Musikwelt steht Kopf: BBC-TV-Zensur und Dänisches Nationales Kammerorchester
Während wir hier über Sinn und Wirkung von Orchesterfusionen und Geigenmassakern in Deutschland verschlafen diskutieren, zensieren sie in Britannien im TV teilweise Neue Musik, wird das Dänische Nationale Kammerorchester abgeschafft:
BBC-TV schneidet u.a. Harrison Birtwistle Proms-UA aus Sendung
Am Wochenende konnte man live dabei sein, als mit massentauglicher klassischer Musik und Filmmusikausschnitten die diesjährigen Proms der BBC zu Ende gingen. Was man dabei vergisst, dass vor grossem, begeisterungsfähigen Publikum in der Royal Albert Hall die eigeladenen Orchester auch zeitgenössische Musik aufführen. Dabei nicht nur neo-tonales von Muhly oder Adés, sondern auch ältere britische Avantgardisten wie dieses Jahr z.B. mal wieder eine Uraufführung von Harrison Birtwistle. Im BBC-Radio oder auf der Internetseite der Sendeanstalt werden die Konzerte zur Gänze präsentiert. So auch die dabei uraufgeführten Werke, schliesslich sind einige ja Auftragskompositionen der BBC. Bisher wurden die meisten Werke auch im TV ausgestrahlt, nicht im Breitenprogramm, sondern auf dem Spezialkanal für Kultur von BBC 4. Doch hier glaubt man plötzlich, Kunstfilme gewohntes Publikum zu vergraulen, wenn man innerhalb eines traditionellen Orchesterkonzerts auch Neue Musik überträgt, selbst wenn es sich um Dreiminutenstücke handelt wie im Falle von Harrison Birtwistles „Sonance Severance 2000“, zudem mit Esprit vom Britischen Jugendorchester aufgeführt. Wie ihm erging es dieses Jahr auch Helen Grime, Jonathan Dove, John Mcleod, Roxanna Panufnik, Ayal Adler und Kareem Roustom. Alles keine Ferneyhoughs oder Spahlingers, aber Stoff genug, um die BBC-Controller in Angstschweiss um die Quote auf einem Nebenkanal zu bringen, wie so manche Kommentare im Guardian zum Statement Susanna Eastburns von sound and music kolportieren. Aber wen wundert es hierzulande, wo zeitgenössische Musik schon längst im deutschen Südosten nach Mitternacht ausgestrahlt wird. Über die genauen Gründe schweigt sich die BBC aus.
Dänisches Nationales Kammerorchester wird geschlossen
Traurige Nachrichten erreichen uns auch aus Dänemark. Jubelten dort die Musikerinnen und Musiker des Dänischen Radiosinfonieorchesters noch als ihnen eröffnet wurde, dass Fabio Luisi ihr neuer Chefdirigent werden wird, können die Mitglieder des Dänischen Nationalen Kammerorchesters nur noch bangen, was aus ihnen wird. Mal wieder wird einer öffentlichen Radiostation ein Ensemble lästig, mal wieder handelt es sich dabei um das eigentlich spannendere Ensemble. Mit Adam Fischer hatte es bisher einen hochkarätigen Dirigenten, so dass sie es allemal mit dem grösseren Bruder unter Luisi hätten aufnehmen können, es vielleicht zu spannenden Gegensätzen gekommen wären, die das traditionelle Musikleben der gar nicht so unterkühlten Dänen angeheizt hätten. Wie sagt Fischer so trefflich, der seit 17 Jahren dort Chefdirigent ist:“Zu Zerstören ist einfach; verlorenes Vertrauen aufzubauen und zu ersetzen ist um ein Vielfaches härter. Wir haben nicht mehr 17 Jahre, alles von ganz von vorne zu beginnen. Ich sicherlich nicht.“ Einfach herzzereissend! Wer einen ersten Akzent von Unterstützung setzen will, sei so nobel und unterzeichne diese Petition, auch wenn dies nach unserer Erfahrungen eher ein vorzeitiger Kondolenzeintrag ist als ein Zeichen, auf das Hörfunkverantwortliche oder Kulturpolitiker ernsthaft eingehen würden. Nicht nur in Dänemark ist was faul!
Komponist*in