll betreute Projekte für Kinder realisieren, sehr oft ehrenamtlich und mit großem persönlichem Einsatz. An Ideen, Preisen, Stipendien und Fördergeldern mangelt es nicht. Myriaden von Musikern suchen inzwischen die Schulklassen heim, um Instrumente vorzustellen oder ihren Beruf zu erklären. Man kann also guten Gewissens von einer richtiggehenden Renaissance von qualitativ hochwertigen Musikangeboten für Kinder sprechen. Nur erfährt man sehr wenig davon.
Es gibt auch ein großes Interesse – über mangelnden Publikumszuspruch können sich die wenigsten Kinderkonzerte beklagen, denn die Eltern von heute sind geradezu verzweifelt auf der Suche nach schönen Konzertveranstaltungen für Kinder. Und dieses Interesse beschränkt sich eben nicht auf die Dauerbrenner „Peter und der Wolf“ oder „Karneval der Tiere“.
Als Vater zweier kleiner Kinder kenne ich es selber – an Litfaßsäulen halte ich geradezu Ausschau nach Veranstaltungen, die nicht die übliche kommerzielle Kinderabzocke bedienen. Und ich gehe dann auch sehr gerne mit meinen Kindern dorthin.
Wenn man aber versucht, sich über die Qualität dieser Veranstaltungen zu informieren, begegnet man sehr schnell einem großen Vakuum. Das beginnt schon einmal damit, dass es so gut wie keine Kritiken über Konzerte für Kinder gibt. Schon einmal gar nicht von der höheren Kritikergarde. Da friert eher die Hölle zu als dass sie sich einmal dazu herablassen, über eine Uraufführung eines Stückes für Kinder zu schreiben.
Wenn man erfahren will, wie ein bestimmte Veranstaltung für Kinder eigentlich war, muss man mit großer Wahrscheinlichkeit den Lokalteil bemühen (wenn man Glück hat). Und diese Kritik wurde dann von einem Praktikanten geschrieben und liest sich auch dementsprechend.
Wenn man auf Amazon nach CDs für Kinder stöbert, findet man viele privaten Rezensionen von glücklichen oder unglücklichen Käufern, in der sogenannten Fachpresse muss man aber mit der Lupe nach Rezensionen darüber suchen. Die Zeitungen kündigen Kinderprojekte eher pflichtbewusst als wirklich begeistert an, oft fehlen im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen Bilder oder weitergehende Informationen. Pressekonferenzen für Kinderstücke sind ungefähr so selten wie Gnus in Göttingen.
Es mag immer wieder löbliche Ausnahmen geben, letztlich bleiben sie nur Ausreißer gegen den Trend, eine ganz klare Zweiklassengesellschaft in der Musik aufzubauen. Wer neue Musik für (oder noch schlimmer: mit) Kinder(n) macht steht definitiv hierarchisch unter demjenigen, der Musik für „Experten“ macht. Wobei die Musik für „Experten“ ein wesentlich spezielleres (und kleineres!) Publikum anspricht, als die Musik für Kinder.
Es geht schon so weit, dass ich mir als Komponist bei jeder Anfrage für eine Komposition für Kinder lange überlegen muss, ob ich diese überhaupt annehme. Nicht weil es mir keinen Spaß machen würde, sondern weil es den „point of no return“ gibt, an dem man plötzlich zum „Komponist für Kinder“ abgestempelt wird, und dann NUR NOCH Aufträge dieser Art bekommt. Und plötzlich ist man dann gar nicht mehr Teil eines musikalischen Diskurses, sondern dreht sein eigenes Ding.
