Apple hat Musik von U2 „verschenkt“. So könnte man den Sachverhalt beschreiben, der in der Musikbranche grade heiß diskutiert wird, bzw. dessen ungewisse Folgen.

Auf dem soeben zu Ende gegangenen Reeperbahnfestival hat auch der deutsche Shaggy aka Herbert Grönemeyer seinen (teuren) Senf in einem Keynote-Interview dazu gegeben.
Ich spüre zwar selbst ein Unbehagen bei der ganzen Chose, aber seine Gründe gegen diesen Deal wirken angestaubt und verkennen eine neue Realität.
Verkürzt gesagt ist er gegen den digitalen Wandel: der dadurch entstehende Inhalteüberfluss führt zur Wertdeflation. Grönemeyer sehnt eine Zeit zurück, in der die Veröffentlichung eines (meistens mit Herzblut entstandenen) Albums ein Akt Musik-Dei Gratia war.

Kaufen statt mieten

Deswegen wird er sein neues Album auch nicht zur Online Vermietung (neudeutsch: music streaming) feil bieten, eine Premiere. Er will wohl nicht, dass diesem neuesten musikalischen Parforceritt durch die Gefühlswelten An & Aus nicht dasselbe widerfährt wie seinen anderen gefühlt drei mal lebenslänglich dauernden musikalischen Zeitlupen-Ergüssen. Hut ab vor diesem Hobby-Revoluzzer! Was für ein Fast-alles-oder-ein-bisschen-nichts-Statement gegen die musikerunfreundliche Gemengelage zwischen teils enormen Klickzahlen und mageren Auszahlungen bei Spotify&Co! Er reiht sich damit in die langsam stattliche Phalanx von (deutschen) Künstlern wie Die Ärzte, Die Toten Hosen und Rammstein ein, die aber tatsächlich KEIN einziges Album auf den Streamingservern bereit halten oder hielten.

Aber der hart geführte Wettbewerb um Musikhörer auf allen Kanälen wird auch ohne Grönemeyer weitergehen, da kann er noch so lange und laut schmollen. In Schweden etwa ist Musikstreaming mit 70%(sic!) bereits größtes Tortenstück im Musikaufnahmen-Markt, in Norwegen sind es 66 Prozent. Der deutsche Musikmarkt ist da etwas hinterher oder vorsichtiger gesagt: bedächtig. Aber eine ähnliche Grundtendenz ist auch bei uns vorhanden.

Die Sache ist komplex, das Streaminggeschäft noch jung und wir sind mitten in einem Umwälzungsprozess, dessen Fortgang keiner vorhersagen kann. Natürlich ist es nicht allzu tollkühn, wenn man vermutet, dass am Ende die reichen und erfolgreichen Musiker noch reicher und erfolgreicher da stehen könnten. Aber einfache Antworten kann keiner liefern.

Einen Grönemeyer bauen

Ich hatte ja dezent gegen den Apple-U2-Marketingcoup gewettert, aber romantisierend-nostalgisch die Uhr zurückzudrehen à la Grönemeyer, macht für mich auch keinen Sinn. Wenn man denn so will, hat Apple mit der U2-Album-Verschenkaktion einen Grönemeyer gebaut. Denn zumindest teilweise ist dieser PR-Schachzug auch gegen das boomende Musikstreaming-Geschäft gerichtet, also restaurativ.

Apple versucht also damit, zum erst vor wenigen Jahren selbst eingeführten, bzw. groß gemachten Geschäftsmodell Musik Download zurückzukehren. Der ehemalige Innovativmotor droht selbst anachronistisch zu werden und wehrt sich offensiv. Oder ist das schon Verzweiflung?