SWR Intendant verbietet Konzert

Hurra, Musik hat wieder eine Bedeutung, Musik ist wieder gefährlich. Zumindest für jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, sich selbst abzuschaffen. Oder das, wofür sie von uns allen ihr Geld bekommen. Alles das, für das sie stehen könnten.

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Die Reformpläne der ARD

Das Ansinnen, gemeinsam mit zwei ehemaligen Chefdirigenten ein Protestkonzert durchzuführen, hat der Intendant des SWR seinem Chefdirigenten Francois-Xavier Roth untersagt. So jedenfalls ist es im jügnsten Artikel des Stuttgarter Investigativfeuilletonisten Götz Thieme zu lesen, der hier in einem Zwischenbericht zum Stand der Debatte [http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.sparmassnahmen-beim-swr-nach-dem-ungeraden-takt-des-geldes.eafb4789-5b6c-40be-9d56-ce3f7b32f7cb.html] die aktuelle Sachlage zu den Sparbemühungen des SWR referiert, inklusive einiger schöner Briefstellen, die in voller Länge teilweise auch auf den Seiten der NMZ nachzulesen sind.

Wäre ein deutlicheres Zeichen für die steigende Nervosität in den Funkhäusern vorstellbar, als dass ein Intendant es für nötig erachtet, ein Konzert zu verbieten?

Wie die FAZ vom Samstag parallel meldet, hat Boudgoust gegenüber dem Rundfunkrat des SWR inzwischen eine Fusion der beiden SWR Orchester – Radiosinfonieorchester Stuttgart und SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg – favorisiert, da man die Klangkörper von den Sparanstrengungen nicht weiter ausnehmen dürfe. Die Damen und Herren des Rundfunkrats sind ja nicht blind, sie werden gleich erkennen, dass es sich bei dem Einsparpotential um die berühmten „Peanuts“ handelt im Vergleich zu den Ausgaben, die fürs Fernsehen fällig werden… Warum erfindet eigentlich nicht mal jemand ein interessantes Fernsehformat für Orchester, leider sehen diese Sinfoniekonzertübertragungen ja immer noch aus, als kämen sie aus den Gründerjahren des Fernsehens, also, fragt mich mal, ein paar Ideen…

(À propos Ideen: Unter den Ideen, die Herr Thieme in seinem Artikel referiert, ist auch die Fusion des RSO mit dem Staatsorchester Stuttgart, also unter den Umständen finden wir das mit der Fusion dann natürlich gar nicht mehr so schlimm, ein Orchester mit 230 Musikern, also das fänden wir alle ganz, ganz toll da könnte das Leipziger Gewandhausorchester einpacken, also echt, und älter sind die Stuttgarter mit ihrer über 400jährigen Hofkapelltradition ohnehin! ;-)

Scherz beiseite, mit solchen Dingen scherzt man nicht. Hat irgendjemand da draussen schon einmal etwas von einer funktionierenden Fusion gehört?

Aber fast hat es den Anschein, als sei die Diskussion längst an einem anderen Punkt angelangt. In der Diskussion um die beiden SWR Klangkörper, aber auch im Protest gegen die anstehende Reform bei WDR 3, wie sie die Initiative radio-retter (Moritz berichtete) auf den Weg gebracht hat, manifestiert sich eine grundlegende Unzufriedenheit mit der Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die Bundestagspräsident Norbert Lammert bereits zu der säbelrasselnden Bemerkung veranlasst hat, dass die aktuellen Bestrebungen mittelfristig sicherlich jemanden veranlassen könnten, Verfassungsklage einzureichen. (Siehe Artikel in der Badischen Zeitung)

Es geht hier längst nicht mehr um ein paar Millionen mehr oder weniger, es geht um das Selbstverständnis eines Landes als Kulturnation.