Dabei muss es einem keineswegs schlecht gehen – ich kenne zahlreiche Kollegen, die sehr erfolgreiche Karrieren als Komponisten von Musik für Kinder haben. Aber wenn man mit ihnen spricht, spürt man auch schnell die Frustration darüber, zwar viel Erfolg zu haben, aber nie ernst genommen zu werden. Bekannte Komponisten wie Kurtag oder Henze haben zum Beispiel gute Musik für Kinder geschrieben, diese aber wohl dosiert in ihrem Werkverzeichnis platziert, damit ihnen auf keinen Fell der Stempel „Kinderkomponist“ aufgedrückt wird. Manche anderen Komponisten riskieren diese Gefahr lieber gar nicht erst.
Nun kann man darüber diskutieren, wie wichtig es ist, ernst genommen zu werden, und ob nicht vielleicht der Unernst viel subversiver ist. Aber ich habe selber ja erlebt, wie unterschiedlich meine eigenen Stücke für Kinder wahrgenommen werden und wurden. Erzähle ich von meinem neuen Stück für ein Opernhaus oder ein Orchester, hört man zu, ist es ein Stück für Kinder hören die meisten weg. Selbst wenn sie selber Kinder haben.
Man spricht ja in der Neuen Musik von einer Art „Uraufführungswahn“ – stets muss man neue Stücke schreiben, weil sich die Auftraggeber eher mit einem neuen Werk profilieren wollen, als sich mit einem schon existierenden auszuzeichnen. In der Kindermusik ist dies noch viel krasser – so gering ist ihr Ansehen im Feuilleton, dass man sich überhaupt nur mit „Neuem“ profilieren kann, denn dann besteht vielleicht noch die winzige Chance, dass ein Kritiker einer angesehenen Zeitung sich einmal in eine Hauptprobe verirrt.
Vielleicht denken manche, ein Stück für Kinder sei irgendwie leichter zu schreiben. Natürlich ist das absolute Gegenteil der Fall. Gerade bei Musik für Kinder ist die kompositorische Anforderung sogar höher, entweder aus hörpsychologischen Gründen oder auch aus Fragen der fortgeschrittenen Instrumentalkenntnis, wenn man zum Beispiel für junge Spieler (oder Anfänger) schreibt. Schon oft habe ich gestandene Komponisten scheitern sehen, weil sie beim Schreiben nicht ihr übliches Repertoire an Multiphonics und anderen fortgeschrittenen Spieltechniken verwenden dürfen. Da bleibt dann oft wenig übrig, denn die instrumentale Virtuosität der Neuen Musik dient gerne dazu, fehlende Inspiration zu kaschieren. Musik für Kinder verlangt dagegen bedingungslose Ehrlichkeit der eigenen Idee gegenüber. Und sie hat das allerkritischste (weil ehrlichste) Publikum: Kinder!
Gerade Kinder haben ein untrügliches Gespür für Authentizität, das nur selten versagt. Oder erst dann, wenn ihnen Fernsehwerbung und Kommerz ihnen dieses Gespür geraubt hat (und sie plötzlich Prinzessin Lillifee verfallen sind). Im Grunde ist ein Auftritt vor Kindern die heilsamste (und nervenaufreibendste) Erfahrung für jeden Künstler. Man muss sich tatsächlich wesentlich mehr anstrengen als vor dem durchschnittlichen Erwachsenenpublikum. Und Kinder laugen einen auch mehr aus. All dies ist aber als positiv zu verstehen. Gute Kinderkonzerte zu machen verlangt einem höchste Professionalität und 100% Einsatz ab. Wenn man sie ernst nimmt und nicht lieblos als Pflichtaufgabe betreibt, was leider oft geschieht.
Warum dies „zweitklassig“ ist, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben. Vielleicht erwartet man von den Kindern keinerlei dauerhafte Wertschätzung oder effektive Mundpropaganda. Aber jeder von uns wird sich doch an prägende und dauerhafte musikalische Erfahrungen als Kind erinnern, und wie wichtig diese für unser Leben waren. Kinder haben ein wesentlich besseres Gedächtnis als die Alzheimer-gefährdete Klientel der normalen klassischen Konzerte. Sie vergessen nicht, wenn sie etwas beeindruckt hat. Warum also so lieblos?
