Nachdem ich gestern schon den fiesen Beinahe-Diebstahl von Intel bei John Coltrane dargestellt hatte, konnte es nicht ausbleiben, dass ich auch der Startmelodie von Windows Vista und Windows 7 und Windows 8 nachgehen musste. Die geht ja bekanntlich so:
[mp3j track=“vista.mp3″ flip=“y“]
Quarte, große Sekunde, Quarte [Ambitus also eine Oktave]. Angeblich hat der Musiker Robert Fripp das Soundlogo gebaut. Das mag sein. Aber er hat sich bedient. Und zwar bei dem großen Komponisten Jean Sibelius. Der hatte dieses Motiv gleich zu Beginn in seiner fünften Sinfonie mehrfach hintereinander verwendet. So dass es sich in das Gehirn einbrennen konnte.
[mp3j track=“sibelius5-vista.mp3″ flip=“y“]
Die Sache macht nachdenklich. Ist der Vorrat an melodischem Material wirklich erschöpft? Und wenn ja: Ist dann nicht das musikalische Urheberrecht völlig sinnlos geworden, was also Plagiate angeht etc. Alles schon mal dagewesen!
4. August 2015 um 11:35 Uhr
Ohne in die Partitur zu gucken, also rein nach Gehör: kann es sein dass das Telekom-Logo ein Motiv aus dem Appalachian Spring von Copland ist?
4. August 2015 um 13:30 Uhr
Das liegt nahe. Aber, so weit ich reinhören und sehen konnte, unterscheidet es sich wegen des Oktavsprungs, statt auf einem Ton die Repetition durchzuführen (und es sind vier Töne vor dem Intervallsprung statt derer drei).
4. August 2015 um 15:42 Uhr
Sehr geehrter Herr Hufner,
ich lese ab und zu gerne in der NMZ und kenne auch jemanden, der mal hier veröffentlicht hat, aber bei allem Respekt, ich hoffe, das ich hier einen gewissen Sarkasmus nicht mitbekomme.
Ein Motiv ist immer kontextuell gebunden. Ein Sprung zur Quarte, ein Sekundschritt zur Quinte und der Sprung zur Oktave, das soll etwas besonderes sein? Wie geht es erst los, wenn man das mal in den Beethoven-Symphonien sucht. Das Vista-„Motiv“ ist eine Floskel.
Bei Sibelius hat die Tonfolge in der Tat motivischen Charakter, aber eine ähnliche Diastematik und Rhythmik ist wohl eher ein Zufall. Seien wir ehrlich: Dieser Einfall ist wirklich nichts außergewöhnliches und hat es gar nicht nötig, geklaut zu werden. Die markante Wirkung von Quinten und der eines Oktavambitus ist unumstritten. Und überhaupt nichts besonderes. Mahler, Wagner, Bruckner? Wenn es eine Doppelpunktierung oder etwaiges wäre, aber so, wie Sie es beschreiben…
Dasselbe gilt leider für ihre Bemerkung zum „Bedienen“ bei Coltrane. Eine kleine Terz und eine Quarte, ist das ihr Ernst? Ich kann es mir kaum vorstellen. Entschuldigen Sie bitte diesen Kommentar, aber manche könnten das, was Sie da geschrieben haben, wirklich glauben.
4. August 2015 um 17:19 Uhr
Sehr geehrte(r) Namenlose(r),
einen gewissen Sarkasmus werden Sie schon finden. Die Sache mit dem Zufall ist so eine Angelegenheit. Es geht um Wiederkennbarkeit. Und die ist dann schon relevant. Es handelt sich bei Sibelius ja nicht um irgendeine Nebenstimme, die da geht, sondern: das Motiv steht zentral am Anfang und wird in den Hauptstimmen wiederholt. Bei Coltrane ist es auch so. Nur stimmen da leider die Intervalle nicht. Ich höre beim Windows-Start immer diesen Sibelius. Es ist schlimm.
Gleichwohl will ich verraten, dass die Sache eine Vorgeschichte hat. Mit ca. 16 Jahren habe ich im Schulfunk des NDR eine Sendung über musikalische Plagiate gehört. Da ging es genau um dieses Motiv. Mit dem fünften Ton noch dran. Urheber war ein gewisser Herr Rehbein, der die Olympia-Fanfare für München 1972 schrieb.
https://youtu.be/JvmG6sV7nFk
Bald darauf muss ein Plagiats-Streit entbrannt sein. Von der Gruppe 5th Dimension gab es „Up, up and away“ (hier ab Sekunde 29 etwa):
https://youtu.be/5akEgsZSfhg?t=29s
Als die Sache 1972/71 hochkam war ich noch zu jung. Aber es gab da einigen Wirbel. So wie jetzt bei fast jeder erfolgreichen Nummer auch (Europea Song Contest-Beispiele). Im Schulfunk, meine ich mich zu erinnern, wurde der Vorwurf dadurch entkräftet, dass das Motiv auch an anderen Stellen früher Verwendung gefunden hat. So beispielsweise in der fünften Sinfonie von Sibelius. Natürlich ist daher der Vorwurf gegen Robert Fripp aus der Luft gegriffen. Gleichwohl ist es so allerweltsmäßig eben nicht. Bin daher gespannt auf die Passagen bei Mahler, Bruckner und Wagner, die Sie da im Sinn haben.
PS: Finden Sie nicht, dass die Fortsetzung nach einem Filmmusikmotiv klingt? Ich komme nicht drauf :)