die tigerente bekommt konkurrenz

bootleg: originalaufnahme des fünften vorhangs bei der salzburger premiere von rihms dionysos

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brumme-hoppe-horsebee

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was ist das doch für eine distanz, die man da zurücklegt. nicht in kilometern auszudrücken, so viele sind es nicht, doch welten. darmstadt – salzburg. und doch war jemand wie wolfgang rihm an beiden orten. aus dem jungen, die fremdmusik sofort in eigenmusik absorbierenden komponisten ist der direktorenmacher geworden, aus dem wilden aufbegehren die eröffnungstaugliche festspielmusik.

gestern abend – es ist ja schon wieder drei uhr – hatte wolfgang rihms oper dionysos premiere. es war die eröffnungsmusiktheaterpremiere in salzburg und man zollt herrn flimm von rheinländer zu rheinländer achtung, dass er trotz der gewaltigen querelen um die letztjährige nono-aufführung auch in diesem jahr mit einer uraufführung wortwörtlich „an den start“ ging.

wolfgang rihm hat zu diesem anlass ein lebensthema aufgegriffen. dionysos, „der kommende gott“ friedrich nietzsches, steht im zentrum seines musiktheaters, das verse aus nietzsches dionysos-dithyramben mit assoziativen situationen aus nietzsches leben vermählt. N. diesen numinosen namen hat rihm seiner hauptfigur gegeben, ist künstler, er kämpft gegen die wachsenden wüsten in seinem inneren. seine ersten laute sind nichts als ein blöken, als er ariadnes werben endlich nachkommt, die ihm einlass gewähren will in ihre „heimlichsten gedanken“: „sprich endlich, sprich, sprich!“ nicht so leicht, wenn man die sprache bereits einmal verloren hat. am ende, als N. im schaf den gott erkannt hat und begreift, dass verwandlung das einzige wäre, was da noch hilft, bekommt er das fell über die ohren gezogen. (es ist natürlich die haut des marsyas, aber das wissen die mythologisch bewanderten leser dieses blogs natürlich selbst am besten.) vereinigung zwischen ariadne und n. ist die unmögliche möglichkeit, die als sehnsucht aufscheint: „ich bin deine wahrheit“ sind n.s letzte worte. ariadne sinkt nieder.

man könnte versucht sein, diese oper als dokument einer liebesgeschichte zwischen wolfgang rihm und mojca erdmann zu lesen. es ist die ausnahmestimme dieser sopranistin, die wolfgang rihm hier zu seinen kühnsten setzungen anstachelt und die seiner feder eine musik entströmen lässt, die ihresgleichen sucht. ja, man muss es einfach so sagen: das ist die schönste neue musik, die ich seit langem gehört habe.

im „blindfold“-test hätte es jedoch auch für fachkundige bereits eines sehr genauen hinhörens bedurft, um die zeitgenossenschaft dieses werks zu bestimmen. „wie mahler“, „schreker“, „schoeck“, hallte es durch das foyer, wer „strauss“ hinzufügte, lag auch nicht verkehrt. bach nachweislich und auch schubert-anklänge. auf solchem klangkörper lässt sich selbst salzburg das habit des „neuen“ gefallen.

diese oper verkörperte alles, was man ihr als überholtes medium nachsagen könnte: unüberprüftes ausdrucksgehuber, hanebüchene geschichte, mythengemurmel, weltferne, vergangenheitskult. doch wenn man musik liebt, dann kommt man hier auf seine kosten. drei sterne, sechzehn gänge, erlesene weine, plus nusslikör.

das deutsche symphonieorchester berlin unter ingo metzmacher servierte seinen part zu beginn exzellent, am ende wurde es leider etwas wackeliger (fehlende probenzeit?), neben der sensationellen mojca erdmann waren die protagonisten: johannes martin kränzle als n. – tolle leistung, leider in der mitte mit einem erschöpfungszwischentief und einigen schwächen in der höhe -, matthias klink als widerpart des n. lieferte einen strahlenden apoll, der leider einige intonationsschwierigkeiten hatte, die „drei damen“ – oder die ariadne-nymphen oder rheintöchter – waren gleichfalls glänzend besetzt (elin rombo, virpi räisänen, julia faylenbogen). bei einer großen chorszene zu beginn des zweiten teils wackelte es mal gewaltig zwischen graben und wiener staatsopernchor, was dem jubel, der ihm entgegenbrandete, natürlich keinen abbruch tat. (die „fernchorstellen“ waren zudem merkwürdig verstärkt.)