Und das ist auch in anderen Kunstgenres so – Klassiker der Kinderbuchliteratur gehören zu den absoluten Dauerbrennern im Buchgeschäft, sie werden im Gegensatz zu den meisten zeitgenössischen Werken immer wieder neu aufgelegt und von neuen Generationen von Kindern verschlungen, die dann – selber erwachsen geworden – diese Bücher ihren eigenen Kindern vorlesen. Das könnte doch in der Musik auch funktionieren?
Aber auch in der Literatur gibt es die Zweiklassengesellschaft – nach wie vor schämen sich viele „Intellektuelle“, eine Begeisterung für Jugend- oder Kinderbücher zuzugeben, wenn man sich doch viel lieber mit vielen klug klingenden Sätzen über den neuen langweiligen Wälzer von Handke oder Walser auslassen kann. Den man in Wirklichkeit ja gar nicht gelesen hat, im Gegensatz zu „Harry Potter“ oder den „Tributen von Panem“.
Und auf diese Bücher trifft definitiv das zu, was man auch über Kindermusik sagen kann:
Viel besser als ihr Ruf.
Moritz Eggert
Aktuell als Kinderkomponist tätig mit: „Teufels Küche“ (Kampnagel Hamburg) und „Ankunft des Strassenkönigs“ (Freie Jugendorchesterschule Berlin).
Komponist
Volle Zustimmung.
Ich hab schon überlegt, im Kommentar einen Vergleich mit Kinderliteratur zu ziehen, aber das hast du bereits getan. :-)
Eins nur: Ich schrecke selber zurück, wenn ich „Musik für Kinder“ höre. Das ist wohl nix für mich, denke ich – und ich glaube, das stimmt schon irgendwie.
Die Musik, die mich in meiner Kindheit am meisten fasziniert hat, war nicht explizit für Kinder. Insofern finde ich, dass man auch die Frage stellen darf nach Musik, die Kinder *und* Erwachsene gleichermaßen zufriedenstellt. Das muss nicht immer sein, aber es sollte das eben auch geben.
Lustig fände ich, spontan gedacht, auch einen Kompositionswettbewerb, wo die Jury zu 50% (oder mehr) aus Kindern zusammengesetzt ist. Würde wohl einmal ein etwas anderes Ergebnis bringen. Oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls spannend.
Hallo Moritz,
Deine beiden oben genannten Werke, darunter eine „Kinderoper“ (in Anführungsstrichen, weil in „Teufels Küche“ ja nicht gesungen wird und der Teufel sogar stumm ist), führen beispielhaft vor, was Kinder und Jugendliche zur sogenannten klassischen und speziell zur neuen Musik bringen kann: sie nicht nur als konsumierendes Publikum zu betrachten, sondern sie in das Geschehen einzubinden oder für sie als Akteure zu schreiben.
Ich kann dir garantieren, dass die Schüler, die einst Deine Schreibmaschinensymphonie als „Tutti“ mitspielten, heute mit spitzen Ohren in Konzerte gehen. Sie haben freilich zudem unterschiedlichste Möglichkeiten der Klangerzeugung im „normalen“ Unterricht gelernt und praktiziert.
Kurzum:
Selbermachen ist der beste Weg zum Ziel.
Den geht beipielsweise auch Bernhard König und zwar mit den unterschiedlichsten Menschen:
http://www.schraege-musik.de/
Danke für diesen Artikel. Im Kulturbereich ist es ähnlich. Nirgends liest man Nachberichte von Kinderführungen in Museen oder anderen Kinderevents.
Allerdings ist das Thema ‚Photo‘ sehr schwierig. Viele Eltern möchten nicht, dass Bilder ihrer Kinder veröffentlicht werden. Somit ist es eine Herausforderung, Kinderveranstaltungen abzulichten.
