Das Verschwinden des Mediums und seine Hinterfragung.
„Th medium is the message“ postulierte einst bekannterweise Marshall MacLuhan. Was sagt man aber nun heute, wenn das Medium selber eigentlich gar nicht mehr so genau weiß, was es eigentlich ist?
Wir erreichen langsam einen Zustand in dem das Medium als etwas Wahrnehmbares verschwindet, weil alles ein und dasselbe Medium ist. Unaufhörlich schreitet die technische Entwicklung zu einm Punkt, an dem alle Informationen, alle reproduzierbaren Kunstwerke immer und überall erhältlich sind, per Datenbrille oder was auch immer. Es gibt keinen technischen Unterschied, ob ich ein Musikstück anklicke, einen Text lese oder ein gestreamtes Video anschaue. Es gibt auch keinen dramatischen Unterschied des Erlebnisgehaltes.
In diesem Moment verliert also das zur Reproduzierung bestimmte Kunstwerk auch seine Reproduzierbarkeit – es ist allgegenwärtig geworden. Es gibt keine Reproduzierung mehr, weil alles in einer Cloud enthalten ist, mit der überall alle ständig verbunden sind. Allgegenwärtigkeit ist aber wiederum das größte Hindernis der Wahrnehmung. Wer von uns denkt schon noch groß über das Wunder künstlichen Lichts nach? Es ist stets und überall verfügbar, allenfalls das Fehlen fällt auf, bei Stromausfällen zum Beispiel.
So geht es auch der Musik – ist sie wirklich und wahrlich allgegenwärtig, verliert sie jeglichen Status des „Besonderen“. Daher kann auch einzig und allein das Livekonzert noch den Status des „Besonderen“ aufrecherhalten (selbst die größten Popstars verdienen schon längst ihre Brötchen hauptsächlich mit Liveauftritten), zumindest solange, bis man auch dieses überall erleben kann (was auch irgendwann in den Bereich des technisch Möglichen rücken wird).
Seltsamerweise sind all diese Themen in der Neuen Musik relativ wenig präsent – dort giert nach wie vor jeder nach einer neuen CD-Erscheinung eigener Werke, träumt davon, dass die eigenen Noten gedruckt irgendwo ausliegen, kämpft umd die Aufrechterhaltung alter Verbreitungssysteme (wie zum Beispiel BR KLassik auf UKW empfangen zu können), als ob sich nichts ändern würde im Moment, die alten Vertriebswege ewig weiterexistieren. Während anderswo genau das stattfindet, was so gerne im Feuilleton bei Neue-Musik-Konzerten eingefordert wird, nämlich ….Trommelwirbel…..die Hinterfragung. Als Komponisten sollen wir ja ständig alles „hinterfragen“: die Stille, den Klang, die Gesten, die Verruchheit des Systems…am besten gleich alles zusammen.
Tatsächlich kommen aber die radikalsten und auch kritischsten Aktionen über diese Themtik derzeit aus der Popmusik. Über Becks Album, dass nur als Notenausgabe zum eigenen Nachspielen erhältlich war, habe ich schon berichtet. Nun gab es wieder zwei neue Aktionen, die zeigen, dass man sich sehr wohl Gedanken macht, wie es mit der Musik so weiter gehen kann.
So veröffentlichte zum Beispiel die Band Vulfpeck ein Album voller Stille und forderte ihre Fans auf, es über den Musikstreaming-Dienst spotify jede Nacht mehrmals durchlaufen zu lassen. Hierbei wird auf geniale Weise das Abrechnungssystem von spotify ad absurdum geführt. Dieses muss nämlich den Künstlern Tantiemen nach Anzahl der Abrufe ihrer Songs zahlen, wogegen die spotify-Abonnenten nicht für einzelne Songs zahlen, sondern als Abonnenten Zugriff aus die komplette Datenbank haben (mittels einer Flatrate). Es tut daher den Usern nicht weh, Vulfpeck auf Dauerplay zu stellen, Vulfpeck dagegen verspricht, das Geld für eine Tournee zu verwenden, bei der alle Konzerte umsonst sind, die Tournee wiederum wird darauf ausgerichtet sein, wo das Album am meisten gestreamt wurde.
Der wesentlich bekanntere „Wu-Tang Clan“ geht wiederum einen Schritt in die andere Richtung – ihr neues Album wird in der Auflage von exakt einem Exemplar erscheinen, das man nur in einem Museum besichtigen (vielmehr anhören) kann, wenn man vorher alle Aufnahmegeräte abgibt. Wie im Mittelalter muss man dann also eine lange Reise auf sich nehmen, um nur an einem ganz bestimmten Ort ein bestimmtes Werk wahrzunehmen – natürlich eine reizvoller Widerspruch zum heutigen Kult der Allverfügbarkeit und medialen Omnipräsenz. Und vielleicht gibt es dann auch irgendwann einen neuen Mozart, der das Ganze dann aus der Erinnerung aufschreibt und als bootleg verfügbar macht. Aber selbst das wäre als subversiver Akt wahrscheinlich ganz im Sinne der Erfinder.
Beide AKtionen stellen die richtigen Fragen, jetzt ist es an uns, die richtigen Antworten darauf zu geben.
Moritz Eggert
Komponist
@Moritz: Herzlichen Dank, dass du einmal wieder an dieses zentrale Thema unserer Zeit erinnerst. Wie du weißt, blogge ich seit Jahren zum Thema „Digitalisierung und Neue Musik“ – und zwar hier: http://stefanhetzel.wordpress.com/
Ein hervorragendes Buch zum Thema hat der Musikphilosoph Harry Lehmann bereits 2012 bei Schott veröffentlicht: „Die digitale Revolution der Musik“.
Künstlerisch und theoretisch beschäftigt sich der Komponist Johannes Kreidler ebenfalls seit Jahren mit der Thematik, u. a. in seinem Blog „Kulturtechno“.