Willkommen in der Kitschhochburg Leipziger Wiese. Das fahren die Kameras über die Wiese und verbreiten gute Stimmung, zumindest das, was man in den 70er Jahren dafür gehalten hat. So rama(-mäßig) macht die Klassik gut. Dabei ist es ein Drama.
https://youtu.be/-9TgSvMiWBU
Man versteht es wirklich nicht, da hat man ein Orchester vor Ort, das sich zu den besten der ganzen Welt zählen darf und dann das. Wollen die damit vielleicht das nächste Sülzburger-Festspiele-Orchester in Residenz werden. Okay, mein Fehler. Eigentlich wollte ich zweitens nämlich ein Wortspielverbot für mindestens 48 Stunden ausrufen. „airleben“ – versteht ihr? Da sind „er“ und „air“ ausgetauscht worden. „air“ steht für Luft, also für gerne draußen wie bei „Open Air“ und weil das ja genau so klingen tut wie „er“, versteht Ihr, ist das ein Wortspiel vom Feinsten.
„Musik kann die Welt verändern.“
Klar, wenn man den Kubus des Gewandhauses in seinen dunklen Tönen innen so vor Augen hat, da ist es schöner auf der hellen, warmen Wiese mit Alkoholika und Geschmuse zuzubringen. Eben heile Welt, heile Klassikwelt zu tun. Das ist kulturell sedimentiertes Woodstock, planiertes Verona und Grillparty in einem. Und das liebt der Kuschelklassiker wie nix.
Die schönste Nebensache der Welt
Der Höhepunkt des Videos, wenn es gerade dunkelt, nach der Beschwörung der Weltsprache Musik als gemeinsamer WerbesSpache der Menschheit, Halleluja – die hier nämlich genauso klingt wie die Musik zur Vorstellung des nächsten iPhone oder Galaxy oder der letzten hippen App – gipfelt in dem Satz:
„In ihrer Gegenwart sind wir 1.“
1am und verlassen! Sind wir eines? Nämlich … Die Antwort blowt im Klaviersäusel. Nein, Leute, wenn wir mal dahingeschieden sind, sind wir eins, nämlich mausetot und je nach balsamierungskunst, mehr oder weniger Staub.
Porsche weiß wie es geht!
Das ist Brummbrumm-Markting der Highspeed-Klasse, präsentiert von Porsche. Ach, es ging gar nicht ums Auto. Macht ja nix, schauen wir mal ins Poesiealbum der Klassiksprüche und gut ists.Voll modern: Das Filmteam hatte die Entsprechung zum Tesla, nämlich die selbstfahrende Kamera.
Was solls. Wer Abgaswerte verändern kann, wird auch Kulturveranstaltungen zum Positiven wenden können. Porsche, den Namen wird man sich merken müssen.
[Update]
Auch Norman Lebrecht stimmt zu. Er schreibt dazu:
What’s so awful?
1 It does not play classical music.
2 It looks like a package holiday ad.
3 It oozes insincerity.
4 The composer is a robot.
5 It is made by the Gewandhaus.
– See more at: http://slippedisc.com/2016/07/worst-ever-orchestral-promo-video/#comments
13. Juli 2016 um 17:00 Uhr
Hallo,
ich verstehe nicht genau ihren konkreten Kritikpunkt… ist es die Tatsache an sich, dass es sowas wie Klassikkonzerte open air gibt? Oder ist es die vermarktung? Sind es die Sponsoren die so was ermöglichen können? Ist es der Trailer bzw. wie er gemacht ist?
Grundsätzlich finde ich es nämlich eine super Sache, dass es sowas gibt (und auch noch gratis)! Wenn’s einem nicht gefällt muss man ja nicht hingehen. Aber der Trend zeigt doch, das diese Konzerte in den letzten Jahren höchst erfolgreich angenommen werden und eine sehr positive Resonanz bekommen. Mittlerweile gibt es doch in fast jeder Stadt solche openair konzerte. Und das solche Projekte auch irgendwie finanziert werden müssen liegt doch auf der Hand. Ist das so bedenklich, dass Porsche oder die Sparkasse oder die deutsche Post das Gewandhaus unterstützen?
Oder finden Sie die Musik dort zu kitschig bzw. die Atmosphäre nicht angemessen?
Was den Trailer angeht- ich find den jetzt gar nicht so schlecht gemacht. Das spricht nunmal viele Leute an und darum geht’s doch in einem Werbetrailer für die Veranstaltung…
13. Juli 2016 um 17:24 Uhr
Ein Antwort darauf fällt mir ehrlich gesagt sehr schwer. Denn es geht bei der Kritik nicht um openair, es geht nicht um Porsche, es geht nicht um Trends etc. All das wäre ein eigenes Thema wert. Nein, es geht um die musikalische und optische Gestaltung im Zusammenhang mit dem Textkommentar aus dem Off. Das alles zusammen ist von ausgesuchter Plattheit. Aber am schlimmsten ist die Musikuntermalung von der ich zudem annehmen muss, dass da nicht einmal das Orchester spielt, das man sehen kann.
