Verstehen und Missverstehen – wie NMZ-Satire ernst genommen wird
Hier ein kleiner Hinweis: in der jetzigen NMZ-Ausgabe (9/14 – 63. Jahrgang) findet sich ein Artikelchen „Das Foto – Absatzmärkte„. Diese Satire, ganz im Lichte der „taktlos-Nachrichten“, suggeriert, dass Komponistenverband und der Verband deutscher Geigenbauer und Bogenmacher als Reaktion auf das Geigenmassaker in Kreidlers „Audioguide“, bald wieder in Oslo, im August auf den Darmstädter Ferienkursen uraufgeführt, Kompositionsaufträge für Stücke ausschreiben wollten, die ebenfalls die Zerstörung von Streichinstrumenten beinhalten, im Gegensatz zu den Billiggeigen in „Audioguide“ aber Bitteschön dann mit wertvollen Instrumenten. In den Kommentarspalten der letzten Tage und Stunden äusserte sich u.a. der Publizist John Borstlap dazu, dessen Schrift „The Classical Revolution“ uns Moritz hier paraphrasierend unter die Lupe nahm und so manchem die Lektüre und Zeit ersparte.
Nun denkt der Kontinentaleuropäer, dass er englischen Humor nicht immer verstünde. Aber umgekehrt scheint es sogar Menschen von den Inseln zu ergehen, obwohl sie Wurzeln auf dem Festland geschlagen haben. So wohl auch John Borstlap. Unter dem Titel „Avantgarde Endlösung“ wird sich erst über Kreidlers „Audioguide“ ausgelassen, mit diesem Titel ähnlich den Kommentarspalten ein Vergleich zur Bücherverbrennung 1933 der Nazis in Berlin gezogen statt den Zorn z.B. die Orchesterfusionierer zu richten. Wobei angemerkt sei, dass Borstlap durchaus das Verschwinden des SWR Sinfonieorchesters Freiburg/Baden-Baden gutheisst, da es böse, böse mit seinen Aufträgen zu den Donaueschinger Musiktagen die schlimme, schlimme Neue Musik befördert habe, die in ihrer schmalen Wahrnehmung vielleicht seiner Meinung nach, ich versuche das nicht zu erforschen, zum Untergang der klassischen Musikkultur mehr beitrug als alle Schliessungen durch finanzielle Gründe in den letzten drei Jahrzehnten. Und dass auch das durch Roger Norrington in neuen Sichtweisen auf die Tradition geschulte SWR-Radiosinfonieorchester in Stuttgart am anderen Ende der Fusion genauso verschwinden wird, ist ihm schier entgangen.
Wer die Welt so bizarr deutet, missdeutet auch mal flugs eine kleine NMZ-Satire. Borstlap glaubt ernsthaft, dass die beiden im Artikel genannten Verbände weitere Instrumentenschredderungen mit Aufträgen unterstützen würden, was diese Verbände kaum wirklich unternehmen würden, da ihnen schlichtweg für so etwas die finanziellen Mittel fehlen. Wie sie eben auch Kreidler fehlen, der mit seinen 2014 in Darmstadt 65 zerstörten Geigen des unteren Preissegments statt den angekündigten 100 unter anderem an seine 2012er Donaueschingen-Aktion mit dem zerstörtem Fusionsinstrument aus Billigcello und Billiggeige im Angesicht des SWR-Intendanten als Kritik an dessen damals noch nicht endgültig beschlossenen Orchesterfusionsplänen erinnerte. So schreibt John Borstlap auf seiner Homepage im letzten Absatz sinngemäß: „In diesem Zusammenhang wird eine interessante und bahnbrechende Initiative der deutschen Geigebauerunion und der Deutschen Komponistengilde ernsthaft beklatscht: Die vereinigten Geigenbauer wollen für die berühmten Darmstädter Sommerkurse und das Donaueschinger Neue Musik Festival Aufträge für neue Stücke vergeben, die sich konzeptuell in ihrer Handhabung der Instrumente spezialisieren wie es in dem Video demonstriert wird (gemeint ist ein NMZ-Media-Video, dass Ausschnitte aus Audioguide zeigt, mitunter die Geigenaktion, Anm.), worauf erwartet wird, dass der Markt für neue Geigen angekurbelt werde.“ Tja, die Grundworte erfasst, aber den satirischen „context“ des NMZ-Artikels komplett übersehen. Ich lache mich immer noch kaputt und bin endgültig davon geheilt, mich mit Borstlap weiter zu beschäftigen…
Komponist*in
Wie dumm muss man sein, um nicht die ironische Gehalt seiner eigenen seriösen Aussagen zu verstehen? Alles was Herr Strauch über das Violinenmassaker geschreben, liest wie eine Karikatur, wie die unterstehende ‚Audio-Guide‘ sich absehen/hören lässt als die ultime, von jungen Deutschen Hooligans gepflegte Karikatur der sechziger Jahre, was heute schon ziemlich muffig geworden ist – aber nicht für die Leute, die sich ihr Bildungsfehlen gar nicht bewusst sind.
