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Rückkehr zu Hindemith! oder Heinrich Schütz! Musiziert wieder!

In dem gepflegten Berliner Stadtteil, in dem ich seit kurzem Theoriekurse für SchülerInnen zur Studienvorbereitung gebe, KANNTE DIE MEHRHEIT MEINES KURSES PAUL HINDEMITH NICHT EINMAL VOM NAMEN! SIE KANNTEN AUCH NICHT HEINRICH SCHÜTZ! – Ich nehme jetzt vielleicht Applaus von der falschen Seite, wenn ich sage: Deutschland, wacht auf! So kann es nicht weitergehen! Ihr verspielt eure großartige musikalische Tradition! Ihr verprasst euer Erbe! Ihr wisst nicht, was ihr Tolles habt und auf welchen Fundamenten es gebaut ist! Ihr verpasst es, den Staffelstab weiterzureichen! Ihr unterbrecht die Kette der großartigen musikalischen Kunstwerke aus diesem Land!

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Wenn ich es auf einen Nenner bringen sollte, was dieses Land verpassen kann, wenn es sich nicht mehr an Komponisten wie Paul Hindemith oder Heinrich Schütz erinnert und an diese anschließt, würde ich es nennen: das lebendige Miteinandermusizieren. Das Ideal ihrer komponierten Musik entsprach immer dem Idealbild eines Kreises lebendig miteinander musizierender Menschen, wie auch bei Bach, Mozart, Haydn –  und noch bei Henze. Wie sich dieses Idealbild mit Gelehrsamkeit, wachem Interesse an Neuerungen, Humor, Lebensfreude und ja, auch gelegentlich gemütlicher Biederkeit verband – das ist spezielle deutsche Tradition, die wir in der Musik weiter pflegen sollten. Ich zumindest bemühe mich darum.

Dieses wird zeitweilig vergessen. Man muss ja nicht mit falschem Neid reagieren, aber nur als Beispiel: Schon zeitlebens während seines Exils in den USA in den 40erJahren war Paul Hindemith deprimiert darüber, wie sehr dort die Musik seines russischen Zeitgenossen Schostakowitsch bevorzugt wurde. Und jetzt?  Nicht nur in den Kenntnissen der Schülerschaft, sondern auch im deutschen Konzertleben ist da ein ebenso klares Urteil zu erleben. Schostakowitsch (oder „Schosta“, wie ihn die Jugendorchester aufgebläht liebevoll nennen) wird rauf und runter gespielt, Hindemith nur gelegentlich. Und Spötter könnten sagen, dieses begann bereits zu Regierungszeiten von Gerhard Schröder so. Hört endlich auf mit dieser musikalischen Nord Stream-Pipeline! Macht euch wieder unabhängig von diesem Pathos-Energietransport! Spielt wieder Hindemith – oder eben Heinrich Schütz!

Gerade wieder jubelte die FAZ nach einem Schostakowitsch-Festival in Leipzig mit seinen sämtlichen Sinfonien: „Die gespannte Aufmerksamkeit und der enorme Zuspruch des Publikums lassen hoffen, dass Schostakowitschs Botschaften in Zeiten eines wachsenden Totalitarismus neue Resonanz finden.“ Das mag  ja so sein. Die emotionalen Dauerbrenner im Klassikbetrieb wünschen sich nun mal Künstler, die immer „all in“ gehen, sich für keine Plattheit zu schade sind, klare Statements abgeben und unsere Gefühle aufwühlen.

Aber demgegenüber lohnt es  sich , mit Stolz auf unsere eigene Musiktradition zu blicken, in der das In-Gefühlen-baden und das drastisch-krasse „Barbarische“ durchaus verpönt waren. Und es lohnt sich zu erinnern an die, wie ich finde künstlerisch heroische Haltung, mit der gerade Paul Hindemith dem Totalitarismus im 20. Jahrhundert begegnet ist. Und er hat dabei ja tatsächlich ständig Dinge erfunden! Er hat sich mit dem musikalischen Material wirklich beschäftigt und daran herumgeknobelt (… man erinnere nur an seinen Spitznamen „Quarten-Paule“) – genau wie alle Komponisten vor ihm,  und genauso wie auch schon Heinrich Schütz (… dieser in ebenso düsteren Zeitläufen während des 30jährigen Krieges…)

