Auf der Spur eines gigantischen Musikraubs. Wer irgendwelche Computerwerbung im Fernsehen hört, der bekommt sicher, so wie ich, immer eine mentale Krise, wenn da zwischendrin dieses „Intel Inside“-Soundlogo und die Bild/Animationsmarke dazu hört.
[mp3j track=“Soundlogo Intel Inside@Intel_Inside_coltrane.mp3″ flip=“y“]
Ich habe mir das neulich in Dauerschleife angehört bei irgend so einem YouTube-Video. Das Soundlogo begleitete auch noch einen ganzen Spaziergang lang. Und nach einer geraumen Zeit sortierten sich die Synapsen im Gehirn neu. Schneidet man den Anfangsklang weg, bleibt dieses Viertonmotiv übrig:
[mp3j track=“Soundlogo Intel Inside gekürzt@Intel_Inside_coltrane_a_love.mp3″ flip=“y“]
Und das kam mir plötzlich doch sehr bekannt vor. Genau!
Die legendäre Jazz-Suite „A Love Supreme“ von John Coltrane benutzt genau dieses Motiv, in anderer Lage, als Grundmotiv der Improvisation und Komposition. Zuerst im Bass, später dann eben auch im Saxophon und gesprochen und gesungen.
[mp3j track=“Coltrane – Ausschnitt A Love Supreme@a_love_supreme.mp3″ flip=“y“]
Oder deutlicher, wenngleich nicht rhythmisch und pitchmäßig einwandfrei:
[mp3j track=“Coltrane – gemixt mit Intel Inside@coltrane_mischung.mp3″ flip=“y“]
Sollte es sich bei der Gestaltung des Soundlogos von „Intel Inside“ also um einen musikalisch dreisten Diebstahl handeln? Ich würde jetzt sagen: Ja. Das Urheberrecht in Deutschland ist da sehr präzise:
Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (Urheberrechtsgesetz) § 24Freie Benutzung
(1) Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden.
(2) Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird.
Es geht also nicht um ein bestimmtes Instrument oder einen Rhythmus, der da geschützt wäre, sondern um die Melodie (wobei natürlich die reine Tonfolge nicht die Melodie alleine ist – auch Lage, Tempo etc. wären zu betrachten, man denke an den Karneval der Tiere von Sains-Saens, resp. Offenbachs Can-Can). Und „Melodie“ wäre vielleicht auch sozial zu bestimmen. Darum müssen wir uns hier nicht kümmern, wenn das Plagiat so offensichtlich und offenhörbar erfolgt ist.
Und ja, ich finde, Intel sollte dafür nicht nur finanziell zur Ader gelassen werden (denn, dass Schadensersatzansprüche hier geltend gemacht werden können, sollten und müssen, liegt auf der Hand). Ich schätze mal, wenn man sich das amerikanische Rechtssystem so anschaut, sind da einige Millionen, wenn nicht gar Milliarden von US-Dollar herauszuholen.
Als ob man es bei Intel nicht gewusst hätte. Schließlich ist der erste Klang des Soundlogos nicht zufällig ähnlich dem Klang eines Sackes voller Münzen, der auf den Boden fällt.
[mp3j track=“Süßer die Münzen nie klingen@intel_muenzen.mp3″ flip=“y“]
Auch moralisch ist Intel zu weit gegangen. Bei „A Love Supreme“ von John Coltrane handelt es sich nicht nur um ein Stück Musik, sondern um eine Lebeneinstellung, in Musik gegossen, mit der Intel wahrscheinlich doch eher wenig zu tun hat. Es geht um eine höchste Liebe! Die auf einen Chip für Rechenprozesse reduzieren zu wollen, ist mehr als ignorant.
3. August 2015 um 15:03 Uhr
Sehr aufschlussreich! Freue mich schon auf die Lars Seniuk Analyse!!
3. August 2015 um 15:19 Uhr
Morgen bei http://www.JazzZeitung.de ab 8 Uhr!
