Die nächste Konzert-Saison steht schon in den Startlöchern. Überall gibt es Pressekonferenzen, dass es nur so scheppert. Die Orchester stellen ihre Programme vor. Und ihre Programmbroschüren. Das ändert sich ja jeder Jahr irgendwie doch, auch wenn es alles nur so um Mahler und Bruckner kreiselt. Die Sachen machen ja auch was her. Da fällt es nicht einmal so richtig auf, wenn man etwas dazu twittert.
Mit viel größerer Spannung wird erwartet, was die Orchester in der nächsten Saison so tragen. Als Publikum muss man die ja die ganze Zeit über im Konzert dann auch sehen, wenn man nicht wie Karajan mit geschlossenen Augen an die Sache geht. Und wie stellen sich die Orchester selbst dar, sozusagen im Orchesterselfie.
Fangen wir mal an mit dem Reigen der Berliner Orchester. Denn, es ist ja klar und eine Herzens-Marketing-Angelegenheit sich von anderen abzusetzen – schon allein, um nicht verwechselt zu werden, denn jedes Orchester ist je immer schon das beste Orchester. Und nicht nur, was die Kleidung angeht.
1. Deutsches Symphonieorchester Berlin
Man trägt auch in 2016/17 wieder schwarz. Das ist überraschend. Schon seit Generationen trägt man schwarz, sogar die Frauen. Auf Figur geschnittene Fräcke bei den Männern, weiße Fliege, die Damen bevorzugen ein bisschen Glitzer dazu und Rundhalsausschnitt! Da hat sich der Maitre de Figur ins Zeug gelegt.
Der asymmetrische Raum mit den Leuchtbällen da, einem Wandfresko aus einer Cluster-Notation von Pendereckininsky. Der Boden einerseits total streng in seiner Struktur, die hinteren Winkel wild, konstruktivistisch.Das ist zweifellos modern. Aber auch gefährlich, ein bisschen möchte man, dass die Musikerinnen aus dem Bild wegtreten verschwinden, schon aus Gründe der Sicherheit. Die Decke scheint denen fast auf den Kopf zu fallen, wie Spaceballs droht ein Angriff aus der Berliner Gesellschaft. Die Aufstellung selbst ist allerdings echt so etwas von bieder. Links vorne die Geigerinnen, rechts die Cellinnen und Kontrabässinnen. Dahinter der Spielmannfrauszug.
Sicher ist: Das Orchester spielt auch bei schlechter Beleuchtung gut.
Ganz anders das:
2. Konzerthausorchester Berlin
Das Konzerthausorchester wagt sich was: Statt schwarz 100 Prozent Black. Die Man und Woman in Black sind zurück. Viel weniger Glitzer dafür und die Fräcke leicht etwas zu kurz geschnitten. Dafür darf auch schon mal das Hemd aus der Hose gucken. Gerade in diesem klassizistischen Ambiente ein Bringer für Aufmerksamkeit. Die Gruppen sind hierarchisch organisiert in jeweils drei Quadranten – unklar ob nach Alter, Gehalt oder Zuneigung. Mit etwas Glück sieht man in der unteren Etage ein paar rotangepolsterte Stühle.
Die Winkelaufstellung ist als mentaler Laufsteg modern. Siehe auch Nr. 4 weiter unten. In Wirklichkeit umgeht man damit die Tatsache, dass man in einem Schuhkarton, Größe XXXXXXXXL, spielen muss, in einem so alten zumal, mit Goldapplikationen, Arabesken, Stelen, kleinem Gedöns und so. Da ist etwas Strenge unvermeidlich, will man nicht wie ein Operettenorchester aus den 50er Jahren wirken.
Ulkig allerdings, dass die Musikerinnen hier dem kostbaren Publikum auch noch die Plätze streitig macht. Das könnte allerdings auch ein Trick sein. Es sind gar nicht die Musikerinnen des angestellten Orchesters dort auf dem Bild, sondern Statistinnen, die per Casting ausgewählt wurden. Wo der Torwart ist? Keine Ahnung – sitzt vermutlich mit dem Trainer von Hertha BSC beim Rowein.
3. Berliner Philharmoniker
Da muss man jetzt lange suchen, bevor man die Musikerinnen erkennt. Ein Suchbild ganz sicher. Auch in diesem Punkt waren die Berliner Philharmoniker immer schon Vorreiter. Ästhetisch nicht zugeknöpft, das blackandwhite passt performant zum golden Hintergrund des Gebäudes. Diese Musiker bringen gute Laune und gutes Wetter mit. Sofern da überhaupt Frauen mitspielen, passen sie gar nicht so recht ins Konzept. Hier hätte man sich mehr erwartet. Wozu muss das sein. Optisch stören sie hier immens der ästhetische Gleichgewicht, ohne dabei Akzente zu setzen.