Ich hatte das Redaktionsbericht der NMZ als Satire betrachtet, aber nicht die Violinenzerstöring die wirklich stattgefunden hat, und meine Kritik war auf dieser völlig idiote Zerstörung gerichtet, wie Herr Strauch sehr gut weiss, aber für eine schriftliche Rache auf intellektueller Unmacht nicht genutzt werden kann. Und die Verweisung auf meiner Webseite zum NMZ-Redaktionsartikel ‚Das Foto‘ ist natürlich auch ironisch gemeint, aber das scheint für Herr Strauch zu schwierig zu sein.
Alle Geldmittel die von der öffentlichen Hand an den Darmstädter Art Eskapaden verschwendet werden, könnten besser zur Förderung von bedrohter Orchestern / Ensembles / Musikhochschulen usw. angewandt werden, das wäre eine bedeutende und symbolische Geste zur Wiederherstellung einiges der Musikkultur. In dem heutigen Klima wo die Musikkultur politisch im Frage gestellt wird (nicht nur in Deutschland), sind solche kindische Akten besser zu vermeiden: sie bieten den Politikern unberblümte Beweise von Ohnmacht und Dekadenz der Musik überhaupt. Die Schliessung von Orchestern die sich besonders dem Modernismus geweiht hatten, ist im Lichte der verfehlten Idealismus der Nachkriegsavantgarde – ‚in der schönen Zukunft werden Xenakis, Boulez und Stockhausen gefeiert wie einst Bach, Beethoven und Brahms die dann nur Langeweile erregen‘ – und der Druck der einschrumpfenden Geldmittel für Kultur ganz verständlich.
Tja, lieber Herr Strauch,
wenn einem im alten Blog die Argumente ausgehen, eröffnet man einfach einen neuen: Nicht die feine englische Art, meiner Ansicht nach. Wer Strauchs einfache Gedankengänge zum Thema Satire studieren möchte, lese die letzten 7 Kommentare im Blog „Darmstadt, du Stadt der 1000 Geigen“. Sofern die Redaktion sie nicht gelöscht hat, wie dies etwa in Blogs in Weissrussland üblich ist, in denen unliebsame Beiträge einfach im Nirwana verschwinden…
Wie Sie sehen können, Herr Klotz, sind wir nicht in Weissrussland. Was Herr Borstlap wiederum unter Satire versteht, das sei ihm überlassen. Meine Einschätzung ist, dass er es grds. ernst, ja todernst meint, so wie er gegen die Förderung Neuer Musik im allgemeinen wettert. Dass er nun seine Auslassungen zur Satire erklärt, nur zu! Darunter kann man sie auch ohne seine Erklärung einordnen. Das sei extra als Blog verbucht, bevor es tatsächlich im Kommentarwald untergeht.
Stein meines Anstosses bleiben weiterhin Aussagen, was man denn so viel besser mit den geschredderten Instrumenten hätte vollführen können. Natürlich wäre es eines, diese eher an ärmere Menschen zu spenden. Das ist immer besser, als was Brauchbares zu wegzuwerfen, zu zerstören. Das ist aber eben von Fall zu Fall auch ein Allgemeinplatz: Sie weinen um die Dinger, weil damit nun keiner mehr Bergs Violinkonzert oder anderer Leute Gesungene Zeiten spielen wird. Daran ist eigentlich auch nichts auszusetzen. Nur wird selbst auf schönsten Geigen niemand mehr solche Musik spielen bzw. das noch drastischer zurückgehen, wenn sich nicht nur finanzielle Vorgaben durchsetzen, sondern auch geschmackliche Gründe, wie die eben unseres englischen Spassmachers Borstlap, um Orchester zu schließen. Um in des Teufelsgeigers Witzlinie zu bleiben: selbst arrivierte Orchester, die eben Borstlap gefallen könnten, müssten z.B. auf Neue Musik Spezialisierte aus sozialen Gründen aufnehmen, mit entspr. Folgen für die Ästhetik.
Sollten Sie z.B. keine Orgel mehr spielen dürfen, verlangt niemand, dass Sie das Instrument abfackeln, abreissen. Wie würden Sie aber dann als Schöngeist und Pazifist reagieren? Warum nicht mit dem Blech einer verbeulten, ausgesonderten Pfeife sich an eine meterhohe Basspfeife fesseln! Wie kann man also performativ, ästhetisch reagieren? Wenn Menschen mit Argumenten, seien es Briefe, Worte oder Salva-Me-Quartette, nicht weiterkommen, schwenken sie in symbolische Handlungen um, gerade wenn Symbole dem anderen nichts mehr gelten. Nehmen wir Wohnungslose. Dass es diese im Neo-Kapitalismus noch gibt, genauso eine verrückte Erscheinung unserer Zeit wie die Schliessung von Orchestern, wo es soviel Geld und Luxus wie noch nie gab. Ja, gerade wegen diesem Neo-Kapitalismus werden Orchester geschlossen, Menschen aus Wohnungen zwangsgeräumt.
Was macht nun ein Zwangsgeräumter:
– er verschwindet, wie z.B. Ihr Freund Deutschland hinter sich ließ;
– er leistet Widerstand und hat dann noch mehr Probleme, was somit nicht empfehlenswert wäre;
– er campiert vor dem Sozialamt, dass ihm nicht mehr die Miete und Schulden übernehmen wollte, er reagiert also mit Symbolen von „Schlechter Wohnen“, dem Zelt im Vergleich zur wärmeren Wohnung, genau vor der Stelle, die seiner Meinung nach seinen Untergang mit verursachte. Er interagiert mimetisch!