kommen wir zu dem, was gar nicht ging: mit der inszenierung hatte man den tausendsassa pierre audi beaufragt, der nach dieser premiere gleich ins ruhrgebiet weiterreist, wo er henzes „jugendoper“ gisela aus der taufe heben wird. man fragt sich bloß, wieso diese menschen so gefragt sind. gibt es da draussen nicht ausreichend junger, musiklesefähiger regisseure, die aus einer solchen oper ein musiktheater zu machen vermögen? muss man da jemanden engagieren, dem nichts besseres einfällt, als hübsche bildchen zu arrangieren? dem beim thema verführung keine bessere idee kommt, als frauen mit perücken die beine breit machen zu lassen? lange habe ich kein sinnfreieres, ästhetizistischeres bilderstellen gesehen, als an diesem abend. und man wünscht solchen produktionen etwas an den hals, was n. im laufe des abends feststellt: „um geliebt zu werden, musst du ärmer sein.“ oder „weh dem regisseur, der eine wüste in sich trägt, denn die wüste wächst.“

irgendwie war es pierre audi gar gelungen, selbst jonathan meeses bühnenbild zu sterilisieren: keimfrei glotzten einen alienaugen an, klar, meese tierbaby, jetzt nicht mehr nur noch süß, sondern aus vollplastik. dabei war der mann doch einmal ein ERZkünstler!!!

so bleibt als fazit dieser inszenierung festzustellen, dass die tigerente konkurrenz bekommen hat. TOTAL HORSEBEE steht da ein lustiges hoppe am ende auf der bühne. wäre ich intendant, ich würde es augenblicklich in das merchandising-programm der festspiele aufnehmen. vielleicht schlage ich das flimmchen mal demnächst im Triangel vor.

und ich freue mich schon drauf, wenn mal ein regisseur vom schlage eines bieito den exzessen dieser vorlage nachspürt. die eruptive gewalt der musik zündet schlecht im kühlschrank.

gäste, die nicht zur premierenfeier geladen wurden, bewältigen ihren frust an einer klowand.

gäste, die nicht zur premierenfeier geladen wurden, bewältigen ihren frust an einer klowand.

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Musikjournalist, Dramaturg

2 Antworten

  1. querstand sagt:

    man beachte das bild, auch wenn nicht ganz janosch! immerhin kann frau spinola auch mal ohne thielemann – aber rihm ist jetzt in myhrre und aloe gehüllt, kein gran echter humor in ihren beitrag – immer dieser weihrauch schon zu lebzeiten, das hauptmerkmal von hochkultur. wie wäre es mal wieder nur mit scharfsinniger, fröhlicher achtung als immer dieses dreikönigsgeplänkel?

  2. eggy sagt:

    @querstand:
    ganz einfach – wenn’s um die Musik am schlimmsten steht, braucht man die verbale Inszenierung einer Heilsgestalt. Wenn ich Wolfgang Rihm wäre, würden mich die willfährigen Texte von Spinola und auch Büning sehr beunruhigen – sehr wenig wird da über die Musik an sich geschrieben, man ergeht sich in Elogen über eine Person, während die Oper selbst eigentlich vollkommen nebulös bleibt. Rein von der Feuilleton-Beschreibung würde mich das zum Beispiel gar nicht interessieren, eher abstoßen, ich glaube aber an die potentielle Kraft von Rihms Musik, die mich als Zuschauer überzeugen könnte. Darüber würde man gerne mehr lesen (vielmehr: Patrick hat eher darüber geschrieben, gottseidank).
    Moritz Eggert