Bacchanale und Bahnen – Karneval und Sounding D
Für einen Kölner gibt es zwei Dinge, auf die er sich jedes Jahr freut: Auf den Beginn der fünften Jahreszeit. Und auf Karneval. Integraler Bestandteil der karnevalistischen Spektakel ist ein Umzug – früher sagte man Parade. Denn mitnichten wird „umgesiedelt“, sondern eine verkleidete Soldateska führt ihre mit Nelken geladenen Schusswaffen vor, exerziert absurde Manöver und haut dabei ganz dick auf die Pauke. Als man im 19. Jahrhundert – es war die Zeit, in der Meister Offenbach in dieser Stadt weilte – den Karneval wiederbelebte, da waren es die römischen Bacchanale, an die man anschließen wollte: Als Götter maskierte Obrigkeiten wurden verlacht und auch manch andere Bräuche der römischen Dekadenz nahm man – mehr oder weniger widerstrebend – in Kauf. Die katholische Kirche nahm anschließend die Beichte ab und alles wurde gut.
Was soll nun dieser Eintrag, als erster eines dritten Bloggers, der nun hier das Internet vollschmiert und Euch seine Zeit stehlen wird mit seinen Einlassungen und Auslassungen?
Gestatten, mein Name ist Patrick Hahn, ich bin frei flottierendes Elektron, gerade noch schlank genug, um die Maschen des Netzwerks noch zu passieren, was nicht heißt, dass ich nicht 85 Prozent der hier beteiligten Menschen irgendwann im Laufe der vergangenen Jahre schon einmal begegnet wäre. Vermutlich unter anderem weil ich mit den befreundeten Komponisten Moritz Eggert und Arno Lücker seit nunmehr 2 Jahren ein Blog mit dem peinlich-schönen Namen „Bad Blog of Musick“ pflege – gelegentlich auch vernachlässige – wurde mir die Ehre zuteil, diesen Zug nun einige Tage zu begleiten. Weil man aber immer nur soweit kommt, wie einen die eigenen Vorurteile tragen, möchte ich diese nun himmelweit offen legen.
Zurück zum Karneval, respektive zum Zug. Denn während ich nun im schicken ICE Richtung Essen düse kann ich gar nichts anderes denken als: „D’r Zuch kütt. D’r Zuch kütt.“ Am Ende ist er gar schon da, denn ich bin verdammt spät dran, und hoffentlich höre ich gleich noch etwas von den Giovanni Gabriele-Chorälen in der Dauerbaustelle Essen Hbf. Gerüchten zufolge soll als Hauptattraktion des Kulturhauptstadtjahres RUHR.2010 am 24. Dezember der letzte Bauzaun vom Essener Hbf entfernt werden.
Und irgendwie hat diese Sounding D-Geschichte, so aus der Ferne betrachtet, eine Menge mit Karneval zu tun. Man nehme ein paar alte Waggons, verkleide sie als schicke sound-art-container, schlage auf die dicke Trommel und halte eine Parade ab. Einen Karnevalsprinz gibt es auch und ich habe von vielen Leuten gehört, dass sie bereits jetzt einen Sounding D-Kater haben. Und die Rolle der Kirche übernimmt dann gleich die BKS: ihr Logo erteilt Absolution.
Alles, was wir von der Welt wissen, wissen wir aus den Massenmedien, oder so ähnlich, lautet doch der Satz bei Luhmann. Und alles was ich über diesen Zug weiß, weiß ich bislang aus der Berichterstattung. Und beinahe jedes Mal, wenn ich die NMZ-Seite öffne, um mir das jüngste Filmchen reinzuziehen, hör ich ein Getöse, gegen das der berüchtigte Vuvuzela-Sound des Sommers 2010 ein Schlummerlied ist. (Versprochen, es ist das letzte Mal, das ich so einen Vergleich bemühe.) Und was das Schlimmste ist: die Menschen glauben alle, das sei neue Musik. Dass da immer so Menschen auf Bahnhöfen rumstehen, wie die Straßenmusiker und die Umwelt akustische verpesten. Aber dass der Musik ein Mangel an Urbanität anhafte, das hat Kant schon gewusst. Davon aber später mehr. Muss mir ja noch was aufheben für die einsamen Stunden in Moers, Neuwied, Saarbrücken, wenn die Neue Musik und der Zug mich für ein paar Minuten allein lässt mit mir und der Erinnerung an die Weichen, die mir und dem Zug beim Überqueren kleine Schläge versetzt haben.
Es gibt übrigens viele Kölner, die es total blöd finden, wenn man solche Vorurteile bemüht. Wenn man ihre Stadt mit Karnveval gleichsetzt. Aber da geht es ihnen wie den vielen, die nun fürchten, die neue Musik sei in der öffentlichen Wahrnehmung wie Sounding D.
Patrick Hahn, Dienstag, 15:14