4. August 2015 um 0:49 Uhr
Spinne ich jetzt? Hat das Notenbeipiel von Coltrane nicht als Auftakt eine kleine Terz und das Intelmotiv eine Quart? Sind die Motive nicht auch rhythmisch völlig verschieden? Der Vergleich scheint mir gewagt. Zweifel klingen ja auch an in der Formulierung „nicht rhythmisch und pitchmäßig einwandfrei“. Das Intelmotiv könnte eher von einem Hornruf aus einer Wagneroper geklaut sein. (Wäre wohl nicht schwer, eine genaue Entsprechung zu finden.)
Aus meiner Sicht ist das Intelmotiv ist ein abstraktes akustisches Zeichen, anonym und losgelöst von jeder kulturell gewachsenen oder persönlich gefärbten Sprachfigur. Typisch für Konzernlogos, ob optisch oder akustisch. Ein Dutzendmotiv eben, das niemandem wehtun, sich aber allen einprägen soll. Als agressives, in der Doppelung intensiviertes Signal spekuliert es darauf, mit „Dynamik“ identifiziert zu werden und greift dazu auf den Archetyp der Quarte resp. Quinte aufwärts zurück. (Vgl. den linksunten-rechtsoben-Strich der Deutschen Bank!) Heraus kommt ein wichtigtuerisches Tatü-Tata resp. Tata-Tatü, um Aufmerksamkeit zu erregen, keck und windschnittig und konform mit der globalen Businessmentalität. Das widerspricht völlig Coltranes individuellem, in sich selbst zentriertem Tonfall. (Sorry, aber ich finde, der Vergleich ist eigentlich eine Beleidigung für ihn!)
4. August 2015 um 7:59 Uhr
Max, da hast Du richtig gehört. Die Motive sind verschieden. Coltrane: kleine Terz, Quarte und Intel: Quarte, Quinte. Da wurde gemogelt und natürlich ist der Rest damit auch hinfällig.
Aber der Fall ist trotzdem interessant, weil darin ein Österreicher eine Hauptrolle spielt, der mit „Leihgaben“ seine Erfahrungen gemacht hat: Walter Werzowa. (Da könnte man ganz schöne Räuberpistolen bauen, wie er 1988 mit „Edelweiss“ auf Abba zurückgriff (aber das auch nicht verschwieg)
https://youtu.be/ThssZDWEIj0
Oder für den Film „Eraser“ Musik machte, in dem Arnold Schwarzenegger eine Hauptrolle spielt und ein Chiphersteller eine Rolle spielt, der Konkurrent von Intel war. Nämlich Cyrix. Im Film musste der Name abgeändert werden nach Einspruch der Firma.
In der LA-Times gibt es dann einen Bericht über den Komponisten 2005 und das Sound- oder Audiologo. http://articles.latimes.com/1999/oct/20/business/fi-24321
Nun: Coltranes Erben werden leider leer ausgehen. Aber vielleicht findet sich ja ein anderer Autor, dem die Millionen zustehen. Ganz absurd ist das nicht.
4. August 2015 um 15:30 Uhr
Hier ließe sich offensichtlich das große Geld machen. Da ist eine „Tatort“-Erkennungsmelodie nichts dagegen. Aber die grelle „Edelweiß“-Nummer in guter alter Deix-Manier scheint diesem Herrn Werzowa noch besser zu liegen…
4. August 2015 um 16:04 Uhr
Der Werzowa ist ein ganz gerissener Musiker und Komponist. Kein Wunder, wenn Otto M. Zykan zu seinen „Lehrern“ gehört hat. Mal ehrlich, wer kennt Werzowa? ich kannte ihn bis heute nicht, dabei dreht der ganz große Dinger in USA. Wesentlich musikalisch besser als der Dieter Zimmer. Und der nächste Österreicher arbetet in seiner Manufaktur in Hollywood, der schon vom Namen her die besten Bedingungen hat: Gerrit Wunder. Die Firma heißt: Musikvernuegen.