Und so ist das Reagieren, das Einbringen, das Symbole-Zerstören in Audioguide mitunter zu verstehen. Zudem verwies ja Arno Lücker auf eine künstlerische Klammer, unter der der Ablauf der Aktion sich dramaturgisch ergab. Das ist mir wiederum zu wenig, denn ohne Ausdrucksbedürfnis würde solch eine krasse Handlung ja nicht stattfinden. Der Impact ist ja, dass dann im Anschluss nicht so sehr die Worte Kreidlers während der Donaueschingen-Orchesteraktion zitiert werden, sondern die Worte von erbosten, genauso britischen Komponisten wie Borstlap, allerdings bösen, bösen „sound-artists“ in seinem Sinne, die das als Alleingang abkanzelten. Nur soviel dazu: vllt. agieren Briten tatsächlich eher im Kollektiv als ein deutscher Künstler, der sich so oder so erst einmal auf sich selbst bezogen äussert und daraus dann ggf. Gemeinschaft sucht, erzeugt. Als Symbol werden zwei Streichinstrumente in Audioguide hochgehalten wie es eben in Donaueschingen Johannes selbst tat!
Das kann und mag dem einem oder anderem missfallen. Der Grund für weitere Fusionen ist das nicht, wie Borstlap warnend suggeriert. Und es ist nicht die Zerstörung der Klangkörper. Es zeigt drastisch, was passiert, wenn man nur weint und den Schliessern und Fusionierern in den Chefetagen der Sender und Kulturpolitik das Feld stumm überlässt. Denn jede Bürgermeinung, Bürgeraktion, jedes Engagement wurde als irrelevant abgetan. Statt den über 100 Konzerten wird es de facto erst einmal noch 30 geben, Interaktionen zwischen Alter und Neuer Musik in Freiburg durch den Abzug des gesamten Orchesters unmöglich, der ästhetische Charakter des Stuttgarter verändert.
Und all dies sanktioniert aus nicht finanziellen, nur ästhetischen Gründen unser Seibeiuns Borstlap. Was er Satire in seinem Sinne nennt, ist das Asche zu Asche-Gebet eines wunderlichen Extremisten, der höchstwahrscheinlich meint, dass der Untergang des holländischen Komponistenfonds durch seine Klagen, diese in puncto Engstirnigkeit der damaligen Richtlinien vielleicht zu zurecht, erfolgte! Nein, in den Niederlanden kürzen und fusionieren Konservative, die rein neo-kapitalistisch in Leuchttürmen denken, kein Interesse an Klassik oder Moderne haben. Selbst das Concertgebouw Orchester sieht sich bald bankrott! Daran ist aber nicht die Neue Musik schuld, denn sie ist tatsächlich zahlenmäßig so oder so irrelevant, das ist das Desinteresse der Politik, im schlimmsten Falle deren gutsherrschaftliche Kritikunfähigkeit, Karrieresucht, wie im Falle der SWR-Etagen, der Etagen in NRW und Sachsen-Anhalt. Das macht den Zynismus und Hass eines Borstlap um so unerträglicher, denn was andere nur aus Desinteresse und angeblich so wichtigen höheren finanziellen Gründen vollziehen, wird von ihm untermauert. Und so wie er mit Vergleichen aus dem Dritten Reich um sich wirft, geriert er sich wie ein Relikt. Gott sei Dank verfüge ich über eine andere Vorstellungskraft und kann mich an Kreidler, Lachenmann wie Xenakis, Pfitzner und Mahler und all den anderen erfreuen, sogar an wenigen Whitacre-Sachen. Ich gehe auch gleich Tosca-ähnlich in meine nächste Kirche und entzünde ein Kerzlein, damit die ästhetische wie geistige Engherzigkeit des John B. Gnade vor dem Allmächtigen finden möge.
Noch was: denken wir eben an die nicht klassisch, sd. popular sozialisierten Kulturpolitiker, dann versteckt sich in all dem mimetischen Dada, all den offenen oder versteckten Popbezügen gerade jener heutiger „Kulturhooligans“ ein Link, mit dem man eher ins Gespräch kommen kann als nur die ästhetische Abschottung der borstlapschen Weltfremdheit, Empathieferne!
“Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor, wenn nicht der stumme Fels, das Schicksal, ihm entgegen stände” (Hölderlin).
Nun hat Herr Strauch doch mit seiner letzten emporschschäumenden Auflehnung meine Sympathie erworben… seiner leidenschaftigen Beteiligung an der Musikkultur wegen. (Was er unter Musikkultur versteht, ist dabei ziemlich zweifelhaft, aber man schätzt die Beteiligung.) Nun wird auch deutlicher, welche Weltanschauung hinter dieser Art ‘Performances’ dieser Hooligans, und der Denkart ihrer Verteidiger wie Strauch, steckt: es ist die Quasi-Revolutionsfieber von ’68, damals von den verwöhnten Kindern der etablierten Bourgeoisie als Befreiung einer autoritären, elitären und überorganisierten Gesellschaft gefeiert. Seitdem hat sich in der Gesellschaft eine Salonlinksige Konsenz geformt, worin die Gebärde der sechziger Jahren (Happenings, Fluxus, Hippie-Akten usw) akzeptierte Formen einer Anti-Bourgeois-Protest bilden. Dies ist auch der Hintergrund des in der neuen Musik inzwischen dominierenden Modernismus, meistens Klangkunst, geworden: obwohl die straffe Bourgeoisie die damals gegen die damalige Avantgarde protestierte schon längst nicht mehr existiert, sind in der ‘neuen-Musik-Szene’ die gesellige und quasi-provozierende Gebärde enthusiast von gewissen Jüngern übernommen worden, weil sie so ganz und gar leicht sind und den ‘Komponisten’ keine schwierige künstlerische oder intellektuelle Ansprüche machen; die genannte Audio-Guide (NMZ) ist davon das überzeugende Beweis.