Auf dem falschen Dampfer ist man, wenn man die drei schwarzen Kästen für Monitorboxen halten wollte. Und gottlob hat der Fotograf sich nicht dazu hinreißen lassen, diese Fassadenbeleuchtung anzuschalten. Aber man ist damit natürlich auf der richtigen hermeneutischen Spur: Das Orchester ist Fassade vor der Fassade. Es passt sich in Mimikri-Methode fast an, wird unsichtbar – das Mittel der Wahl wäre hier ein Trendchcoat gewesen und Regen. So entsteht der Eindruck, man habe es mit einem Schönwetterorchester zu tun. Das Schlimme daran, das könnte stimmen.
Von oben stürzen fadenartige Linien (die Musikerinnen als Marionettinnen) wie aus Simon Rattle Haarpracht, von unten drohen schwarze Kreise, eine Art Gitter, wahrscheinlich die Lüftungsgitter des Computers des Intendanten.
Eine Tür als Ausweg deutet sich links unten im Bild an. Es gibt das so ein paar Unsauberkeiten in der Gestaltung. Wieder nicht in letzter Konsequenz bis zum Ende gedacht.
Und wo wir schon beim Dach sind, wenden wir uns dem wohl modernsten Orchester Deutschlands nach dem Ensemble Resonanz zu:
4. Symphonieorchster der Bayerischen Rundfunks
Wie genial ist das denn: Das hinten groß angeschlagene Motto „Vielfalt“ setzen sie geradezu kongenial um. Einfalt in der Vielfalt.. Nicht einer Musiker, sondern derer Dutzende und wie unterschiedlich, einzeln als Individuen, unterscheidbar, die Einheit in der Vielfalt symbolisierend – und das genaue Gegenteil auch!
So wie die Berliner Philharmoniker verzichten sie auf jeden Schnickschnack wie Instrumente. In die monochrome Welt setzen sie zarte, geradezu blümchenhafte Noblesse. Die Hände punktieren das Gesamtbild. Der Torwart mit der Nummer 1 auf dem Rücken, steht etwas abseits, gehört aber mit dazu. Man merkt leider, die anderen mobben den (sieht man auch an der geknickten Haltung). Das Chaos im von dynamischen Winkeln zergliederten Laufstegambiente – ja hier ist tatsächlich ein Catwalk aufgebaut, BRAVO – zeigen: Die wollen die Musik in ihrer Kaputtheit ebenso darstellen, wie in ihrer Konventionalität (schwarz/weiß).
Die Musikerinnen wirken alle durchtrainiert, Arbeiterinnen an der Musik. Das ist alles im Prozess, im Werden oder schon vergehen. Die Umgebung stimmt einen zuversichtlich traurig, so grau, so unfertig oder abgebrochen. Die nehmen sich zum Einspielen garantiert immer so ein Stück wie „a carlo scarpa“ von Luigi Nono vor, da muss man auch nicht die Instrumente vorher stimmen.
München als musikalisches Dach der Welt, na klar. Hilamaya, Spuckzitze. Akustisch nicht gut, zumal a cappella. Aber ganz sicher in Sicherheit vor dem Orchesterfestspuk.
5. Paris Opera Orchestra
Oh, Paris, die Stadt der Mode: hier gehts ab. In jedem Fall die Stadt der Liebe. Die Hälfte der Musikerinnen fehlt noch, die andere ist irgendwie noch nicht ganz wach. Opernorchester müssen ja auch immer sehr lang ran. Da reicht Mahler oder Bruckner nicht. Und Schlaf muss sein. Der Fotograf hat ganz sicher seine Sache gut zu machen versucht und immerhin sitzen fläzen sie nicht in Schlafanzug und Nachthemd herum. Dass die französische Orchestergewerkschaft das so durchgewunken hat, verdient Respekt.
Man versteht bei diesem Bild sofort, warum manche Orchester wirklich besser im Graben aufgehoben sind. Dort ist es eng und stukturiert. Mit der Freiheit kommen die nicht ganz klar. Husch, husch in den Graben mit euch oder zurück ins Dauenbettchen mit Blick auf Notre Dame.
Mann, gut gemeint, aber das wars schon. Immerhin ist aber klar: Hier sind keine Musiksoldaten trotz Uniform am Werk. Das versöhnt einen denn dann doch.