Kurz vor den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin geht der Fokus ein wenig auf die musikalischen Ereignisse drum herum. In der nmz haben wir eine dpa-Meldung wiedergegeben „Sanfte Töne gegen die AfD – Linke, Rechte und der Polit-Pop“ und angereichert mit YouTube-Videos sowie einigen Links zum Thema Musik im Wahlkampf aus älteren Ausgaben der nmz, die nichtsdestoweniger aktuell bleiben.

Für die mittlerweile vom Bayerischen Rundfunk abgesetzte Sendung „taktlos“ hatte ich zum Thema „Braun-Musik“ einen Text verfasst, den man hier nachlesen und -hören kann. Vor gut zehn Jahren war nicht abzusehen, dass sich neben der Jugendkultur auch die Erwachsenenkultur derartig ändern wird. Sie hat ihr Auffangbecken in einer bestimmten Partei gefunden, die offenbar von erstaunlich vielen Menschen als bürgerliche Alternative wahrgenommen wird: Die AfD. Dass dies einer intelligenten Täuschung zu danken ist, offenbart, wie auch über die kulturelle Lebensweltaneignung die politische Arbeit umgesetzt wird. Das ist nicht Identitätsfindung, sondern moderne Identitätserfindung.

Direkt zur Sendung in unserem Archiv: taktlos 115 – Braun-Musick


Es gibt eine kleine Fabel des Schriftstellers Günther Anders mit dem Titel „Common Sense“:

„’Maßlose Übertreibung!‘ sprach das Fensterglas, nachdem das Mikroskop seine Beobachtungen mitgeteilt hatte. Und die Seuche wütete weiter.“ [Günther Anders, Der Blick vom Turm – Fabeln, München 1984]

Daran mag man denken, wenn man das Verhältnis zwischen Musik und Rechtsextremismus zu analysieren versucht. Doch dieses Bild täuscht. Ein Blick nicht weit zurück. Ende der 90er Jahre entwickelten rechtsextreme Organisationen eine so genannte Aktion „Notenschlüssel“. Mit dieser Aktion wurde, wie der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke zusammenfasst,

„eine Strategie kultureller Hegemonie von der extremen Rechten zur kulturellen Subversion, zur Umwertung der Werte und damit zur Entfaltung einer jugendlichen, politischen, neofaschistischen Bewegung entwickelt. (…) Über Liedtexte finden Einsteiger den Weg in die Subkultur und lassen sich in den dort dominierenden Normen sozialisieren.“  [Hajo Funke: Paranoia und Politik. Rechtsextremismus in der Berliner Republik, Schriftenreihe Politik und Kultur Bd. 4, Verlag Hans Schiler, Berlin 2002, S. 105.]

Das funktioniert auch dort besonders gut, wo rechte Kultur zur dominierenden Erscheinungsform im gesellschaftlichen Leben geworden ist. Die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Annett Mängel schrieb dazu:

„Die rechte Alltags- und Gewaltkultur durchzieht zunehmend alle Lebensbereiche: Rechtsextreme Kleidung dient Jugendlichen zur Identitätsfindung; rechtsextreme Liedermacher verbreiten ihre Ideologie ebenso wie Skinheadbands oder Techno-DJs. Diese latente Gewaltsamkeit erleben und erleiden vor allem jene Jugendlichen, die sich der rechtsextremen Dominanzkultur nicht beugen wollen.“ [Annett Mängel, Ganz normal rechts, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2006]

Aber das Koordinatensystem des Rechtsextremismus in Deutschland ändert sich.  So ist es heute gar nicht mehr einfach, Rechstextreme einfach über deren Erscheinungsweise auszumachen. Es gilt vielmehr das Motto: „Links anziehen, rechts marschieren.“ Der rechte Skindhead ist zum Teil überholt, meint jedenfalls der Politikwissenschaftler Lorenz Korgel:

„Wer heute rechter Skinhead ist, gehört zu den Verlierern, so dass rechtsextreme Akivisten selbst nur noch vom ‚arischen Kanonenfutter‘ oder von ‚Döner-Skins‘ sprechen.“ [Lorenz Korgel, Links anziehen, rechts marschieren, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2006]

Das verändert auch die musikalische Welt der Rechtsextremen: Sie weitet sich aus. Lorenz Kogel:

„Das Ziel der kulturellen Hegemonie in der Jugendkultur ließ sich so, auch wenn der Rechtsrock in den 90er Jahren zu einem etablierten Musikstil wurde, kaum realisieren. Die nicht organisierten rechtsextremen Jugendlichen besaßen vielleicht die eine oder andere CD von Bands wie ‚Landser‘. ‚Stahlgewitter‘ oder ‚Spreegeschwader‘, aber der häusliche Alltag lieb geprägt von den weitgehend entpolisitierten Privatradiosendern, die bis heute, gerade in Ostdeutschland jenseits von Berlin und Brandenburg, den Mainstream bestimmen. (…) Ob geplant oder nicht – bereits Ende der 90er Jahre existierte für eine Vielzahl der gängigen Musikrichtungen ein rechtsextremes Angebot.“ [Lorenz Korgel, Links anziehen, rechts marschieren, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2006]

Konzerte mit explizit rechtsextremen Hintergrund spielen weiter eine große Rolle. Die Bundesregierung registrierte für das erste Halbjahr 2007 90 Konzerte und elf Liederabende mit insgesamt 11.500 Besuchern. 21 Konzerte wurden polizeilich aufgelöst, sieben im Vorfeld verboten. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher sein, aber sie ist schwer zu ermitteln. Die Bundesregierung verweigert die Aufschlüsselung nach Ort, Datum und Namen der Musikgruppen mit dem Hinweis, die Rechtsextremen könnten durch die Informationen Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Sicherheitsbehörden ziehen. Das nennt man Aufklärung auf deutsch!

Wie auch immer, das Phänomen „rechtsextreme Musik“ ist nur ein Faktor neben anderen. Annett Mängel meint mit Blick auf die ostdeutschen „Zonen der Angst“, das Problem liege tiefer:

„Vielerorts sind Rechtsextreme heute die einzigen, die überhaupt Angebote für Jugendliche machen. Wo aber die letzte Schule geschlossen ist, die Kneipe längst nicht mehr öffnet und der Jugendclub seit Jahren nicht mehr existiert, freunden sich selbst kritische Zeitgenossen (notgedrungen) mit den Angeboten der Rechten an.“ [Annett Mängel, Ganz normal rechts, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2006]

Und es liegt auch höher, in der politischen Sprachpraxis und Kultur der Bundesrepublik Deutschland selbst. Da geht es um Heuschreckenschwärme und Schmarotzer, um Eliten und Herden, um Verlierer und Gewinner, oder die angeblich „durchrasste Gesellschaft“ wie Stoiber sie bezeichnete. Guter Nährboden auch dies für einen alltäglichen rechtsextremistischen Ruck in der gesamten Gesellschaft und auch in der musikalischen Jugendkultur: Von der Provokation zum Pogrom ist es da manchmal nur ein kleiner Schritt.


Mehr Informationen zum Thema in der Sendung taktlos 115 – Braun-Musick aus dem Jahr 2007.

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