Seit die Generation der Achtundsechziger inzwischen selber etablierte Elite geworden ist, haben diese Gebärde ihre Symbolwert verloren: sie sind als Teil des Establishments konventionell und bedeutungslos geworden, und besonders weil Darmstadt und alles wofür dieser Name steht, von der Obrigkeit gefördert wird (wie ich annehme), bleibt nur die lehre nachahmende Geste übrig. Und wo sie sich in einem zerstörerischen Akt ausdruckt, ist der Sinn verschwunden und bleibt nur das Mittel da. Und deshalb die Vergleichung mit den Buchverbrennungen auf dem Berliner Bebelsplatz in 1933: eine völlig paranoide Idee als Motiv für einen barbarischen Akt.
Diese Konklusion erklärt auch den Protest von Eberhard Klotz in diesem und anderem Blog: er ist offenbar ein praktischer Musiker der nicht von solchen alten Geistesgespenstern geplagt wird und nur einfach die Realität sieht: es werden Geigen vernichtet in einer Akt die als einen ‘Protest’ gegen Kulturvernichtung verstanden werden soll. Und alles als etablierten und von der Obrigkeit geförderten ‘künstlerischen Happening’. Es ist ‚fake‘, barbarisch, infantil und durch und durch bourgeois.
Aber das ist natürlich schwer zu verstehen wenn man nur durch eine Brille kuckt die heute einen halben Jahrhundert alt ist. Durch diesen Gläsern ist einer, der sich um die Erhaltung der Musikkultur abseits unerwachsener Unsinnigkeiten bemüht, wie ich, ein ‘engherziger Reaktionnair’, während die eigene genierliche Taub- und Blindheit unbewusst bleiben. Die Welt hat sich geändert… und die Vernichtung einer Geigenmasse kann nicht mehr von der achtundsechziger Perspektive verstanden und gewertet werden und ist deshalb auch völlig kontraproduktiv und sinnlos. Man gibt sich nur als Hooligan preis, und auch noch als altmodische und reaktionaire Hooligan.
Die Diskussion schein hier an einem Punkt angelangt zu sein, an dem kein konstruktives Weiterkommen mehr möglich ist. Vielleicht kann ich die „Wogen der aufschäumenden Herzen“ ein wenig beruhigen und zur sachlichen Auseinandersetzung zurückführen (?) Es ist mir im Übrigen klar, dass die Redaktion hier nicht wie in Weissrussland handelt: war eher im Affekt gesagt…Lieber Herr Borstlap, ich bin nicht nur praktischer Musiker, sondern auch Komponist und Publizist; und wenn Sie wüssten, lieber Herr Strauch, wie die finanzielle Situation im Organisten – oder Kirchenmusikerbereich in Deutschland aussieht, mit Löhnen von 1000 oder im Osten 500 Euro netto, und dies an exponierten hauptberuflichen Stellen, die den Zeitaufwand einer Professur an einer Hochschule bei weitem übersteigen, so würden Sie sich vielleicht ein wenig mehr in Zurückhaltung üben.
Trotz dieser katastrophalen Situation, gehe ich nicht her und zertrümmere 65 (vielleicht sogar historische Orgeln) mit dem Brechhammer, wie die Nazis um 1945. Gehen wir einmal sehr weit in die deutsche Geschichte zurück: in die Zeit von Heinrich Schütz. Um ihn herum tobte der Dreißigjährige Krieg, Dörfer wurden abgefackelt, Häuser geplündert, Frauen und Kinder getötet oder vergewaltigt, in den Städten breiteten sich Seuchen aus, eine Situation ungleich katastrophaler, als die Fusion von zwei Orchestern. Und was tut dieser Mensch? Anstelle die letzten Gamben mit dem Beil zu zerstückeln, um gegen die Destruktion um ihn herum zu protestieren, schreibt er die wundervollste Musik, die zum allgemeinen Niedergang einen geradezu paradiesischen Gegenentwurf zeichnet.
Hätte er nur Gamben zerstückelt, so hätten wir heute nichts mehr von ihm, denn das Holz wäre längst verrottet. So aber haben wir wertvollste Musik des Früh – oder Mittelbarocks, und was noch viel wichtiger ist: das Zeugnis eines standhaften Künstlers, der der allgemeinen Destruktion die Waffe der Musik, der Liebe, der Kunst entgegenhält.
