Singen kann strafbar sein. Klar, wenn man verfassungsfeindliches Material singt. Es gibt da Sachen, die sind verboten. Die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie gehört jetzt auch dazu.
Wir proben heute ODE AN DIE FREUDE im Foyer des Großen Hauses. Draußen hat die AfD eine Kundgebung. https://t.co/ZjZiHCK5zR
— StaatstheaterMZ (@StaatstheaterMZ) November 21, 2015
Diese Aktion brachte dem Staatstheater Mainz offenbar eine Anzeige seitens der Polizei ein, wie mehrere Zeitungen und der SWR berichten. Das Grundgesetz ist ein hohes Gut, es garantiert Versammlungsfreiheit – und wenn das nicht so klappt auch: Ansammlungsfreiheit. Die Polizei kennt da keine Gnade. Man muss leider vieles auf diese Weise dulden, aber eine politische Einschränkung wäre sicher ein schlimmeres Übel.
Aber darf man deswegen nicht singen? Demonstrationen allüberall werden auch mal gestört – mit Trillerpfeifen, Rasseln und anderen Dingen, die die akustische Verbreitung von Kundgebungen unterminieren sollen. Das ist fast überall so und es wird auch nicht weiter verfolgt.
Ich gebe es zu: Ich habe gerasselt. Nicht nur einmal, sondern mehrfach. #Staatstheater #Mainz #Anzeige (bw) https://t.co/MVmigmXqUn
— Tabea Rößner (@TabeaRoessner) November 24, 2015
Wenn aber ein Staatstheater zufälligerweise bei offenen Fenstern und Türen singt, dann gehört sich das offenbar nicht. Es gehört sich nicht nur nicht, es ist geradezu verboten. Anzeige der Polizei, nicht der Veranstalter der Versammlung (AfD), folgt auf dem Fuße. Ob die nun verfolgt wird, steht dahin, aber die Drohung steht im Raum.
In der Süddeutschen Zeitung sind die Folgen beschrieben worden:
„Das ist ein formaler Verstoß, das ist ganz klar geregelt“, sagt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Mainz. Nach Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes wird, wer „in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen grobe Störungen verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Die Sänger seien drei- oder viermal von der Polizei angesprochen und verwarnt worden, was ihnen drohe. Sie hätten weitergemacht, also habe die Polizei Anzeige erstattet. [Quelle, SZ]
Und da haben wir den Casus knacktus. Alles eine Frage der Interpretation:
- Wollten die Sänger des Staatstheaters die Versammlung verhindern? Nein, die fand ja statt.
- Wollten die Sänger des Staatstheaters die Versammlung sprengen? Sprengen? SPRENGEN? Nein.
- Ist das Singen der „Ode an die Freude“ eine grobe Störung? Nun, Beethoven hätte vermutlich gesagt: Ja. Ein Störung von Unterdrückung. Der Aufruf zu Brüderlichkeit ist also eine grobe Störung.
Sacht mal, gehts noch? Aber menschenfeindliches Gelaber ist ein schützenswertes Gut? Da muss einem ja die Hutschnur hochgehen. Was Störung ist und was nicht, das entscheidet dann die Polizei vor Ort ad hoc. Immerhin: Es ist ja nur eine Anzeige, die Sänger und Sängerinnen des Staatstheaters sind nicht gleich eingefahren. Eigentlich müsste man dazu raten, dass die Anzeige wirklich verfolgt wird, die Sache vor Gericht geht, um eine gewisse Rechtssicherheit zu erlangen. Darf man sich das Singen also verbieten lassen?
Ich gratuliere jedenfalls dem Theater, dass es zur richtigen Zeit die richtige Probe mit dem richtigen Stück abgehalten hat. Gut gemacht, Staatstheater Mainz. Es sollte viel mehr öffentlich geprobt/gesungen werden.
UPDATE (25.11.2015 16:00):
Nun hat auch der Veranstalter Anzeige erstattet.