Auch wir gratulieren dem treuen Genossen Hans Pischner!
Lieber Genosse Pischner,
wenn so ein getreuer Diener des Deutschen Volkes das stattliche (staatliche?) Alter von 100 Jahren erreicht, so ist es uns quasi Pflicht, auch von Seiten des Bad Blog ganz herzlich zu gratulieren.
Nachdem zu Deinem 99. Geburtstag das DeutschlandRadio schon gleich sieben 90-minütige Sendungen über Dich und Deine Zeit gebracht hat, können wir Dir jetzt schon verraten, dass der BR gegen Ende des Jahres einen ganzen „Pischner-Tag“ veranstalten wird, in dem von morgens bis Abends Deine Musik gesendet werden wird, nur unterbrochen von den Nachrichten und der Wettervorhersage. Das Ganze eingebunden in die nordkoreanische Themenwoche, was dir sicherlich gefallen wird.
Und damit nicht genug: wie soeben bekannt wurde, ist Woody Allen an einem Remake seines eigenen Films „Zelig“ interessiert, in dem es um Dein spannendes und facettenreiches Leben gehen soll, denn fröhlich und munter hast Du dem jeweils vorherrschenden System brav gedient und bist doch immer der selbe freundliche und irgendwie auch knuddelige Mensch geblieben, der Du immer warst. Halt so richtig und von Herzen wetterwendisch. Das muss man einfach mögen!
Schon allerlei kulturelle Schwergewichte haben Dir gerade eben – vollkommen berechtigt – zu Deiner langen Karriere gratuliert, darunter Daniel Barenboim, Jan Brachmann und Jürgen Flimm. Auch wir staunen ob Deiner Fähigkeit, Deine Weste auf jeden Fall rein zu halten, egal wie viel Scheiße um Dich herum durch die Gegend fliegt.
Das ging ja schon früh los bei Dir – so warst Du schon als 24-jähriger 1938 als „Repräsentant des Deutschtums“ im Sudetenland unterwegs, im Auftrag einer gewissen „Regierung“ über deren kleine Fehler wir hier einmal gnädig hinwegsehen wollen. War ja alles nicht so schlimm, und immerhin haben wir ja jetzt Autobahnen und so!
Nach dem ja leider verlorenen – sei’s drum – Krieg ging Deine Karriere dann steil weiter, denn im Gegensatz zu vielen anderen erkanntest Du am schnellstem, dass es im Osten mit einem System weiterging, das sich nur in kleinen Details von dem vorherigen unterschied, zumindest was die freie Rede, die Zensur und die Bespitzelung anderer anging. Kurzum: da Du das alles ja schon gewohnt warst, konntest Du Dich da schnell anpassen. Eine mächtige Karriere hast Du da hingelegt höchstrangiger SED Kulturfunktionär, SED Mitglied von Anfang an, langjähriger Opernintendant und stets „an der staatlichen Willensbildung und Ausübung der Staatsmacht beteiligt“ (Zitat Pischner, 1977).
Dass man da sicherlich über ein paar Leichem gehen musste, verschweigen wir hier gerne, und einige Berichte über das Leben anderer Komponistenkollegen hast Du sicherlich auch abgeben müssen. Vielleicht musstest Du auch – natürlich rein aus Gründen des Staatsschutzes – die eine oder andere Karriere im Keim ersticken, aber egal, wir feiern, wir feiern Dich, Du großen Sohn Berlins, der so sympathisch stets die ja schon sprichwörtliche Berliner Schnauze hielt (und sie anderen zuhielt, höhö).
Öffnen wir doch einen Champagner auf den Mann, der zum Beispiel am 9. April 1957 als Vorsitzender der Arbeitsgruppe des Kultusministeriums die Schaffung klarer gesetzlicher Grundlagen bei Überprüfungen von Literatur aus Privatbesitz, zum Beispiel bei Umzügen. empfahl. Am bestem gleich abfackeln wie in „Fahrenheit 451“, diese ganze zersetzende Westkultur! Dass Du die legendäre „Negerporno“-Sammlung Deines großen Vorbildes Erich Honecker natürlich als Ausnahme angesehen hast, versteht sich von selbst, nicht wahr? Vielleicht hat er Dich ja auch mal mitgucken lassen, der Erich!