Nun denn, was wäre die Steigerung des „gerundiven“ zerstörens. Selbst richtig zu zerstören. Indem man z.B. eine eigene Rundfunkanstalt gründet und ihre Ensembles, so für sie für ihr Können Ruhm erwarben, nach einer gewissen Zeit verkleinern, entlassen bzw. es immer mal versuchen, also psychologische Kriegsführung. Statt 30 Jahren Krieg haben wir nun fast 60 Jahre Frieden, im eigenem Lande, externe Einsätze vergessend. In den ersten 30 Jahren der jetzigen Epoche wurde oft gegen politische Widerstände das im WW2 zerbombte Theater- und Konzertleben wiedererrichtet. Neu Errichten ging sogar ohne politische Widerstände, da jeder neue Opernhäuser, weniger rekonstruierte wollte. Heute lieben wir am ehesten die modifiziert rekonstruierten Theater und Konzertsäle. Das Alles war möglich trotz des Wirtschaftsaufschwungs, der einsetzenden Macht von elektronisch ins Haus gebrachter Unterhaltung, ja, Opern und Konzerte, wenn auch meist traditionelles Repertoire, wurden zur Primetime, abends und sonntags am Mittag. Manchmal gab es sogar Neue Musik mit Stockhausen.
Und heute? Es geht uns momentan wirtschaftlich prächtiger denn je, insgesamt betrachtet. Selbst wenn es kriselt, sind wir Äonen von den finanziellen Problemen der späten 40er und der 50er Jahre entfernt. Und gerade jetzt haben wir aus Gründen der Unbezahlbarkeit, der harschen Sozialgesetze puren puritanischen Kapitalismus am unteren Ende: wer nicht spurt, wird ein Fall für die Suppenküche, die man für eine Erzählung der Grosseltern bzw. deren Eltern hielt und im Tagtraum das S mit P ersetzte.
Eine weitere Erscheinung: Massenunterhaltung erfreut sich jeglicher Unterstützung, Spezielles wie Kunstmusik, Theater, Kunstfilme werden in Randzeiten oder eigene, kleinere Spartenkanäle gedrängt. Natürlich werden da auch wieder Gamben gespielt, ich schreibe gerade selbst für diese, wirkt das sehr fröhlich. Nur ist es eben aus dem Hauptfokus heraus. Schlossen, fusionierten bislang vor allem Theater und Orchester im Osten, nach der Wiedervereinigung, ist das heute auch im Westen angekommen, sogar für die wirtschaftlich stärksten Regionen gilt dies. Wehren sich in kleineren Gebietskörperschaften, in kleineren Städten die Bürger, findet hier und da ein Kompromiss statt. In den wirtschaftlich stärksten Teilen des Landes wird aber kompromisslos das Schwächere an den Rand gedrängt, s. BR/SWR. Zwar versucht man dort und auch woanders die grossen Orchester und Chöre zu halten, in diese die kleineren Ensembles hinein zu integrieren, rasselt mit grossen Namen dafür. Insgesamt aber wird die kunstmusikalische Präsenz, Eigenständigkeit konsequent geschwächt.
Das ist abgesehen von Rationalisierungsargumenten dermassen verrückt, dass man sich insgesamt manchmal schlechtere ökonomische Bedingungen wünschen würde, wenn man nicht wüsste, dass es eben diese parallel zu neuer sozialer Armut gibt. Und soziale Armut bedeutet heute, nicht so sehr vom Staate als in allem weiteren von Almosen abhängig zu sein: Massenkultur sind wie 390 Euro Regelsatz zu 17 Euro Rundfunkbeitrag. Alles weitere, wie klassische Konzerte oder Fruchtjoghurt sind Spenden, Zugeständnisse, keine Pflicht – keine Pflichtaufgaben, wie Politiker achselzuckend Wohnbaugesellschaften veräussernd, Stadtbibliotheken und Theatersparten schliessend sagen und beschwichtigen, dass man immerhin nicht das ganze Theater schliessen musste, da man einen neuen Leiter fand oder eine Sozialagenda mit den Wohnungsneubesitzern abgeschlossen habe. Und der neue Theaterchef wie die Neubesitzer hebeln genau das aus, was achselzuckend versprochen worden ist.
Es ist eben das grosse Achselzucken, das, was geht’s mich an. Das Wegschauen, das Desinteresse. Das Durchziehen von Entscheidungen, das Darstellen dieses, als ob jemand heute noch deus-vult riefe, wird mit der Verpflichtung zur Allgemeinheit begründet. Aus. popolus-vult, pecunia-vult? Das schreit eben heute niemand! Denn das Erstaunliche: so achselzuckend das Volk selbst sein mag, die Abschaffung oder Minimierung von Theatern, Orchestern und Sendern, das verlangt sie nicht, erwartet in ihrer Restbildung sogar, dass damit, zwar nicht für sie, der Kulturauftrag erfüllt sei. Da ist er eben doch, der restliche Stolz, in einem ehemaligen „Dichter- und Denkerland“ zu leben. Auch wenn man diese Tradition, deren Angebote nicht nutzt, so schätzt man sie. Aber in all der Trägheit von Befriedigung all der Grundbedürfnisse auf hoher Quantität, die einem die wenig richtig heftig Profitierenden belassen, sieht man auch nur noch selten die Bürgerpflicht, sich den achselzuckenden Politikern entgegenzustellen bzw. weiß man, dass die sich so oder so durchsetzen, im Extremfall mit dem Aufruf, dass man beim Achselzucken verbleiben solle, da sonst Grossprojekte nicht mehr möglich wären. War vor dem zweiten Weltkrieg das Marschieren, in der Nachkriegszeit das in die Hände spucken eine kollektive Geste, so ist es heute das Achselzucken, kollektiv von Bürger und Politik, wie ein riesiger Strand mit Tausenden von Winkerkrabben.
