Aus einem Ratgeber für Musikkritikerinnen anno 2016. Nichtglossenleser dürfen weiterklicken.
„Ein Musikwissenschaftsstudent meint sich erdreisten zu können, in einer öffentlichen Mini-Wortmeldung ein Stück von mir eben mal runterbuttern zu können. Steigt aufs ganz hohe Ross, übersetzt aber 2 von 3 Wörtern des englischen Titels falsch, behauptet ohne jegliche journalistische Recherche, ich habe Claqueurinnen bezahlt, pickt sich willkürlich Teile des Stücks heraus, um sie dann falsch zu beschreiben, vergleicht ohne historische Kenntnis mit der Historie, das Programmheft wird natürlich auch ignoriert usw.“
Synonyme zu erdreisten: „sich anmaßen, die Stirn haben, sich erlauben, riskieren, sich unterstehen, wagen; (gehoben) sich erfrechen, sich erkühnen, sich unterfangen, sich vermessen; (umgangssprachlich) den Nerv haben, die Courage haben, sich herausnehmen; (gehoben abwertend) sich nicht entblöden.“ (Duden)
Dies ist ein Stück von mir! Das hohe Ross sieht nur von unten so hoch aus.
- Auf das hohe Ross Du nicht setzen Dich sollst.
- Nur mit journalistischer Recherche Dinge behaupten, die vielleicht ohne journalistische Recherche trotzdem stimmen oder nicht in Abrede gestellt werden.
- Nur unwillkürliche Teile eines Stücke herauspicken, zum Beispiel Teile, die die Autorin vorschlägt, siehe 5.
- Nur mit historischer Kenntnis etwas schreiben, also niemals etwas schreiben.
- Programmheft nicht ignorieren, vielleicht lesen oder was man sonst damit machen kann und darf. Aber die Nichtwahrnehmung sich mit journalistischer Recherche zurückvorwerfen lassen dürfen.
- Einlassungen der Komponistinnen registrieren und umsetzen, niemals auf die eigene Wahrnehmung verlassen.
- Besser raufbuttern als runterbuttern
- Falsch Übersetzen heißt falsch interpretieren.
Aber! Ein Kreidler-Stück sollte man nicht als Student, schon gar nicht als Musikwissenschaftsstudentin verbuttern, aber wenn, dann entweder in einer öffentlichen Maxi-Wortmeldung oder einer nicht öffentlichen Miniwortmeldung – und gleich gar nicht „mal eben“ sondern immer „explizit“.
Gar keine Frage, die Beziehung zwischen Komponistinnen und Kritikerinnen ist eine sehr hekle. Und wenn man es genau nimmt, brauchen Komponistinnen heutzutage keine Kunstkritik von Nicht-Komponistinnen. Komponistinnen kritisieren einander immer schon genau selbst. Das nennt man dann Fachdiskussion. Es geht dabei immer nur um die Sache. Um nichts anderes. (Hörthört!) Das ist bei Musikkritikerinnen naturgemäß niemals der Fall. Alles ist verhext. Und andererseits auch wenig wichtig. Komplizinnen- und Gegnerinnenschaft ist stets normal, die Partei zu ergreifen ist seit Anbeginn gewöhnlich. Da kommt man kaum drumherum
Es wäre für Musikkritikerinnen immer auch eine nette Geste, Fehler sich eingestehen zu können. Mehr als eine Geste! Das gilt auch umgekehrt. Generell und durchweg sollte das der Standard der Diskussion bleiben, egal wie polemisch sie geführt wird. Polemik hilft meistens nämlich auch ihren Teil und dabei muss man nicht nur an Karl Kraus zurückdenken. In der aktuellen Kunst ist ohnehin fast alles nicht mehr ohne Polemik zu haben. Musikkritikerinnenkritik ist dabei natürlich ebenso möglich. Und ebenso sinnlos.