die icons der ikone
Über Michael Jackson? Auch noch hier? Ja. Genau hier. Denn das ist genau unser Thema. Studiert man die Reaktionen, die nun allenthalben über die Bildschirme, Zeitungsseiten und Radiokanäle schwirren, könnte man glauben, Jesus sei gestorben. Doch offenbar ist alles viel schlimmer. Denn es starb der King of Pop. Und der vereinte nicht nur den christlichen Teil der Menschheit hinter sich. Sondern offenbar die ganze Welt, denn es stimmt wohl, was man lesen darf – dass Michael Jackson einmal der bekannteste Mensch der Welt war.
Und wenigstens eins darf man nicht übersehen, bei dieser „Ikone“ der Popkultur. Das „Icon“, hinter dem er sich am häufigsten verbarg, war die Pose der „imitatio christi“. Ungezählte Male riss er seine Arme weit auseinander, wie der Gekreuzigte, blickte mit entrückten „Hastumichverlassen“-Augen gen Himmel und nahm die anbrandenden Schreie und Rufe seiner Fans entgegen wie das Feuerbad der Sonne über dem Hügel Golgotha. Unzählige Male brach er vor unseren Augen zusammen, um sein Kreuz erneut aufzunehmen und es erneut den Schädelberg der Kulturindustrie hinaufzuschleppen. Und nach jedem kleinen Bühnentod erstand er neu auf – um zu leben oder um als Anführer einer Horde von Zombies den geschundenen Körper im Tanz von der Erdenschwere zu befreien. Das alles nicht in der Phantasie des Verfassers, sondern zum Beispiel nachzusehen in der Aufzeichnung seines Bukarester Konzerts von der Dangerous-Tour 1992, die gestern Abend ab 22 Uhr im Ersten ausgestrahlt worden ist. Bei allen neuartigen Mitteln derer sich der King of Pop bei seiner Inszenierung bedient hat, hat er sich also doch eines der prägnantesten Bilder unserer abendländischen Ikonographie bedient: der „imitatio christi“, seit Dürer eine der grundlegendsten Figurationen der abendländischen Kunstgeschichte.
Ein anderes wesentliches Motiv, das er verkörpert hat, ist das der Metamorphose. Wer seine Verwandlungen beobachtete, der musste doch das Gefühl bekommen, einem Pygmalion dabei zu zusehen, wie er sich in seine Galathea verwandelt und darob selbst zu Elfenbein wurde. Ohne, dass eine Aphrodite dem toten Leib Leben eingehaucht hätte. Diese Metamorphose zwischen Versteinerung und Bewegung=Leben war ebenfalls ein wichtiger Teil seiner Inszenierung. Noch einmal, Beispiel Dangerours-Tour: Mit einem Feuerwerk wird König Michael wie von einem Vulkan-Ausbruch auf die Erde gespuckt. Und wie in Marmor gemeisselt, oder besser: wie in Plastik gegossen, verharrt er minutenlang in der Pose einer Statue, gleissend-hell angestrahlt, ungerührt von den anbrandenden Rufen seiner Fans. Was dann folgt ist nichts anderes als das, was man auch im instrumentalen Theater Mauricio Kagels erleben konnte, bei Dieter Schnebel, Georges Aperghis oder in jüngerer Zeit vor allem bei Thierry de Mey. Geste macht Musik macht Bewegung macht Musik: der Körper bewegt sich nicht mehr zur Musik, der Körper ist Musik. Das ist auch visible Music, eine die die Massen elektrisiert. Auch wenn die eine nicht von anderen weiß und umgekehrt, warum?
Spätestens mit seinem letzten Auftritt im Jahr 2002 hat sich Michael Jackson außerhalb der Mechanismen des Popgeschäfts gestellt. Nach wenigen Takten hörte er auf zu singen. Schritt gemächlich über die Bühne, warf seine Jacke ins Publikum. This was it. In der lapidaren Geste zeigte er an das er wusste, was wir erst jetzt ahnen. Dass alles vergeblich ist und dass es nun wirklich nicht darauf ankommt, ob wir nun zum Playback mitjodeln oder es sein lassen. Ein Moment der Wahrheit, der im Showgeschäft nicht goutiert wird, der aber mindestens soviel wert ist, wie ein diamantenbesetzter Totenschädel von Damien Hirst. Als Rezipienten brauchen wir offenbar starke Brenngläser. Es muss schon ein Tod her, um es uns zu ermöglichen, ein Leben, ein Werk „einzuordnen“. (Das klingt so schrecklich ordentlich.) Muss doch alles erst zugrunde gehen, bis wir wissen, was entstanden ist? Wer hätte denn gedacht, dass ein solcher Zirkus losgeht, wenn ein gebrochener Showstar, ein lebender Zombie, mehrfach des Kindesmissbrauchs angeklagt, vermutlich unter Medikamentenabusus seinen Abgang macht? Oder ist es einfach die hohle mediale Echokammer, an der wir gerade mitzimmern, die diesen Tod größer macht als er ist?
Notieren wir nur schnell einige der festen Bestandteilen dieser Geschichte, die nun beständig repetiert wird, zur späteren Analyse vielleicht: – Mythos von der verlorenen Kindheit – Durch harte Arbeit ganz nach oben – Perfektionist – ohne Schulbildung – Opfer der eigenen Inszenierung – der geschundene Leib: als Kind vom Vater („Nein, ich habe ihn nicht geschlagen, das macht man mit dem Stock, ich habe ihn nur mit dem Gürtel gezüchtigt, so macht man das, sonst kommen die Kids auf die schiefe Bahn), später mit autodestruktiven Zügen – Blackness, Whiteness – Sexualität: Androgyn, Autoerotisch, Pädophil – Einsamkeit – Lebensunfähig – die meisten verkauften Schallplatten – die best verkaufte Schallplatte aller Zeiten – Erfinder des Videoclips – Genie und Wahnsinn – …
Musikjournalist, Dramaturg