Wie sagte letzthin jemand: es ist Alles seduktiv, verführerisch. Das trat an die Stelle der direkten Unterdrückung, der Repression. Heute erliegt das Gros komplett der Seduktion des Neo-Liberalismus, des Neo-Kapitalismus, kennt genau den Abgrund, eben die neue Suppenküche, der vom Jobcenter genehmigte Urlaub, und passt sich ein, passt sich an. Widerstand wird zwar nicht abgelehnt, aber würde niemals für sich selbst benutzt werden. Man jammert über fehlende Kitas, ausfallenden Unterricht, fehlende Pflegeplätze, mangelnde Zeit, und fügt sich ein. Man beklagt sich über Kriege und Hunger in der Welt, bedrohte Projekte von Freunden, unterschreibt per Klick eine Petition, schiebt per Klick ein wenig Geld ins Projekt. Aber direkt Anpacken? Nur wenn es der Work-Live-Balance keinen Schaden zufügt! Die Kinder dürfen auch ein Instrument lernen, da es angeblich intelligenter macht, Vorsprünge in der späteren Kindskarriere verspricht, solange man nicht eine andere Brigitteneuausgabe liest, die das Gegenteil annonciert.
Das Problem der Kunst, der Neuen Musik, die nicht wie gewohnt weitermachen will, in der Nische, noch nicht vom Achselzucken wegrationalisiert, ist ja genauso das Seduktive: alles vorhanden, bitte drin bedienen, das möglichst gehaltvoll, ein wenig technische Verfeinerung, aber bitte auch nicht mehr! Pathos ist zudem verboten, also bitte nicht zu emotional, zu laut, zu lang. Was bleibt, ist dann das Understatement, der Altherrenwitz, die Suche nach bunteren Angeboten der Kramkiste Neue Musik. So bietet sich eben der Fluxus an, den man per konzeptueller Kettenlogik dann in einer Sprechtheaterperformance über Musik einsetzt. Somit ist das Geigenzerstören der momentan ultimative Stand anti-seduktiv zu wirken, wo man aber eben nur in die Völle dieser Seduktionskiste greift! Und im Gegensatz zu den Fluxusvätern ist dies in einen nicht seriellen aber serienhaften, sequentiellen Kontext streng eingegliedert. Soviel mal als Analyse dessen selbst im eigenem Umfeld, jenseits der fremden Reaktion.
Nun beginnt also das Zeitalter des Post-Neo-Konzeptualismus, der Neuen Jenseitigkeit. Die erste Regel lautet: Selbstauftritte des Komponisten nur noch streng als Musiker, Ausnahmen sind noch in einer Übergangsfrist bis Ende 2016 möglich.
Die zweite Regel heisst: Bediene dich eher an den grauen Elementen der Seduktion als den schillernden, auch wenn diese nicht so anziehend sind, zeige, dass da was daraus machen kannst.
Die dritte Regel: Benutze durchaus die neueste Technik, ersetze aber damit nicht die Alte. Spiele lieber mit den verschiedenen Symbolgehalten von Klangqualität als sie nur einzufordern oder stolz auf Trash zu sein: ein Rauschen deutet auf das Grammophon, Hall auf die Zeit ab Mitte der 50er, etc.
Die vierte Regel: Schliess alles Erdenkliche an Deine Midiein- und ausgänge an. Mache daraus Notationsfiles. Aber nun geht die Arbeit erst los, gehe damit um, als hättest Du Papier, Radiergummi und Bleistift allein zur Verfügung.
Die fünfte Regel: Poste nur das Ergebnis aus §4 Satz 1 in sozialen Netzwerken, nie das Endergebnis aus §4 Satz 3. Denn man wird auf alle Fälle bis Ende 2016 nur Verarbeitungen einfachen Grades verstehen.
Die sechste Regel: Was Du tust, tue es mit Leidenschaft, fühle Dich dabei gut, überlasse beim Schreiben anderen die Skrupel, sei skrupulös vor allem bei der Korrektur, die Du am Besten dreimal durchführst!
Die siebte Regel: Keine Scheu vor Derivaten. Lieber selbstgebaute Allusion als Zitate.
Die sechste Regel: Wandrer, kommst Du in eine Stadt mit dem Autokennzeichen B oder DA oder ehem. DS, verschärfe nicht gleich Deinen Sound, auf dass man Dich dort schneller aufnimmt. Schreibe eher eine Melodie mehr bzw. mach das mal mit den Derivaten statt sie als Derivat zu behandeln, denn Du sollst ja nicht zitieren und unterliegst somit bei Derivaten auch nicht permanenten Anführungszeichen – im Wiki wird ja ein Begriff auch nur beim ersten Erscheinen blau unterlegt…
Die siebente Regel: Suche nicht nach neuen Labels für Dein Schreiben, gebe auch den Musikwissenschaftlern eine Chance.