Dass Du die gute, gründliche und umfassende Arbeit der Stasi stets zu würdigen gewusst hast, beweist ja auch Dein Glückwunschtelegramm an den anderen Erich (Mielke) zum 20-jährigen Bestehen derselben. 20 Jahre komplette Überwachung und Zerstörung möglichst vieler widerständiger Existenzen, das war doch nun wirklich ein Grund zum Feiern, Teufel aber auch! Die Korken knallen noch heute!
Leider zeichnete sich – so im Jahre 1989 muss es gewesen sein – eine unwesentliche Neuausrichtung der allgemeinen politischen Verhältnisse in Deutschland ab, die Deiner bisherigen Pöstchensammlung einen etwas problematischen nennen wir es mal „haut-gout“ verpasste. Wie konnte es jetzt weitergehen? Noch direkt vorher hattest Du Dich ja für den Erhalt der alten Kameraderie unter den Genossen und die umfassend kommunistische Erziehung der Schuljugend eingesetzt. Sollte das nun alles umsonst gewesen sein? Die Zeit nach der Wende war für Dich nach eigener Aussage erst einmal „schwierig“. Ungefähr eine Woche lang vermutlich. Denn so schnell lässt sich ein Profiopportunist wie Du nicht entmutigen, in die Zukunft schauen lohnt alle Mal!
Deswegen können wir Dein großes Jubiläum ja heuer auch so unbeschwert feiern, das Schicksal der vielen Dissidenten, der Mauertoten, der politischen Häftlinge….all dies ist ja schlicht und einfach der „Macht des Schicksals“ unterworfen, wie es Verdi sagen würde, und wer sich nach dieser Macht sein Leben lang streckt und reckt und brav deren Befehle befolgt, dem soll es schlecht nicht gehen, der ist ein echter Berliner, ein echt dufter Typ, einfach ein Vorbild für unsere Jugend. Eben wie Du!
Und die Jungen können ja dringend so Vorbilder wie Dich brauchen, denn eins ist sicher: freier wird die Zukunft wohl nicht. Wird eh überschätzt, die Freiheit, Hauptsache es geht einem selber gut.
Und was das angeht, da hast Du, Hans Pischner, ja schon immer einen besonders guten Riecher gehabt, nicht wahr?
Na denn mal Prosit!
Moritz Eggert
Komponist
Danke für den Hinweis! Vielleicht könnten manche Quellen das Bild zu Hans Pischner noch mehr erhellen, Selbststilisierung wie Umgang heute damit durch Feiernde wie Kritische:
– VERDRÄNGUNG: Stilbruch, RBB, 13.2.14 (bis 13.2.15 in ARD-Mediathek, ca. min. 4:35, zuvor Kommentator zu Bildern von Pischner bei Erhalt eines DDR-Preiese, einer Rede vor DDR-Funktionären, dass Pischner sich zu sehr auf seine Kunst konzentriert habe, die Entwicklung der DDR zur Diktatur ignorierte): „… DDR sozusagen nur gesehen mit der Stasi-Keu-Kröte (unverständlich) totgeschlagen. Und das ist nicht meine Welt. Ich halte nichts von den nachträglichen Hexenjagden. Wir beide (meint wohl Ost/West-Systeme?) haben es nicht geschafft, das Scheitern eines Ideals gibt es auch (Bilder eines Spreespazierganges von Pischner mit seinem Sohn).“
– OPFER DER SPÄTEN DDR: NZZ-Feature zu Pischners damals neu erschienener Autobiografie „Tasten, Taten, Träume. Musik und Politik zwischen Utopie und Realität“, 23.8.06, Ulrich Teusch: „Im Laufe der Jahre haderte Pischner zunehmend mit seiner Partei- und Staatsführung; doch das Misstrauen beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Unmittelbar nach seiner Bestellung zum Staatsopern-Intendanten setzten die Machthaber einen Stasi-Spitzel auf Pischner an, der ihn bis zum bitteren Ende seiner Amtszeit begleiten sollte.“
– RECHTFERTIGUNG DER JUBILARFEIER: Thüringer Allgemeine, 17.4.14, Reaktion des Berliner Staatopernintendanten Flimm auf Anfrage: „Er versage sich, so Flimm, auf jeden Punkt einzugehen betonte jedoch, dass es sich bei der von Wallmann kritisierten „Umarmung von Pischner“ lediglich um eine Aufführung von Schuberts „Forellenquintett“ gehandelt habe“. Wer das o.g. Stilbruch-Feature sieht, bemerkt, wie bei jenem Forellenquintett etliche Honoratioren, darunter Flimm, Pischner standing-ovations spenden.