Aber natürlich spielen Zahlen eine große Rolle. Nicht immer darf man ihnen trauen, doch in diesem Fall scheinen sie eine eindeutige Sprache zu sprechen: In einem Brief an den Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz, in dem die WDR Redakteursvertretung nachdrücklich auf die nach wie vor nicht ausgeräumten Versäumnisse der Direktion hinweist, führen die Redakteurinnen und Redakteure eine eindrückliche Zahlenfolge ins Bild, die den Gang des „modernen Kulturradios“ nachvollziehbar macht:

In einem kritischen Papier zur letzten WDR 3-Reform im Jahre 2008 schreiben Kollegen der Welle ironisch:
„Der Erfolg lässt sich im Radio hören und in Tabellen lesen. Mitte der 80er Jahre lag die Reichweite von WDR 3 noch bei 4,8 Prozent, Mitte der 90er Jahre bei 2,4 Prozent, mittlerweile ist sie auf 1,6 Prozent gesungen. JEtzt steht seit 2001 die drittek Strukturreform vor der Tür.“
Das war vor vier Jahren. Nun steht die vierte Programm- und Strukturreform vor der Tür und die Reichweite liegt bei 1,4 Prozent. Diese Zahlen belegen nach Ansicht der Redakteursvertretung, dass die bisherige Art der Reformpolitik in die falsche Richtung gewiesen hat und weist.

(Alte Radiohasen erzählen sich die Geschichte übrigens so, dass der Niedergang mit der Ernennung des aufgrund seines Einsatzes für die Kultur vielgerühmten Fritz Pleitgen begann, der mit seinem Antritt als Hörfunkdirektor als allererstes die mächtige Musikabteilung zerschlug und sie in die heute bestehenden „Wellen“ überführte. Dass im Zuge der jetzigen Reform von WDR 3 die Fachredaktionen für Musik weiter in ihrer Eigenständigkeit beschnitten werden sollen ist also einerseits folgerichtig, unterstreicht jedoch, dass mit der Zerschlagung jener Bereiche, die sich aktiv mit der Produktion von Musik befassen, der Niedergang der Anstalten einhergeht.)

Aber selbst in solch einem eindeutigen Fall wie der von der WDR Redakteursvertretung erwähnten Zahlenfolge scheint mir die Skepsis gegenüber Zahlen in der gesamten Diskussion um die Kulturproduktion öffentlicher und öffentlich-rechtlicher Träger nach wie vor angebracht. In seinem Artikel über die mögliche Fusion der beiden SWR Klangkörper „rechnet“ Götz Thieme das Profil der beiden Klangkörper gegeneinander auf:

In diesen zehn Jahren [seit der Saison 2002/03] liegen Baden-Baden/Freiburg und Stuttgart mit 75 respektive 76 Uraufführungen und vier zu sieben deutschen Erstaufführungen gleichauf. Bei Werken der Nachkriegsavantgarde toppt das SO jedoch die Stuttgarter: 251 zu 159.

Die Zahl der Uraufführungen ist ein eindrückliches Dokument des Engagements beider Orchester für die Musik der Gegenwart. Doch lassen sie keinen Rückschluss darauf zu, von welchen Komponisten Werke aufgeführt worden sind, inwiefern die Werke für die Entwicklung der Musik oder für die Entwicklung des Repertoires von Bedeutung waren. Dies zu beurteilen bräuchte mehr Platz als in der Spalte einer Tabelle ist. Mehr noch, es bedürfte des Differenzierungsvermögens und des Sachverstands. Beides verbergen jene, die – um eine Formulierung Norbert Lammerts zu gebrauchen – „den Ast absägen, auf dem sie sitzen“ bislang erfolgreich. Vielleicht sollten sie Konzerte besuchen, statt sie zu verbieten. Das bildet. Im ganz umfassend menschlichen Sinne. Glücklich macht es auch. Wie schön, dass die Kultur unsere Rundfunkdirektionen derzeit so beschäftigt.

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Musikjournalist, Dramaturg