Die achte Regel: Lass den Gehalt oder Inhalt Deines Stückes nicht nur um innermusikalische Probleme kreisen. Vertone also mal was Romantisches oder widme Dich Existentiellem
Die neunte Regel: Überlasse Grossformen nicht nur Traditionalisten, kämpfe auch darum, nicht nur für netzfreundliche Barrierefreiheit. Auch nette Jungs der GNM sind Funktionäre.
Die zehnte Regel: Vergiss den vorigen Quatsch, mach‘ was Du willst. Aber greif nicht nur in die Kiste der Seduktion, verführe selbst!
„Es ist eben das grosse Achselzucken, das, was geht’s mich an.“ Und was ist dieses Achselzucken, anders als eine Erosion des Kulturbewusstseins? Und was ist es, das dieses Kulturbewusstsein entwickelt? Das ist die Kultur, die es schon gibt: daran bildet man seine Sensitivität und Zivilisationsvermögen. Politiker sind auch aus dem ‚Volk‘ emporgestiegen, und fehlt es an Bildung, dann verliert man jede kulturelle Identität. Geigenmassaker stehen in starken Kontrast zu jeder Kulturbewusstsein, also tragen sie nur an der Erosion bei.
Das „Gute“ des Geigenmassakers: eine höhere Provokation aus dem Bereich der Performance ist danach erst einmal schwer denkbar. Nun Tabula rasa, für den Bereich des Diskurses nach Darmstadt habe ich am Ende meines letzten Postings meine eigene Haltung dazu umrissen. Ich frage mich, warum ich eigentlich die Geigenaktion so verteidigte, heroisierte: Sätze wie „man hätte besser dies oder jenes tun sollen“ waren es, dann die Gleichsetzung mit Kulturvernichtung, wo andere Verwaltungsaktionen an sich vernichtender sind. Ob die nun Geigenzerstörung oder Fusionslegitimationen und den Angriff darauf oder dessen Verteidigung aus der Ecke der Ästheten, egal ob Kreidler oder Borstlap, das wird am Ende egal sein: es geht um deren Machtdemonstration, mächtige Redaktionen z.B. einer Sendeanstalt.
Aber was kommt nun? Die Antwort muss sich jeder selbst geben. Insofern hat das Instrumentenopfer vielleicht doch einen anderen Sinn, ausser dass man es sogar formal durch „Werkstringenz“ begründen könnte, wie Arno Lücker hinwies, ausser der gesamten Provokation: warum macht man eigentlich Musik? Das Scheitern liegt schon darin, wenn man dies einen Musiker fragt. Denn er macht eben Musik, was mit seiner Begabung zu tun hat. Eher müsste man einen Freund, einen neutralen Beobachter dazu über jenen Menschen befragen. Was jetzt folgt, mag ggf. auch postmodernes Achselzucken sein: dass einige heute noch oder wieder Sinfonien schreiben, können sie nicht wirklich sagen, warum jemand heute die Renovierungsgeräusche zu Musik macht, kann diese Person eigentlich auch nicht wirklich sagen. Man kann es sozial, philosophisch, edukativ beschreiben. Aber diesen Moment, wo man seine Entscheidung trifft, ein grosses Quantum Lebenszeit dem hinzugeben, den erfährt man für sich allein. Und nicht jeder ist fähig, das wirklich gut zu beschreiben. Sondern man setzt sich hin und schreibt eben eine Komposition. Man kann viel dazu sagen, wie man diesen Moment begünstigt, in dem man erst sinnlos Papier füllt und in der letzten Ecke dann die zündende Idee setzt. Oder alles aufnimmt, was einem unterkommt. Und doch eher zufällig beim Nachhören auf etwas stösst, was das schöpferische Nachdenken anregt. Man zieht also aus etwas irgendwie Vorhandenem für sich seine neuen Schlüsse, wie gesagt, für sich zuerst. Wenn es zuvor niemand ähnlich tat, dann hat man vielleicht was Kleines erfunden. Selbst wer behauptet, es sei schon Alles da, aber neuartig dieses verbindet, setzt eine kleine Erfindung in die Welt.
Aber wie verhält es sich nun mit Erfindungen, die partout das Wiederholen, was doch schon einmal da war, durchaus eigenständig variiert, aber irgendwie in einer Zeit von vor 110 Jahren verfangen. Dieser Gedanke kam mir z.B. bei Kupkovic oder auch Pendereckis. Die beiden hatten veritable Gründe, sich von der Neuen Musik in eine Vormoderne zurückzuziehen. Mag es der bessere Erfolg beim Publikum sein, das Bewegen in bekannteren Gefilden, das ist eigentlich egal. Wie bei Pärt oder bei Scelsi, die plötzlich seltsame oder sehr seltsame simple Sachen machten, muss es ein Moment im inneren gewesen sein. Das Spannende, dass es bei Kupokvic und Penderecki und unzähligen wirklich hunderte Jahre nach hinten geht, bei Pärt und Scelsi entstand doch was Neuartiges, was nach wie vor Unfassbares. Genaueres zu Scelsi konnte man dazu ja während der zweiten Hälfte der diesjährigen Ferienkurs in Darmstadt z.B. via VoiceRepublic mitbekommen, wie zuvor die Panels der Jüngeren. Scelsi ist ja mit Ligeti das merkwürdige Band zum Spektralismus, zwei diametral arbeitende Komponisten. So oder so führt dies zu sehr ernsthaften Musiken. Nimmt man nun aktuell Georg Friedrich Haas, der diese Linie mit Wyschnegradsky und anderem kreuzte, entsteht sogar Musik, die von Abopublikum freundlich aufgenommen wird. Das mag an Links liegen, die dieses Publikum an Tonalität, Minimal Music und vielleicht auch an Pärt erinnern. Das liegt vielleicht auch an den Klanggesten, an Melos-Momenten, die als Meme der Spätromantik auftreten, eher des Expressionismus sind und freundlicher, konsumerabler als dieser wirken. Also wird sehr wohl eine Linie von einer Vorzeit über Haupt- und Nebenschauplätze zu einer Musik verbunden, die bei einem normalen Konzertgänger Faszination auslösen.