– KRITIK AN PISCHNER durch Johannes Wallmann, dem man in den 70/80er Jahren das Kompositionsdiplom an der Musikhochschule in Weimar vorenthielt, deren DDR-Apparat in den 50ern aufbaute, also wohl auch in den 70ern noch Lehrende. Ebenfalls Thüringer Allgemeine, 17.4.14 über Wallmanns offenen Brief an Barenboim: „Wer den „Machtmissbrauch von Musik à la Pischner“ feiere, so Wallmann, übergehe die „Verbrechen des Realsozialismus“. Während die Verbrechen des Nationalsozialismus als solche benannt werden, werde die „SED-Scharfmacherei“ Hans Pischners als „Träumerei“ und „Idealismus“ abgetan.“
– SED-FUNKTIONÄR PISCHNERS WIRKEN AN DER HFM WEIMAR: Zukunft Musik: eine Geschichte der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar von Wolfram Huschke, Böhlau, Weimar 2006, S. 358, Zitat aus einem Interview mit dem Pianisten Dieter Zechlin, Ender 40er Student an der HfM Weimar, vom 3.10.96: „Die Lebensgeschichte (Pischners) ist … die Geschichte eines Opportunisten, wie er im Buche steht. Jedesmal scharf, aber jedesmal auf der diametral entgegengesetzten Seite… Diese Typen sind immer am krassesten. Und Pischner war als Hauptmann in sowjetische Gefangenschaft geraten und schloß sich sehr schnell, nachdem er als Hauptmann den pro-nazistischen Widerstand mitorganisiert hat und als wilder Eintreiber galt, dem Nationalkomitee (Freies Deutschland) und kam geschult zurück und wurde in Weimar als zweiter Mann eingesetzt. Das war ja die Taktik, die Leute nicht an erster Stelle einzusetzen, sondern als Steuerleute im Hintergrund fungieren zu lassen…, zunächst beim Schulz und dann beim (Ottmar) Gerster (damals HfM-Direktor), die ja freundliche und gute Leute waren. Aber er schmiß mich eigenhändig aus der Hochschule, das muss im Frühjahr 1949 gewesen sein. Wie gesagt, war ich politisch uniteressiert bis vorlaut, wie man damals so war. Ich hatte auch keinerlei Veranlassung, die Dinge gutzuheissen, es war ja auch eine wirre Zeit. Und Pischner war ein sehr eifriger Doktrinär.“
– WIRKEN IM DDR-KULTURMINISTERIUM ALS STV. MINISTER ZUR BESSEREN STEUERUNG DER MUSIKVERLAGE IM SINNE DES DDR-REGIMES: „Noten nach Plan: Die Musikverlage in der SBZ/DDR – Zensursystem, zentrale Planwirtschaft und deutsch-deutsche Beziehungen bis Anfang der 1960er Jahre (Beiträge Zur Unternehmensgeschichte“ von Bettina Hinterthür, Stuttgart 2006, S. 476: „Ursprünglich hatte Ministerstellvertreter Hans Pischner bei der Kollegiumssitzung sogar gefordert, dass alle belletristischen Werke in einem volkseigenem Musikverlage scheinen sollten, weil nur dort vom Lektorat her die Voraussetzungen gegeben seien, dass die Manuskripte „fachwissenschaftlich und politisch richtig bewertet werden.“
