lichtorgel – stuttgartflashbacks
wer heute musiktheater schreibt, hat’s schwer. gigantischer aufwand, hohes künstlerisches risiko – und am ende sechs halbverkaufte abovorstellungen oder eine kleine tour durch die europäische festivallandschaft. mehr als sonst hängt alles an der ersten inszenierung, denn was nicht sofort überzeugt, hat für ein zweites mal sehr wahrscheinlich seine (ohnehin geringe) chance verwirkt.
das eclat-festival unter der künstlerischen leitung von hans-peter jahn hat in den vergangenen jahren musiktheater als spartenübergreifende kunstform immer wieder ins zentrum gerückt. eine tendenz, die sich übrigens auf den meisten festivals für zeitgenössische musik beobachten lässt – erst eine musiktheaterpremiere setzt die reisereflexe der feuilletonfedern so richtig in gang. sei es, weil sie ihre kollegen am redaktionsschreibtisch nur dafür interessieren können, sei es, weil sie nur da mit einer zünftigen premierenparty mit feschen komponisten und intendanten und regisseuren zum anfassen rechnen. (vielleicht sollte man einfach mal die premierenparty auf das programm nach dem orchesterkonzert setzen und die sorge um die anreisende presse und das geneigte fachpublikum hat sich erledigt.)
für festivals neuer musik wie das eclat-festival, dessen etat im letzten jahr beschnitten worden ist, stellen große musiktheateraufführungen ein finanziell kaum tragbares risiko dar. ohne koproduktionspartner sind sie meist gar nicht zu leisten. in relation zu den kosten eines „normalen“ kammermusikkonzerts muss ein festivalleiter wohl abwägen, welchen anteil des etats er in eine einzige großproduktion stecken will.
muss man es also vielleicht bewundern, dass hans-peter jahn sich dafür entschieden hat, sein festival mit einer neuproduktion von beat furrers „begehren“ zu eröffnen? er stellte eine quasi-konzertante aufführung in einer lichtinstallation der künstlerin rosalie in den großen saal des theaterhauses – als zwischenform, die es erlaubt, das stück erneut zu erleben, ohne den organisatorischen und finanziellen aufwand einer inszenierung tragen zu müssen.
sicher bin ich nicht der einzige, der beat furrer für einen der gegenwärtig aufregendsten musiktheaterkomponisten hält. ausgehend von abstrakten formalen ideen lässt er aufregende dramaturgien entstehen. mythische räume werden zu orten, an denen sehr gegenwärtige dinge verhandelt werden. sein umgang mit stimmen ist außergewöhnlich, vielseitig, zugleich musikalisch und theatralisch. vielleicht muss man bis zu janacek zurück, um jemanden zu finden, der auf vergleichbarem niveau sprache und instrumentalmusik miteinander eng geführt hat.
dass aber ein stück, das auf der bühne erwiesenermaßen funktioniert – eine dvd bei kairos dokumentiert die erste inszenierung von reinhild hoffmann mit einem bühnenbild von zaha hadid – durch eine konzertante darbietung von der art, wie sie nun zu erleben war, durchaus schaden nehmen kann, war die traurige erkenntnis des abends.
mit hilfe von über 30 wassercontainern hat rosalie eine große lichtorgel aufgetürmt, die sich nach dem prinzip der donaueschinger haas-uraufführung „hyperion“ (verkürzt: „die licht musik ist im eimer“) kunterbunt verfärben kann. das tat sie dann auch. immer dann, wenn ein szenenwechsel anstand. oder sie flackerte. immer dann, wenn es aus der musik dräute. an den „schönen stellen“ war sie rot. und an den kühlen sprechstellen blau. wow.
abgesehen davon, dass mein bildschirmschoner zu einer differenzierteren lichtregie in der lage wäre, war das das langweiligsten mickeymousing was ich seit langem auf der bühne gesehen habe. gleich und gleich gesellt sich gern mag doch keiner sehen. gegensätze, die sich anziehen und abstoßen – die hätte es doch zuhauf in der musik gegeben, die wollen wir sehen.
mit den neu eingestreuten zitaten aus den briefwechseln zwischen paul celan und ingeborg bachmann – die dramaturg wolfgang hofer dem komponisten aufgeschwatzt hat – bekam das stück eine eigentümlich „klassische“ komponente. es gab nun akkompagnierte rezitative, bevor die handlung in die nächste arie stolperte.
die (furztrockene) akustik des saals kam der musik nicht entgegen. (und so klang es von hinten mitte, als ob das ensemble modern nur mit halber energie gespielt hätte, was vertrauenswürdigen quellen auf besser gelegenen plätzen zufolge nicht der fall gewesen ist.)
auch eine musik, die in sich dramatisch ist, benötigt die szene. gerade dann, wenn sie sich innermusikalisch in blöcken bewegt, in denen das gleiche immer neu gelesen wird. gerade dann wäre es spannend eine sicht darauf zu erleben, wohin diese relektüren ihre figuren führen. denn in der musik sind sie gefangen. aus ihr können sie nicht heraus.
von rosalies lightshow liessen sich nicht einmal motten aus dem fundus locken. die behältnisse hätten – gefüllt mit wasser statt einfallslosigkeit – auf haiti sicher bessere verwendung gefunden.
Musikjournalist, Dramaturg