feldman ohne blaubuch

angeblich hat wolfgang rihm morton feldman persönlich versprechen müssen, während der darmstadter aufführung seiner streichquartette nicht zu komponieren. er hat es dann natürlich doch getan. junge männer sind so und irgendwie, vielleicht finden spätere generationen von musikwissenschaftlern im verein mit hirnforschern heraus, wie, haben wohl auch feldmans wunderbar zerbrechliche harmonien in rihms
streichquartett „blaubuch“ eingang gefunden. ich habe kein blaubuch, vielleicht sollte ich eines haben. doch es reizt mich, meine fernbedienung zu zücken, mein „wordpress-app“ zu öffnen und signale aus der anderen zeit einzuspeisen.

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andere zeit. sind es die schneeweissen pantoffeln, die alle tragen, mein drittes bier, das schattenspiel der tänzer? oder tatsächlich einfach die musik? (feldmans streichquartett nr. 2.) das studio der musikFabrik im Kölner mediapark ist aufgeladen von einer ungeheuren energie, als ich es gemeinsam mit zwei anderen latecomern betrete. bald ist hier, in köln, karneval und so drängen sich die kulturveranstaltungen auf den letzten metern, bevor prinz karneval das zepter – und die straßen – übernimmt. andere städte nennen das dann festival, wenn sie an drei aufeinanderfolgenden tagen neue musik veranstaltungen anzubieten haben, dann vielleicht gar drei an einem tag. in köln ist das die vorgezogene karnevalsflucht der kunstaffinen. kölle alaaf.

geteilter abend also. beginn im loft. improvisierte musik ist elternfreundlicher. sie beginnt sowieso meist später, dann sowieso noch zu spät und wenn man dann früher geht, ists auch nicht schlimm. wollt ich aber gar nicht.

im studio der musikFabrik herrscht heut ein hübsches chaos. stühle unterschiedlichster herkunft, gepolsterte sessel, gut abgewohnt wirken sie im halblicht, ein sofa, eine chaiselongue, die sich natürlich mein freund J. unter den nagel – oder vielmehr den astralkörper – gerissen hat. m. versorgt ihn mit dem letzten gebäck, was auf den tischen ausliegt. ich habe mir einen holzstuhl geangelt, der wirkt, als könnte seine nüchterne härte meine hörhaltung in den verbleibenden zwei stunden positiv beeinflussen. überall liegen herrenlose weisse pantoffeln. sie erzählen von gästen, die dieses zeitraumschiff schon verlassen haben. die luft ist zum schneiden und die anspannung zum greifen. die verbliebenen knapp 40 zuhörer lauschen mit gebannter konzentration. schon nach wenigen minuten fällt die umwelt nicht mehr auf. kommen, gehen, es ist der aufmerksamkeit entrückt. nur noch diese wiegenden figuren wie unterdrückte arien, brüchigen harmonien, insistierenden impulse, fragende sekunden, antwortende quarten. und zeit. keine zeit.

es wäre interessant zu erfahren gewesen, welche molekularen veränderungen in der heimlich gärenden milch in den großen krügen neben den geleerten thermoskannen auf den kleinen beistelltischen vor sich gehen. wer weiß – mozart ist gut für milchgebende kühe, warum nicht feldman für die produktion von käsegebender milch. (j. fragen, wenn er sich von seiner tschäslong erhoben hat.)

es spielen übrigens die fabelhaften asasellos. heute zum ersten mal ohne ihren nun ehemaligen cellisten andreas müller. (alles gute!) in einem streichquartett gibt es nur schlüsselpositionen. der erste abend mit dem neuen vierten mann, wolfgang zamastil, ist vielversprechend. es war jetzt kein wechsel beim arditti quartett oder alban berg, keine feuilletonnase kräht danach. (noch!) ich hoffe, dass sie weitermachen können. irgendwann werden neue ardittis gebraucht.

j. geht. ich bleibe. treibe. drifte. nur nicht aufhörn. wär ich pünktlich gewesen. hätt ich ein blaubuch gehabt.

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Musikjournalist, Dramaturg

9 Antworten

  1. micha sagt:

    da kann man sich nur an den kopf fassen! jetzt regen sich einige leute darüber auf, dass der literaturjungstar helene hegemann ein paar sätze abgeschrieben hätte. bei der neuen musik hört man ständig die selben wendungen, lücker beschreibt es ja immer wieder. aber jeder tut so, als sei er ein originalgenie. da finde ich dann doch das aufrichtige remixen von kreidler besser, ja, authentischer.