Fazit: Standing Ovations von Flimm und Co zwar vor einem nicht unverdienten Opernintendanten, der Funktionen seines Haus selbst mit Nicht-DDR-Bürgern besetzte, wie Suitner, manche Schostakowitschoper vor deren Sowjetrehabilitierung wieder aufführte, etc. Aber sehen wir es so: auch ein Richard Strauss konnte Teile seiner jüdischen Familie v.a. unter den Fittichen der kunstsinnigsten NS-Politiker retten. Also muss ein kunstsinniger richtig handelnder Mensch noch lange kein politisch richtig handelnder sein. Ausserdem ist nicht zu vergessen, dass die Staatsoper Unter den Linden als internationales Aushängeschild galt, in aller Welt auf Tournee war, derweil Provinzbühnen kaum die Luft hatten, sich die direkten Freiheiten wie die Lindenoper herauszunehmen. Die Opernintendantenzeit entschuldigt zudem das doktrinäre des 40 Jahre alten Genossen nicht. Er war Mitglied des ZK wie Krenz und Honecker bis zum Ende der SED! Wenn also Flimm und Co standing-ovations gegenüber diesem Mitglied des ZK zollen, der nur unter den damaligen Bedingungen eben dank seiner Rolle im Politsystem der DDR dieser Intendant werden konnte, dann applaudieren Flimm und Co letztlich auch Mielke, Honecker und Co! Nun, da werden wohl Blogautoren und Kommentatoren in nächster Zeit die Berliner Staatsoper meiden dürfen. Aber eines sei auch noch erinnert, Moritz: Lese ich den Cicero, 5.8.11, dann heisst es über Sebastian Baumbauer, der nun Dein Prof.-Kollege in München ist: „Den Siebdruck des Künstlers Arno Mohr erhielt Baumgarten von seinem Großvater Hans Pischner, dem langjährigen Intendanten der Berliner Staatsoper.“ Also nicht wundern, wenn es nun keine Regie-Kompositionsklassenprojekte mehr geben sollte. Oder sollten die jüngeren nicht doch miteinander reden können? Ich hoffe es inständig!
Hier noch ein Auszug aus einer Dankeseloge Pischners 1986 als DDR-Kulturbundspräsident als Ergebensheitadresse an Erich Honecker, ohne dessen Person und Vorbild Kunst nicht möglich sei…Zitiert als Einleitung zu „Glanz und Elend einer Idee“ in „VIA REGIA – Blätter für internationale kulturelle Kommunikation Heft 1/3 März 1993“ von Dr. Jürgen Fischer:
„Lieber, hochverehrter Genosse Erich Honecker! Es gehört zu den guten Traditionen der Partei der Arbeiterklasse, daß deren Repräsentanten das Bündnis mit der Intelligenz unseres Landes stets pflegen und das Gespräch führen. Wir danken Ihnen, lieber Genosse Honecker, daß Sie, dieser Tradition folgend, uns, die Vertreter des Kulturbundes, der Akademie der Künste, der Künstlerverbände und des künstlerischen Volksschaffens, am Vorabend des Nationalfeiertages der DDR empfangen und uns Gelegenheit geben, in Ihrer Person der Partei der Arbeiterklasse und dem sozialistischen Staat zu danken für die kluge, auf das Wohl des Volkes gerichtete Politik, die mit dem VIII. Parteitag besonders erfolgreich begründet und mit den Beschlüssen des X. Parteitages der SED konsequent weiter verwirklicht wird … Ihr persönlicher unermüdlicher Einsatz für die Erhaltung des Friedens und die Stärkung des Ansehens unseres sozialistischen Vaterlandes … findet die uneingeschränkte Zustimmung und Unterstützung der Intelligenz unseres Landes … Gestatten Sie, daß ich Ihnen hier, in dieser Stunde unserer freundschaftlichen und herzlichen Begegnung, unseren tiefen Dank für all Ihr Tun und Wirken ausspreche und Ihnen sage, daß Ihr Beispiel uns Ansporn und Impuls zu noch größerer Aktivität für unsere wunderbare sozialistische Sache ist.“
Apropos: rechtfertigen solche Worte das Bundesverdienstkreuz?
