Breitenwirksame Klassik

„Klassik war nie so breitenwirksam“. Wer die Überschrift nur im Vorübergehen liest, gerät ins Stocken. Stimmt denn das? War Klassik tatsächlich noch nie so breitenwirksam? Wie heute? Aber die Enttäuschung folgt auf dem Fuße. Das Zitat des Intendanten des Lucerne Festivals, Michael Haefliger – der im Übrigen nun unter die Blogger gegangen ist, guten Tag, Herr Kollege! – ist, sagen wir, sinnmodifizierend aus dem Sinnzusammenhang „herauszitiert“.

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„Ich glaube, dass die Klassik in dem Sinn nie so breitenwirksam war, wie das zum Beispiel im Sport der Fall ist“

hat Haefliger nämlich eigentlich gesagt. Alle meine Träume, dass ein neues Zeitalter angebrochen sei, in dem dank Public Viewing in Fußballstadien, Internet-Live Streaming, Vorstellungsnachgesprächen mit den beteiligten Künstlern, moderiert von Anne Will und Stefan Raab und gleichzeitig ausgestrahlt von ARD, EinsPlus, EinsFestival, tagesschau24, ZDF, ZDFneo, ZDFkultur, ZDFinfo, Phoenix, 3sat, Arte, KiKa sowie ProSieben Sat 1 // RTL überträgt zeitgleich die von einem italienischen Schreibmaschinenhersteller gesponserte Sendung „Deutschland sucht die 3 Tenöre“, moderiert von Anja Harteros und Jonas Kaufmann (der sich unter einem Pseudonym zugleich ins Kandidatenfeld eingeschlichen hat und aufgrund von Nicht-Teilnahme an einer Probe um seinen Einzug ins Finale zittern muss) // die klassische Musik inzwischen so populär ist wie das inzwischen wöchentlich ausgestrahlte Fernsehduell der Spitzenkandidaten (das inzwischen publikumstauglich in „Angies Kochshow“ umgemodelt wurde), waren mit einem Schlag zunichte.

„Klassik war nie so breitenwirksam wie heute.“

Diesen Satz muss ich weiterhin träumen. Wie neulich nachmittags, als ich vor dem Einschlafen in der Rossini-Räuberpistolen-Sammlung von Stendhal gelesen habe und dieser schildert, wie eine ganze Stadt am Tag nach der URAUFFÜHRUNG die Begrüßung zweier Liebender aus Rossinis neuester Oper auf den Lippen trug. Als ich aufwachte, versuchte ich mich verzweifelt daran zu erinnern, wie die Oper, wie die Worte, wie die Melodie jener Stelle lautete. Alles, woran ich mich erinnern konnte, war „wadde hadde dudde da“.

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Musikjournalist, Dramaturg