»You can’t always get what you want«, näselte Mick Jagger durch die Lautsprecherboxen, als mein Kalender mich daran erinnerte, jetzt loslaufen zu müssen, um noch rechtzeitig zum musica viva Konzert des Bayerischen Rundfunks zu kommen. Ich musste mich also entscheiden, ob ich die Staffelfinalstimmung der Serie Californication noch ein wenig genießen möchte, oder zu spät zu Moritz Eggerts Uraufführung und Steve Reichs „The Desert Music“ komme.
Als ich also zu spät im überfüllten Herkulessaal eintraf, bestätigte sich die Altersweisheit der Rolling Stones: Man kann nicht alles haben.

Aufgrund der Entschleunigungsmaßnahme der Stadt München (Minimalbesetzung der öffentlichen Verkehrsmittel am Wochenende), die allen Bürgern Innehalten ermöglicht, kam ich an der U-Bahnhaltestelle „Odeonsplatz“ bereits in den Genuss der Muzak, jener (klassischen) Hintergrundmusik, welche an öffentlichen Orten über Lautsprecher wahlweise die Stimmung erheben, oder Obdachlose fern halten soll.
Im Konzertsaal vereinte Moritz Eggerts Uraufführung Muzak for voice and orchestra beide Funktionen. Eggert raste durch Popmusik Anklänge und nahm dennoch jede Kurve, um dem Crossover-Kitsch zu entfliehen. Manche gesanglichen Pop-Zitate verschmolzen zu perkussiven Wortfetzen, die an die Szene aus Game of Thrones erinnerten, als sich der Wortumfang des dicken Publikumslieblings „Hodor“ schrittweise auf ein Wort verengte. Doch das war nicht der einzige Popkultur Verweis: Spätestens als Eggert das Publikum mit dem Trashhit „Barbie-Girl“ gedanklich in einer Großraumdisko aus den 00er Jahren aussteigen ließ, spalteten sich die Gesichtsausdrücke der Zuhörer: Während die einen ihre Lippen zu einem süffisanten Lächeln lockerten, faltete sich die Stirn der anderen zu einer ernsten Miene, die der E-Musik bekanntlich ihren Namen verleiht.

In Anschluss an ein hoch interessantes Werk folgte großer Applaus für Moritz Eggert, der vollkommen zurecht nicht nur dem altroten Anzug inklusive UK-Flagge-zeigender-Schuhe galt.

Nach der Pause nun Steve Reichs „The Desert Musik“ und um es vorweg zu nehmen: Das Münchner Publikum zeugte dem Großmeister der verschachtelten Rhythmen ihr Tribut, indem es den fast 80 jährigen Cappy-Träger mehrmals auf die Bühne applaudierte. Was davor geschah war der reinste Minimalgasm: Streicher, Klaviere, mikrofonierte Sänger und Bläser umrahmten eine Ansammlung von Schlaginstrumenten, die ein Besucher (Ich) kompetent als „Xylophondinger“ einordnen konnte. Nach eigener Aussage hat Reich keine bildhaften Assoziationen, wenn er an diese Musik denkt, er sehe „einfach schwarz“, wenn er die Augen schließe. Als ich dem Meister folgend meine Augen schloss, flimmerte noch das netflix Logo in meiner Netzhaut. The Desert Music erinnerte mich an Californication: Nach der ersten Staffel wiederholt sich der Plot ständig: Hank Moddy, der Badboy der Literaturszene bekommt sein Leben nicht in de Griff und hat nie die Trennung von seiner Frau überwunden. Das klingt nicht besonders reizvoll, aber erzeugt nach und nach einen Sog, in dem man sich verlieren möchte.