Nur dass ich das richtig verstehe: diesem Herrn Pischner wurde ernsthaft gratuliert??? Von Barenboim etc.???
Ist das zu fassen?
Kann man Herrn Ba. dazu befragen? Und Flimmi?
Danke Moritz und Alexander jedenfalls für die Klarstellungen!
Am besten straft man Herrn P. mit Vergessen, totalem und umfassenden künstlerischem Vergessen, auf dass sein Name in den Annalen nur mit einem „Werk“ verbunden bleibe, nämlich dem seines absoluten und fanatischen Opportunismus.
Vielleicht könnten wir übrigens einen neuen Terminus einführen: „pischnern“ – denn es gibt ja auch heute noch so manchen, der seine Karriere nicht unbedingt zusammen zimmert, sondern sie eher sorgsam und fachgerecht pischnert.
:-)
ich dachte zuerst, das ist wieder einer der üblen scherze mit namen und mischungen: hier pintscher und strauss. dann dachte ich, gut erfunden. und dann fiel mir die kinnlade runter, unglaublich.
Hab‘ nochmals mir bekannte Leute befragt, die welche kannten, die ihn kannten: als Intendant und seinen künstlerischen Entscheidungen kann man vielleicht wirklich nicht viel kritisieren. Was den Funktionär betrifft wird es seltsam, was den jungen Karrieristen nach dem Krieg angeht, durchaus ungute, s. die Weimarer Zeit. Das mag man mit dem jugendlichem Idealismus eines gewendeten Antifa-Menschen entschuldigen. Aber da handelte es sich ja um einen Enddreissiger, der durchaus wusste, was ideologischer Rauswurf bedeuten konnte: es traf ja v.a. kirchlich, liberal Eingestellte weniger Ex-Nazis! Zuletzt die heutige Haltung des doch noch sehr wachen Menschen, wenn man die Radiosendungen im WDR5 Anfang dieses Jahres hörte, der auf alle Fälle die Schattenseiten des eigenen Handelns zwischen Kriegsende und Intendanzbeginn zu verdrängen scheint. Das verdunkelt die Leistungen des Intendanten Pischner!
Auch die pflichtschuldigen Äusserungen des Kulturbundchefs mag man als üblichen Kotau vor den Mächtigen abtun. Den gibt es ja auch heute, wenn man Honoratioren begrüsst. Aber so systemtriefend spricht da eben die Stimme eines Mannes, der lange in der zweiten Reihe stand, dort strikter als nötig agierte. Und nur auf diesem Wege schien man an die wichtigsten Posten der DDR gelangen zu können: zuerst sich in der sozialistischen Hackordnung bewähren, Menschen die Existenz verbauen, um dann in der entsprechenden Position Wohltaten zu verteilen.
Da agieren viele Strukturen heute noch ähnlich, was zu hire and fire führt. Nur da agierte ein System, das Menschen nicht gehen ließ, sie einsperrte, die Lebenswege arg krümmte. Und Herr Pischner agierte da anfangs „mittemang“. Und genau das wird übersehen, wenn Flimm und Barenboim, WDR und RBB ihren Kotau vollführen! Liegt das an eigenen Mittelmässigkeiten? Ja, das sind wir alle. Man kann nur froh sein, dass wir in einem freiheitlicheren System treten und bücken können, das nimmt uns die existentielle Gefährlichkeit. Allerdings wenn man dann Menschen wie Ruth Berghaus oder Heiner Müller sieht, kann man sehen, dass es auch ohne dieses extreme Kadervorleben ging.