  2. Erik Janson sagt:

    Ja Ja bestimmt. Wir sind ALLES Originalgenies oder
    halten uns dafür.

    Wer ansonsten nur auf Kultur-Fastfood steht, der
    muss vermutlich eine solch einseitige Haltung
    vertreten.

  3. peh sagt:

    darauf kann man nur mit hehe (helene hegemann) antworten, „dass es keine Originalität mehr gibt, ’nur Echtheit'“.
    (zitiert nach faz.net
    interessantes comeback der authentizität: hielt es für eines der drei a-worte, die man nicht mehr benutzen darf: Authentizität, Ausdruck, Autonomie. („Autor“ gehört ja eigentlich auch noch dazu.)

  4. micha sagt:

    @erik: auf den gema-anmeldebögen geben sich alle als originalgenies aus. oder wird da etwa vermerkt: „t.34, crescendo aus dem nichts, abgekupfert bei nono“?

    @peh: gute bemerkung. vielleicht geht der begriff schon, nur eben postmodern-anführungsgestrichen. das heißt nicht, dass er gar nicht mehr geht.

  5. peter sagt:

    @peh: sie haben mein lieber Anarchie noch vergessen…zu der grosse „A“ Liste

  6. peter sagt:

    @peh: wie schön, dass sie ALLES kennen und so real beurteilen können über Originalität. Ein laufendes Lexikon haben wir hier….

  7. Erik Janson sagt:

    @ micha

    – Durch das pure Behaupten, „Remix“ sei „ehrlich(er)“ (und alles andere nur angeblich Klischee oder Überkommenes…) wird aber der REMIX auch nicht besser, auch wird er dadurch weder origineller noch ehrlicher.

    2. Das Argument mit Deinen GEMA-Anmeldebögen und dem Nono-Crescendo ist schon was lustig und vergleicht Äpfel mit Birnen. Da es mir in dem Zusammenhang nur um die Kritik am reinen Zitieren oder „Remixen“ ging. Daher:kein weiterer Kommentar dazu.

    @ phahn,
    dann von mir aus auch „Echtheit“, gut, dass es dann wenigstens noch das gibt wenn es schon angeblich keine
    Originalität mehr gebe. Kennst Du denn alles, um das einschätzen zu können? Oft sagen gerade meiner Meinung nach DIEJENIGEN (gerade Komponisten auch), es GEBE gar keine Originalität mehr, denen die Ideen aus gehen oder schon ausgegangen sind.

  8. wechselstrom sagt:

    @ micha,

    remixen hat weder was mit „ehrlich“ noch mit „unehrlich“ zu tun – es ist eine Technik wie jede andere auch, also wie bspw. das Vertonen von Texten einer Helene Hegemann. Thats it!

    Ach ja – die Autorin des neuen Songs bekommt ja dann die Hälfte der GEMA oder so ähnlich – oder vielleicht bringe ich da was durcheinander ???

    Kreidlers letzte Aktion „Fremdarbeit“ ist übrigens 1:1 von der Künstlergruppe monochrom abgekupfert – besonders peinlich ist das noch nicht – PolitikerInnen ein Sprachrohr auf der eigenen Homepage zu ermöglichen, das erzeugt aber in Medienkunstkreisen ein erhebliches Glaubwürdigkeitdefizit – hier kommen dann Begriffe wie „ehrlich/unehrlich“ sozusagen wieder zur Hintertür herein .

    – wechselstrom –

  9. querstand sagt:

    @ phahn
    Wie herrlich wäre es mal, wenn alle anwesenden Komponisten bei Feldmans 2. Quartett während einer Live-Aufführung desselbigen mal mitschreiben oder einfach nur Komponieren würden… Ein auratischer Remix und doch immer unvergleichlich individuell… Nun, die Tonhöhen wie Feldman für ein kürzeres Stück mal Vororgansieren ist ja als Komponieren ausserhalb der Zeit gar nicht mal so schwer. Wie hundsgemein anstrengend ist es aber dann mit einfachstem Atem und dichter Konzentration diese Tonhöhenorganisation in tönenden Fluß zu bekommen. Auch wenn man da fast „Fremdarbeit“ leistet, in Feldmans alte Kleider geschlüpft, es fordert in einem doch den ganzen Autoren, ist härteste Eigenarbeit, Selbstbelauschung…