Lieber Herr Eggert,
Ihre Beobachtung:
„Die Zeitungen kündigen Kinderprojekte eher pflichtbewusst als wirklich begeistert an, oft fehlen im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen Bilder oder weitergehende Informationen. Pressekonferenzen für Kinderstücke sind ungefähr so selten wie Gnus in Göttingen.“
ist durchaus korrekt. Allerdings können Zeitungen aus … kein Gold machen. Wenn ein Veranstalter an die Redaktion nur eine pflichtbewusste, aber nicht begeisternde Mitteilung schickt (häufig gibt es nicht einmal das!), darf man sich nicht über das Resultat wundern. Und wenn die Redaktion trotzdem interessiert ist, aber nicht einmal auf Nachfrage Bilder oder weitergehende Informationen erhält, gilt dasselbe.
Antworten von Pressestellen wie „Zu unseren Kinderkonzerten versenden wir keine Pressemitteilungen, die sind sowieso immer ausverkauft. Wenn wir dafür Werbung (sic!) machen, würden wir ja nur eine Nachfrage wecken.“ sprechen Bände. Weitere solche Zitate, aber auch Hinweise, wie man es besser machen kann, finden sich in unserem Leitfaden für Pressearbeit speziell zu Kinder-, Jugend-, Musikvermittlungs- und konzertpädagogischen Projekten: http://www.musik-heute.de/service/
Genauso zutreffend ist übrigens Ihr Eindruck, dass es in den Zeitungen kaum Rezensionen zu musikalischen Kinder- und Jugendprojekten gibt. Leider sind die Besprechungen auch bei den „Erwachsenen“-Veranstaltungen stark rückläufig.
Mit besten Grüßen,
Wieland Aschinger
Herausgebender Redakteur, musik heute
OT:
Bin unsicher, ob die Kommentare ankommen, die ich versuche zu schreiben. Hab schon mehrmals versucht was zu schreiben, was nie aufschien. (Hab auch schon 1-2 Tage gewartet, da ich dachte, es liegt nur an der Freischaltung) Die verlinkte Registrierfunktion (bei den Nutzungsbedingungen) ist auch ein toter Link.
Sehr geehrter Knopfspiel, aus irgendeinem kühnen Grunde hat das Spam-Modul Ihre Kommentare in den Spam-Ordner verschoben. Danke, dass Sie sich gemeldet haben, so konnten die Kommentare wiedergefunden werden. Ich versuche, der Sache auf den Grund zu gehen. Nur zur Info, ansonsten haben wir es hier seit Bestehen des Blog schon mit knapp 600.000 Spam-Kommentaren zu tun. Allein in den letzten sechs Monaten gab es über 100.000 Spams. Wegen der Nutzungsbedingungen mache ich mich auch noch kundig. Leider bin ich gerade unterwegs. Etwas Geduld. Danke und Entschuldigung.
Martin Hufner
Lieber Guntram,
Ich mag Bernhard Königs Arbeit sehr und schätze mich glücklich, vor vielen, vielen Jahren auch mit ihm gemeinsam am Hochs Konservatorium in Frankfurt studiert zu haben. Was er macht ist ganz großartig und könnte wesentlich mehr gewürdigt werden, daher danke für den Link-Hinweis, Guntram!
Und willkommen zurück beim Blog!
Lieber Herr Eggert,
Ihrem Artikel könnte man ja voll und ganz zustimmen – wenn da nicht dieser kurze Kommentar vom 21. November wäre.
Wie passt das zusammen? „Gute Musik für Kinder“ propagieren, Qualität einfordern, sich mehr Aufmerksamkeit für Kinderkonzerte zu wünschen – und dann einen Atemzug später, völlig unkritisch und ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung einen ehemaligen Mitstudenten über den grünen Klee loben, bloß weil er ab und an Kindermusik schreibt?