Übrigens, so sehr man sein Tun für Dessau, Matthus, Goldmann, Katzer loben mag: Frau Berghaus zensierte er sehr wohl öfters! Aus der Weltwoche 2005/25, Corinne Holtz, kann man die gesamte Erbärmlichkeit erkennen, wie Zensur Kunst retten soll und doch spiessige Anti-Kunst ist, indem Einsprüche des Personals herhalten müssen: „So zensiert er gelegentlich ihre Inszenierungen, damit er sie nicht vom Spielplan streichen muss – und rettet damit die avancierteste Stimme an seinem Haus. Er setzt anderseits 1967 «Elektra» ab und 1980 Wagners «Rheingold». Der Widerstand vieler Sänger sowie die Tatsache, dass Berghaus sich «leider mit einem Kreis mediokrer Kräfte» umgebe, liessen ihm keine andere Wahl, begründet Pischner einmal seine Massnahmen.“
Dankenswerterweise wächst sich das hier ja nun zu einem sehr anspruchsvollen kleinen Diskurs über Moral in Zeiten des Totalitarismus und insbesondere künstlerischer Moral aus. Daher möchte ich zu meinem schwungvollen „Verriss“ doch noch etwas Ausführlicheres anmerken.
Zunächst: selbstverständlich weiß niemand von uns Kritikern, welchen Lebensweg er selbst in totalitären Verhältnissen beschritten hätte, weswegen persönlich jedem von uns eine gewisse Bescheidenheit anzuraten ist. Allerdings ist dies auch nicht mehr als eine Binsenweisheit. Niemand weiß, wie er in anderen Zeiten gehandelt hätte. Allerdings darf das in einem derartigen Diskurs auch keine Rolle spielen. Als relativierende Argumentation jedenfalls taugt dieser Standpunkt bestenfalls am Stammtisch. Denn wir sprechen hier ja ausschließlich über Haltung: zunächst über die Haltung, die wir von uns selbst wünschen würden, unabhängig davon, ob wir schließlich unter Belastung unserem eigenen Anspruch gerecht werden würden oder nicht; weiters wohl doch auch über die Haltung, die wir bei anderen zur Voraussetzung machen, um ihnen und ihrem Handeln insgesamt Respekt zollen zu können; und wir sprechen schließlich über die Haltung(en), die sich in den zahlreichen, ja offenbar überreich vorhandenen Verlautbarungen des Herrn Pischner wirklich sehr unzweideutig ausdrücken.
Es gibt Sätze, die nicht aus der Welt zu schaffen sind. (“ Gestatten Sie, daß ich Ihnen hier, in dieser Stunde unserer freundschaftlichen und herzlichen Begegnung, unseren tiefen Dank….“) Es gibt weiters ein Streben nach Macht und Einfluss, welches – ganz und gar unverbunden mit der Sphäre der Kunst und aus ihr weder herleitbar noch mit ihrer Hilfe zu rechtfertigen – stets und immer zu solchen Sätzen führt!
Der Herr Pischner hat sich – stets und immer – für die Seite der Macht entschieden. Er tat dies bereits in seinem Arrangement mit dem Nationalsozialismus (“Repräsentant des Deutschtums” im Sudetenland…) und er perfektionierte es unter der SED-Herrschaft. Damit entschied er sich unwiderruflich für seine eigene Korruptheit und liebe Kollegen, das tat er gewiss nicht blauäugig oder aus Versehen.
Es mutet für mich deshalb abstoßend an, und doch auch wohlvertraut, wenn Pischners offenbare, durch hundert dokumentierte Zitate belegte Amoralität damit relativiert wird, dass er in seinem späteren Amt als Intendant nicht die Oper ruinierte, sondern statt dessen nicht unintelligent seines Amtes waltete.
Was hier in Rede steht, ist der PREIS, den er zu zahlen stets bereit war, um dieses Amt zu erreichen und zu behalten!
Es ist dieser so bereitwillig und immer wieder entrichtete Preis, der ihn und andere seines Schlages in meinen Augen diskreditiert. Und es ist – hier wiederhole ich mich mit Absicht – die völlig kunstferne, ich finde sogar kunstfeindliche Machtgeilheit, welche mich an solchen Figuren einfach in die Verachtung treibt.
Man kann nicht „der Kunst dienen“ und Honecker in dieser Art und Weise ficken.
Denn – auch da möchte ich bitte klarere Unterscheidungen – es ist eines, sich mit Machtverhältnissen, denen man nicht entrinnen kann und unter denen man lebenslang leidet, zu arrangieren (Schostakovitch), aber es ist ein gänzlich anderes, sich dieser Machtverhältnisse virtuos zu bedienen, um selbst nach oben zu klettern auf die Spitze des Misthaufens!