Während Europa in Dunkelheit und Chaos versank mit Zerstörungen im Ausmaß eines Armageddon, schrieb Paul Hindemith in Amerika  seinen „Ludus tonalis“, ein großes spekulatives, gelehrtes Klavierwerk in der Tradition Johann Sebastian Bachs. Er  komponierte auch in stetem Fortschreiten Sonaten für fast jedes traditionelle Orchesterinstrument von der Flöte bis zur Tuba. Er schrieb eine Fülle von großen Orchesterwerken. Er errichtete in seiner Musik eine Gegenwelt, wo Menschen miteinander musizieren. Wie sehr ihn dabei nicht nur sein Arbeitspensum an sich , sondern auch das verbissene Festhalten an einem optimistischen und konstruktiven Kunstbegriff innerlich und körperlich verbraucht haben dürfte, wird schon ersichtlich daraus, dass er ähnlich wie ein anderer großer deutscher Exilant Bertolt Brecht den zweiten Weltkrieg nicht so sehr viele Jahre überlebte und vor der Zeit 1963 starb. Ebenso wie bei Brecht liegt da meiner Meinung nach eine Tragödie des Exils vor.

( Hans Werner Henze erzählte mir, wie bei dem einzigen Zusammentreffen, dass er als sehr junger deutscher Komponistin den 50er Jahren mit Paul Hindemith hatte, eine Welle der Bitterkeit und Befangenheit, vielleicht sogar schmerzvoller Neid gegenüber der jungen, in Nazi-Deutschland aufgewachsenen Generation auf ihn überschwappte )

Ähnlich wie die KünstlerInnen des Bauhauses und des Konstruktivismus, ich nenne hier Sophie Taeuber-Arp oder Max Bill in der Schweiz, war es Paul Hindemith um eine nüchterne, moderne Erforschung des Materials zu tun. Und zwar sowohl auf der Ebene der Töne und Strukturen, wo er ja ein ganzes Theoriegebäude aufgestellt hat, als auch auf der wirklich materiellen Ebene der Instrumente. Wer sonst hätte sofort Stücke komponiert für die neuen Instrumente Trautonium, den Vorläufer des Synthesizers, oder für das Heckelphon, die damals neue Bassoboe?

Was Hindemith dabei gleichzeitig auszeichnete – darin Arnold Schönberg und Anton Webern verwandt – war seine tiefe Verwurzelung in der deutschen klassischen Tradition, die er – dieses im Gegensatz zu Schönberg und Webern – als ehemaliger Konzertmeister der Frankfurter Oper und virtuoser Bratschensolist und Kammermusiker wirklich von der Pike auf selbst beherrschte und musizieren konnte.

Und ich bin sicher: Hindemith konnte auch die Musik von Heinrich Schütz spielen, hat er doch manchmal sogar zur Blockflöte gegriffen, wie damals bei den Aufführung seines großartigen epochalen Schulmusikwerks „Plöner Musiktag“ im Jahr 1932.

Hier zum Kennenlernen ein Link:

 

(Es gibt Legenden von Anekdoten darüber, wieviel Instrumente Paul Hindemith selbst spielen konnte – wie er Hornisten in Orchestern deren Partien selbst vorspielte zur Demonstration usw.)

Die Musik von Hindemith oder auch von Heinrich Schütz gilt manchen als BIEDER, als zu KONSTRUIERT, als zu KASTENFÖRMIG, ja gar als LANGWEILIG wird sie manchmal geschmäht. Aber, deutsche Musikfreunde, DAS GENAU IST EURE TRADITION, FÜR DIE EURE MUSIK IM AUSLAND BEWUNDERT WIRD!  Ein russischer Dirigent hat das mir gegenüber mal als „typisch deutsch“ genannt und weiter zu beschreiben versucht „immer gut gebaut – immer im Tonsatz auf den Fundamenten ausgerichtet“.

Bitte kehrt zu diesen Fundamenten zurück! Beschäftigt euch wieder mit Paul Hindemith! Oder mit Heinrich Schütz! Schreibt sie wieder in den Lehrplan! Spielt und übt ihre Stücke!

( Jobst Liebrecht, 25.7.2025 )

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