Der Kollege, der hier als „ganz großartig“ und „würdigenswert“ gelobt wird, braucht sich über fehlende öffentliche Aufmerksamkeit ganz gewiss nicht zu beklagen. Aber Aufmerksamkeit für was denn eigentlich?
Bernhard König schreibt seichte Liedchen für Kirchentage, bezeichnet sich selbst als „Gebrauchsmusiker“ und lässt sich im Kino als Altenheim-Messias feiern. Musikalischer Anspruch? Fehlanzeige! Stattdessen wird kompositorisches Unvermögen durch protestantisch verbrämtes Gutmenschentum kompensiert.
Ein „Kinderkomponist“ wie er im Buche steht – nur, dass er seine Kindereien eben leider auch Erwachsenen aller Altersklassen zumutet.
Und selbst wenn er dafür weniger Aufmerksamkeit bekäme als andere (was ja mitnichten der Fall ist): Mitunter wird (danke, Herr Aschinger, für die deutlichen Worte!) Aufmerksamkeit eben auch zu Recht vorenthalten.
Nun, bester Troubadour,
im Zusammenhang mit Moritz Eggerts Artikel habe i c h Bernhard König genannt. Dabei ging ich von dem Gedanken aus, dass Kinder und junge Leute durch das Selbermachen zur Musik gelangen – zu welcher Musik auch immer. Dafür nannte ich ein Beispiel, das Moritz Eggert selbst (und mich) betraf.
Meine Gedanken zum Selbermachen führten mich dann zu Bernhard Königs Konzept, Menschen, von denen man es auf Anhieb nicht erwarten würde, zu musikalischen Betätigungen zu bringen, die auf ihre Seele und ihr in manchen Fällen verschüttetes Selbst heilsam wirken. Der Ansatz Bernhard Königs ist natürlich kein genuin künstlerischer, sondern ein gesellschaftlicher, meinetwegen auch ein pastoraler. Dabei entsteht ganz sicher viel, das kein künstlerisches Niveau hat, jedenfalls keines, wie es hier in diesem Blog erwartet, propagiert und verteidigt wird.
Wenn es so ist, dass Bernhard König „seichte Liedchen für Kirchentage“ schreibt, dann kann man das als keinesfalls „protetantisch verbrämter Gutmensch“ ablehnen und vielleicht sogar bekämpfen (ich selbst habe vor etwa 40 Jahren meine Mitwirkung an Gottesdiensten aus ähnlichen Grunden aufgegeben), doch aus Bernhard Königs Gebrauchsmusik auf sein „kompositorisches Unvermögen“ zu schließen, halte ich für unangebracht; es grenzt an üble Nachrede.
Lassen wir doch die Kirche im Dorf. ;-)
Einverstanden, lieber Herr Erbe, lassen wir die Kirche im Dorf und horchen etwas genauer hin, was aus dieser Kirche heraustönt. Was ich Leuten wie Bernhard König vorwerfe (und er ist da nicht der einzige, bei Helmut Bieler-Wendt zum Beispiel geht es in eine ähnliche Richtung), ist, dass eine ursprünglich gute Idee in ihr Gegenteil verdreht wurde, nämlich Kinder an Musik heranzuführen.
Es gab und gibt sie ja durchaus, die „gute Musik für Kinder“. Herr Eggert hat Lachenmann und Henze genannt, man könnte hier auch Spalingers wunderbare „konzepte zur ver(über)flüssigung der funktion des komponisten“ nennen. Genauso wie es sogar gute Musik für die Kirche gibt. Aber was diese Stücke „gut“ macht, ist doch, dass sie ihrer eigenen, inner-musikalischen Logik und ihren eigenen Bewegungsgesetzen folgen. Die musikalische Qualität steht an erster Stelle, die Musik bleibt „Komponistenmusik“ und widersetzt sich der Vereinnahmung durch die Gebrauchsfunktion.