Vielleicht sollte ich aber auch nicht so kritisch damit ins Gericht gehen. Wenn derlei Larifari auf fruchtbaren Boden fällt und, um den Faden zu Ihrem Kommentar aufzunehmen, man einfach Spaß haben wollte, dann ist es ja gut und ziemlich egal, wer, wann, wo, was und wie aufzieht. Was interessieren schon Inhalte, wenn man die Form so liebt.
13. Juli 2016 um 20:04 Uhr
Lieber Herr Hufner,
es ist in Wahrheit noch viel schlimmer. Die untermalende Musik hat niemals ein Orchester gesehen. Das ist Musik aus der Konserve, oder – um es ganz korrekt zu beschreiben – eine ‚Orchester-Library‘. Von daher enthebt es sich nicht einer gewissen Selbstironie, wenn – wie sie es beschreiben – ‚ausgesuchte Plattheit‘ auf ein unechtes Orchester trifft, das wiederum inhaltlich das ‚Feeling‘ des besagten Festivals, das ebenso wenig zufällig auf billige Wortspiele zurückgreift, musikalisch beschreiben soll. Seien wir ehrlich: Das Einspielen einer echten Orchestermusik erfordert einiges an finanziellem Aufwand, und der sollte hier nicht betrieben werden. Meiner Meinung nach bedarf es nicht einmal der kategorischen Beschimpfung, wenn diese auch zurecht erteilt wurde. Nein, viel schlimmer finde ich, dass hier die Besucher angesprochen werden als seien sie eine affektierte Masse, ja, als würden sie lediglich ein Konzert besuchen, um an jenen Highlights teilhaben zu wollen die ihnen mühelos beim morgendlichen Duschen einfallen und welche ebenso freudig-erregt als ein musikalischer Blumenstrauß, besser bekannt als Potpourri, pfeifend an den blanken Kacheln neben dem Rauschen des Duschkopfes widerhallen. Es geht nicht darum, sich von dieser Dummheit loszusagen, um elitär oder besonders zu sein, und der Hinweis meines Vorredners drängt sie natürlich in eine Ecke, in der das schlechte Gewissen anschlägt und sagt: Ich möchte mich nicht über andere erheben. Das ist es aber garnicht. Es geht um Zumutbarkeit und das Vertrauen darauf, dass auch komplexere Inhalte, die nicht nur auf das Herz sondern auch auf das Hirn zielen, von einer breiten Masse verstanden wird. Und dieses Video verkauft seine Zuschauer für dumm. Schade, wie ich finde.
13. Juli 2016 um 22:41 Uhr
Ich dachte schon, ich stehe damit allein. Man fühlt sich ja wirklich schnell so, als ob man nur ein blöder Spielverderber am eigenartigen Vergnügen ist. Und ich stimme vollkommen zu, dass offenbar genügend Menschen damit schon zufrieden sind, was ihnen zu Not angeboten wird. Dass dies einhergeht mit einer Abwertung der Kunst, egal – die nimmt man mit an dem Grabbeltisch vor der Kasse. ist ja eh nicht so wichtig dabei.
14. Juli 2016 um 22:42 Uhr
Grau-en-haft.
Was ist eigentlich der Zweck dieses Videos? Soll damit neues Publikum angesprochen werden; solches wohlgemerkt, das nicht nur einmal im Jahr auf die Wiese kommt?
Falls ja, dürfte das eher nach hinten losgehen. Denn wer ernsthaftes Interesse an sogenannter Hochkultur entwickeln könnte, dem wird bei solcher Hochglanz-PR, die ganz auf emotionale Überwältigung setzt, sehr schnell ganz schlecht. Weil das eben jene Unaufrichtigkeit ist, die schon Lebrecht als seinen dritten Punkt so treffend genannt hat.
Ich hoffe nur, sein Punkt 5 trifft nicht zu und sie fühlen sich nur verpflichtet, das vom Sponsor zugelieferte Werk zu verwenden. Sollte das Video vom Gewandhausorchester selbst in Auftrag gegeben worden sein (für wohl nicht allzu wenig Kohle), würde das ernste Fragen aufwerfen.
Denn dummerweise bestätigt dieses Video alle Ressentiments: Für so blöde halten sie da in ihrem Elfenbeinturm also die Leute.
15. Juli 2016 um 8:38 Uhr
Kai, leider ist es so, dass das Video ja über den YouTube-Kanal des Gewandhauses geteilt wird. Bis zur Veröffentlichung hier und bei Norman Lebrecht und dam Facebook-Account von mmauvs dümpelte es an der Grenze zu 200 Aufrufen. Jetzt sind es doch 2000 geworden. Auf der Website des Gewandhauses wird es jedenfalls nicht eigens beworben soweit ich das sehe. Bezahlt, das vermute ich mal, hat es der Sponsor „Porsche“. Denn ich kann mir wirklich nicht denken, dass der Soundlibrarybrei wirklich das Gewandhausorchester repräsentieren soll und kann.