Unsere Herren Honoratioren Flimm und andere sollten sich nebenbei vielleicht fragen, in wie weit ihr eigener Aufenthalt in der Höhenluft sie bereits desensibilisiert hat für die moralzersetztende Wirkung von Macht und Einfluß.
Nein – kein pardon! Es gibt keine Argumente, die dies erlauben würden. Als öffentliche Figur ist Pischner schlicht abzulehnen.
Übrigens: Pischner als Mensch und Privatperson würde ich die gleiche Zuwendung oder vielleicht sogar Hilfe – so er ihrer bedürfte – zukommen lassen, wie jedem anderen Menschen. Aber man soll bitte aufhören, ihn „ehren“ zu wollen! Er hat dies nicht nur nicht verdient. Mit Ehrungen solcher Art verspielt man womöglich statt dessen den letzten Rest von Haltung im Diskurs über die Rolle des Künstlers in der Gesellschaft.
GENAU HIER ABER WIRD ES FÜR MICH ERST WIRKLICH INTERESSANT: was früher die SED war, ist ja heute die Allgegenwart des neoliberalistischen Denkens in den Köpfen der „Verantwortungsträger“. Auch heute gibt es ja eine „Doktrin“, eine Ideologie und dazu passend einen vielfältig ausformulierten, allerdings im unterschied zum historischen Totalitarismus ganz und gar dezentralisierten Machtapparat, mit dessen Hilfe die herrschende Ideologie sich durchsetzt. Pischner selbst ist heute ja völlig uninteressant. Was Relevanz für unsere Gegenwart hat, ist doch nur die Frage, wo sich die Künstler gegenüber der Macht heute positionieren. Und da sehe ich in der Bereitschaft, Pischners Tun zu relativieren und zu entschuldigen natürlich auch den Wunsch nach jeweils eigener Exkulpation am Werke….
Jetzt mal auf zwei Fälle zugespitzt, 2014: wie geht man den Jubiläen von Strauss und Pischner um? Jubeln allein geht in keinem der beiden Fälle. Die künstlerischen wie biografischen Anhaltspunkte und Exkulpationen bei Strauss sind ja sehr gut bekannt, aber taugen auch immer wieder zum Streit, wenn die Reichsmusikkammerpräsidentschaft thematisiert wird, die Zweig-Affäre dagegen ins Feld geführt wird, etc. So eben bei Pischner, erst einmal unbedeutender, doch auch ein Lackmustest des Umgangs mit Vergangenheit von Menschen in Diktaturen und deren Kunstuntersystemen: die Kunst gilt immer dann gerne als Entschuldigungsmaschine,-masche, wenn mit Engagement in ihr /für sie dunklere Lebensspannen gut gemacht werden sollen. Das läuft dann bei Personen, die im 3. Reich oder in der DDR in vom System zuvörderst gestützten Einrichtungen tätig waren. Wobei man sich schon fragt, warum man unbedingt den Künstler im Funktionär suchen muss. Nur zeugt eben selbst die von Pischner zensierte Berghaus, dass man der Politik nie ganz entkommt: je höher der Posten im Kultursystem, um so näher kommt man den exekutiven und legislativen Entscheidungsträgern, wird von diesen ggf. verschluckt, absorbiert, wenn die eigene Rolle zu einer Leitungsrolle wird. Schwierig wird es selbst heute für Menschen, die als Funktionär und Künstler wirken – lange nicht wie in anderen Epochen. Je näher man den entsprechenden Reibungsflächen ist, je mehr setzt man sich Kritik aus. Sogesehen ist es auch heute besser, nicht zu sehr Lobpreisungen auf die Gegenseite loszulassen, dies immer nüchtern zu vollziehen. Aber erleben wir nicht immer wieder, dass in Lobreden bei Preisverleihungen der Laudator plötzlich beim Urknall anfängt oder von Sphären spricht, wo nur wenige hinkommen? Auch dann ist Honecker gar nicht so weit entfernt…