Bei König und seinen Gesinnungsgenossen dreht sich dieses Verhältnis um. Nur noch der Zweck und die Gebrauchsfunktion ist entscheidend, Wie es klingt, ist völlig gleichgültig. Manchmal tönt’s vielleicht auch ein bisschen „neu“, aber das ist dann bloß noch Attitüde. Angenommen, es wäre kein kompositorisches Unvermögen, sondern er könnte es wirklich besser. Würde das die Sache nicht fast noch schlimmer machen? Dann wäre es nämlich Verrat an der Musik. Es geht nicht mehr darum, Kinder an die selbige heranzuführen, sondern Musik wird für alles mögliche benutzt. Wie sie klingt, ist völlig zweitrangig.
Die Frage, ob Herr König komponieren „kann“ oder nicht, ist aber eigentlich ziemlich unerheblich. (es lässt sich schwer überprüfen, denn bezeichnenderweise
findet man in Netz kaum Klingendes, dafür aber umso mehr bunte Bildchen). Worum es mir geht, ist eine bedenkliche Tendenz, die sich in den letzten Jahren immer mehr breit macht: Leute wie er beliefern einen Eventbetrieb, in dem sie ein „Begegnungs“ und „Projekt“-Strohfeuer nach dem anderen abfackeln. Das kommt gut an bei den Festivalmachern und Redakteuren, es glänzt und glitzert und man kann sich noch auf die Schultern klopfen, weil man was für Behinderte oder Kinder oder andere „Randgruppen der Gesellschaft“ getan hat. Was dabei auf der Strecke bleibt, ist,
ich sage es ganz altmodisch: Die Kunst. Die Kunst und das genaue Hinhören, die
ästhetische Auseinandersetzung. Das ist eben keine „Komponistenmusik“ mehr, wohl auch keine richtige Kirchenmusik oder Kindermusik. Sondern man könnte es vielleicht als „Konzertpädagogen-Musik“ bezeichnen. Hatte der gute alte Adorno davor nicht schon vor gefühlten hundert Jahren gewarnt?
Nun ja, man kann sich mit Grausen abwenden von dem Tun des Bernhard König und dessen „Gesinnungsgenossen“, so wie sich einige meine Nachbarn abwenden, wenn die Schülerinnen und Schüler der nahen Berufsschule für Gehörgeschädigte täglich zweimal an unseren Häusern vorbeikommen und Laute von sich geben, die Sprachorientierte zutiefst erschrecken.
Da braucht es schon einer gewissen Kunst der Hinhörens, um zu verstehen, was diese scheuen Leute einem sagen wollen. Meist sind sie erstaunt, dass sich überhaupt jemand ihnen zuwendet. Ein Mädchen ist dabei, das traumverloren singend die Straße entlang tanzt.
Als meine Schwiegermutter über zwei Jahre unbeweglich im Bett lag, ohne sich artikulieren zu können, brachte ihr eine Pflegerin täglich ein wenig Glanz in die unbeweglichen Augen, wenn sie ihr ein Kinderlied vorsang (und das ohne Kunstanspruch).
Damit will ich sagen, dass es kein Verrat an der Musik oder an der Kunst ist, wenn man sich ohne genau artikulierte künstlerische Maximen oder Vorbedingungen Menschen mit Hilfe welcher Musik auch immer zuwendet.
Übrigens: Musik ohne Gebrauchsfunktion gibt es nicht.
Und am Rande: gerade habe ich im Fernsehen das Mittagsmagazin von ARD angesehen. Da wurde ein hochgestochenes Gerichtchen kreiert und verköstigt. Keinerlei Verrat an der Kochkunst war zu entdecken, aber ich bin mir sicher, dass der beleibte Koch, die Moderatorin und die Gäste nach Abschalten der Kameras zusammen noch ein zusätzliches, grundsolid nahrhaftes, für Gourmets frelich ekliges Mittagessen reingestapelt haben.
Mahlzeit!