Ähnlich wie mit Haas erging es mir neulich mal wieder mit Ravel. Als ich den Anfang seiner Sonatine hörte, dachte ich zwar wirklich kurz an Kuhlau und Co.. Doch ist es wie in all seinen Aufgriffen alter Vorbilder doch harmonisch, rhythmisch ganz und gar Ravel. Ja, er arbeitet vor allem am Klang, am Sound, ein wahrer sound-artist? Und doch auch ein präziser eigener Umgang mit Tönen, wenn man es auf vierstimmigen Satz reduziert. Obwohl er alte Bahnen nutzt, spurt er neue Wege. Und wenn man nun Musik eines Martin Schüttlers hört, der nun keine Sonatinen schreibt oder vordergründig vierstimmigen Satz, musste ich wiederum an Ravel denken! Einerseits wegen dem Sound, der aus diversen Quellen gespeist wird und als solcher erst einmal bearbeitet wird. Wenn man nun die wenigen Tonhöhen greift, wünscht man sich zwar manchmal ein wenig mehr, ganz persönlich, Melodie. Aber die ist doch da, schwebt da ganz zart hindurch. Schüttler als unser neuer Ravel? Warum nicht! Aber vor allem: wie Ravel, Strawinsky, Berg, Zimmermann, etc. Vergangenes oder Aktuelles, man denke an die Jazzanklänge Ravels, mehr Anspielung als Zitat, einfach eingebaut, wie Satzschemata Mozarts nur als Folie eingesetzt werden, entsteht was Eigenes. Und kann man aus der eigenen Ideenkraft gar nicht anders, als was Selbständiges, nahe an der Vergangenheit, der aktuellen Quelle dran. Ich sehe da ungemein viel Musikalität wie Bildung – beides trägt eben woanders hin. Vielleicht auch mal zu einem Violinkonzert, aber doch einem anderen als das der Altvorderen im Gegensatz z.B. zu Borstlap…
Bravo Herr Strauch…. Noch einigen Jahren innerlichen Ringen, und dann sind Sie veiielicht reif für Borstlap.
Danke für diesen schönen Text, Herr Strauch,
es war wohl auch einfach der Geist des Widerspruchs, der Sie gereizt hat, dieses Geigenmassaker zu verteidigen und das ist dann auch wieder sympathisch…
Ich habe mich in „Nachtgedanken“ auch gefragt, was für ein Bild von Wertschätzung unseres Faches wird durch solche Aktionen an Kinder oder Jugendliche vermittelt?
Immerhin stehen über 80% dieser Gruppe dem was wir unter Musik verstehen unendlich fern und belächeln das Fach bestenfalls. Es wäre also in etwa so, als würde ein Physiklehrer sein sehr komplexes Instrumentarium für physikalische Versuche demolieren und als Film in Youtube zeigen. Welchen Eindruck würde er in der Öffentlichkeit vermitteln, wie man als junger Mensch sein Fach wertschätzen soll und wie er selbst zu ihm steht? Und die vielleicht 10% der Kinder, die für Musik brennen, lieben ihre Instrumente oft wie beseelte Wesen, etwa wie ihre eigenen Tiere und fühlen sich verletzt. Für uns Erwachsene sind sie die „Mittler“, durch welche wir in Konzerten die tiefsten und berückendste Erlebnisse erfuhren, wie wir am Beispiel von Bergs Violinkonzert gesehen haben, und sie haben selbst vom hohen Symbolwert der Geigen gesprochen. Ob man im 21. Jahrhundert tonal oder anders komponieren sollte (oder darf), soll jedem selbst überlassen sein, denn Kunst ist frei. Tatsache ist jedenfalls, dass junge Leute, die eher tonale Strukturen verwenden oder sich wie Ravel an historischen Formen anlehnen von den Institutionen der Musikhochschulen und den Wettbewerben ausgegrenzt werden, und hier hat Herr Borstlap dann wieder recht. Als junger Mensch schieb ich etwa sinfonische Sätze in Richtung Bruckners und ich wurde von den Kompositionsprofessoren, den Funktionären der Neuen Musik, belächelt und vor der Klasse blossgestellt. Wohin soll sich ein junger Mensch in Deutschland aber wenden, wenn er als Komponist nun mal eine Begabung zur tonalen Komposition hat?