Sehr geehrter Troubadour,
ich bin mir nicht sicher, ob meine Worte tatsächlich „deutlich“ waren: Denn in meinem Kommentar habe ich nicht im Entferntesten dafür plädiert, einer Sache die Aufmerksamkeit *vorzuenthalten*. Im Gegenteil wollte ich darauf hinweisen, dass Veranstalter (Orchester, Konzert- und Opernhäuser, Festival etc.) selbst über ihre Kinderprojekte vielfach nur unzureichende oder gar keine Informationen an die Presse geben.
Mit besten Grüßen
Lieber Herr Erbe, Sie sprechen zwei Dinge an, mit denen ich völlig einverstanden bin, die man aber meines Erachtens nicht leichtfertig vermischen sollte.
Auf der einen Seite die „Kunst des Hinhörens“. Ist es nicht genau darum der Neuen Musik stets gegangen? Von einer „guten Musik für Kinder“ würde ich mir genau das wünschen: Dass sie nicht musikalische Aktivität (egal wie, egal mit welchen Mitteln) als Selbstzweck verfolgt, sondern dass sie die Ohren öffnet und zu dieser „Kunst des Hinhörens“ hinführt. Gerade davon aber vermag ich im Werk der genannten Kinder-Komponisten wenig zu erkennen.
Auf der anderen Seite habe ich auch nicht das Geringste gegen das Kinderlied am Bett Ihrer Schwiegermutter einzuwenden. Bloß: Die Pflegerin ist eine Pflegerin und behauptet nicht von sich, Komponistin zu sein. Sie zerrt Ihre kranke Schwiegermutter bei dieser höchst privaten Angelegenheit auch nicht ins Licht der Öffentlichkeit.
Genau das aber ist bei Herrn König anders. Er würde sich eben nicht bloß ans Bett Ihrer Schwiegermutter setzen und ihr, mit pflegerischer Intention, ein Lied singen. Dagegen hätte ich ja gar nichts, wenn er das als therapeutische oder pflegerische Maßnahme machen würde. Er aber würde dieses Kinderlied (und Ihre Schwiegermutter gleich mit) als ganz hohe Kunst verkaufen und sich gleich noch ein ganzes Filmteam dazuholen, das ihn bei dieser künstlerisch ach so wertvollen Tätigkeit begleitet.
Wenn Sie glauben, ich übertreibe, dann schauen Sie mal hier: http://daslieddeslebens.lichtfilm.de/
Was mich stört, ist diese Vermischung: Muss man denn jede Beschäftigungstherapie gleich zum Gesamtkunstwerk aufbauschen?
Herr Aschinger, auch wenn ich Ihr Sie offenbar missverstanden habe: Ich selbst bin jedenfalls entschieden der Meinung, dass nicht jede musikalische Äußerung eine eigene Pressemitteilung, eine eigene Homepage oder gar einen ganzen Film braucht. So wie ich auch der Meinung bin, dass nicht jede musikalische Äußerung zur „Komposition“ und zum „Kunstwerk“ hochstilisiert werden muss. Das – und nur das – ist es, was ich Bernhard König und Co. vorwerfe.
Kurz gesagt (um die schöne Formulierung von Herrn Erbe aufzugreifen): Liebe Konzertpädagogen, Kinderliederschreiber, Gebrauchs-Komponisten und verhinderte Musiktherapeuten: Lasst IHR doch bitte die Kirche im Dorf!
Bester Troubadour,
ich konnte nicht entdecken, dass auf der verlinkten Seite das „Lied des Lebens“ als „hohe Kunst“ bezeichnet oder propagiert wird. Es handelt sich dabei um mehr und um weniger als das, und das wird deutlich gezeigt.
Würde ich nun auch troubadourpauschal argumentieren, dann würde ich jetzt darlegen, dass das Eifern gegen „Bernhard König und Co.“ die „hohe Kunst“ (für Hohepriester) kaum retten wird. ;-)
Ich denke, wir können uns wieder anderen Problemen zuwenden.