Noch einmal Thema Rundfunkrat. Nachdem gestern die „ehrenamtliche“ Tätigkeit untersucht worden ist, geht es jetzt um die Struktur, die Aufgaben und seine Konstruktion im Rahmen der demokratischen Selbstkontrolle des öffentlich-rechtlichen Gedankens. Den Rundfunkräten eilt ja der Ruf der Unbestechlichkeit und der Parteilosigkeit voraus. Ohne die Rundfunkräte wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon unter der Marktwalze zermalmt worden. Auch wenn die Räte im Grunde nur das abnicken, was ihnen die Intendanten und Intendantinnen vorkauen. Klar, weil alternativlos wie immer! Wir haben leidvoll schon das Versagen dieser Institution wahrnehmen können, aber Kritik war unchic, weil die Rundfunkräte irgendwie schließlich Abbild der Gesellschaft seien: Unbestechlich, unparteiisch, nur der Vernunft folgend! Denkste.
Die Realität sieht anders aus. Dafür schaut man einfach mal in eine der klarsten Bestimmungen, die ein Rundfunk hier so haben kann: Nehmen wir also den Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks.
„Der Rundfunkrat setzt sich aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen zusammen.“
Eine Formulierung, die alles und gar nichts sagt. Sie sagt weder, welche Gruppen dafür besonders geeignet sind und welche nicht – und nicht, warum welche Gruppe dafür besonders geeignet ist. Man könnte aber denken, Politiker haben darin nichts verloren, denn der Rundfunk versteht sich ja als staatsfern, als nicht politisch gelenkt. Von den 30 Mitgliedern des Rundfunkrates des Hessischen Rundfunks stammen aber allein sechs Personen aus dem Hessischen Landtag und eine ist Mitglied des europäischen Parlaments. Dass von den restlichen 24 (23) Mitgliedern zahlreiche Personen gleichwohl ebenso politisch gebunden sind, dürfte außer Frage stehen, auch wenn deren Parteizugehörigkeit nicht unmittelbar ausgewiesen ist. (Hier zum Beispiel Siegbert Ortmann – Vertreter des Bundes der Vertriebenen – Landesverband Hessen, der bis 2003 Mitglied des Hessischen Landtags für die CDU war).
Was aber sicher ist: Privatpersonen sind nicht vorgesehen. Nur als Mitglieder von Gruppen und Organisationen sind sie im Rundfunkrat gewünscht. (Zumindest im Moment.) Weiter …
„Ihre Aufgabe ist es, ‚die Allgemeinheit auf dem Gebiete des Rundfunks‘ zu vertreten und zu kontrollieren, ob der Sender seine gesetzlich vorgegebenen Aufgaben erfüllt.“
Die Aufgabe ist es, a) die Allgemeinheit zu vertreten und b) zu kontrollieren, ob der Sender seine gesetzlich vorgegebenen Aufgaben erfüllt.
Da stellt sich die Frage, passt das zusammen? Für die Kontrolle der Einhaltung der gesetzlichen Aufgaben kann man sich sicher einen anderen Personenkreis vorstellen. Vielleicht eine Gruppe von anerkannten Richtern und Richterinnen; jedenfalls Menschen, die sich mit Gesetzen auskennen. Andererseits sollen sie die Allgemeinheit vertreten. Das täte eine Gruppe von Richtern und Richterinnen sicher nicht. Ob allerdings die aktuellen Mitglieder des Rundfunkrates des Hessischen Rundfunks dies vermögen, darf man mit Recht bezweifeln. Denken wir zum Beispiel daran, dass die Allgemeinheit im Durchschnitt zu 50 Prozent jeweils aus Männern und aus Frauen besteht (von kleinen Schwankungen sehen wir mal ab), so hat der Rundfunkrat des Hessischen Rundfunk dieses Ziel klar verfehlt. Es kommen auf 22 Männer nur acht Frauen. Ist das die Allgemeinheit?
Und: Besteht die Allgemeinheit aus Vertretern von Gruppen und Organisationen? Eher nicht, oder nur in einem abstrakten Sinn – nicht irgendein Mitglied einer Konfession ist vertreten, sondern eine in der Regel herausragende und hervorgehobene Person. Eigentlich wäre die Allgemeinheit besser durch eine Zufallsauswahl in den Meldeämtern zu finden. Ob die dann aber geeignet ist, Kontrolle der gesetzlichen Aufgaben zu üben? Schwierig zu sagen.
„Die Mitglieder des Rundfunkrats des Hessischen Rundfunks sind ehrenamtlich tätig und nicht den entsendenden Organisationen verpflichtet.“
Zur Sache des Ehrenamtes, siehe gestern. Aber der zweite Teil der Zugehörigkeit der Tätigkeit wird im Zusammenhang mit der Vertretung der Allgemeinheit zu eine absurden Sache. Sie sind nicht den entsendenden Organisationen (oder Gruppen) verpflichtet, sondern nur sich selbst. Also sind sie eigentlich doch als Privatpersonen gefragt, sie haben kein imperatives Mandat. Warum braucht man dann aber die Konstruktion als „Vertreter gesellschaftlicher Gruppen und Organisationen“. Dies ist der Flaschenhals, mit dem man glaubt, gesellschaftliche Kontrolle garantieren zu können. Es gibt dafür vielleicht Anzeichen, dass dem so ist, aber keine Sicherheit.
Die Öffentlichkeit ist also keineswegs durch den Rundfunkrat in irgendeiner Weise repräsentiert. Im Gegenteil, sie ist über weite Strecken eher ausgeblendet. Auch bei anderen demografischen Kennzahlen nicht (Alter der Mitglieder zum Beispiel, Bildungsstand, Art der Tätigkeit).
Materialien
Hier ist mit dem Text Schluss, die nachfolgenden Erwägungen beziehen Gedanken ein Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem letzten Jahr zum ZDF-Staatsvertrag mit ein, worin sich die Karlsruher Richter teilweise sehr konkret auch zum Thema Rundfunkrat und Staatsferne geäußert haben.
Zunächst zum Thema Gruppen und Organisationen, die Vertreter in einen Rundfunk- oder Fernsehrat entsenden. Die Formulierung, die „Allgemeinheit zu berücksichtigen“ ist für die Karlsruher Richter eine Illusion.
„Durch Vertreterinnen und Vertreter einzelner Gruppen kann freilich kein in jeder Hinsicht wirklichkeitsgerechtes Abbild des Gemeinwesens erstellt werden. Gesellschaftliche Wirklichkeit ist in ungeordneter Weise fragmentiert, manifestiert sich in ungleichzeitigen Erscheinungsformen und findet nur teilweise in verfestigten Strukturen Niederschlag, die Anknüpfung für die Mitwirkung in einer Rundfunkanstalt sein können. Insbesondere sind die Interessen der Allgemeinheit nicht mit der Summe der verbandlich organisierten Interessen identisch. Es gibt vielmehr Interessen, die verbandlich gar nicht oder nur schwer organisierbar sind. Verbänderepräsentation ist aus diesem Grund immer nur ein unvollkommenes Mittel zur Sicherung allgemeiner Interessen ( BVerfGE 83, 238 <335> ).“ (Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Absatz 70)
Also, wie soll so ein Rat besetzt werden?
Leitsatz 1:
„Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten. Danach sind Personen mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten aus allen Bereichen des Gemeinwesens einzubeziehen.
a) Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass bei der Bestellung der Mitglieder dieser Gremien möglichst unterschiedliche Gruppen und dabei neben großen, das öffentliche Leben bestimmenden Verbänden untereinander wechselnd auch kleinere Gruppierungen Berücksichtigung finden und auch nicht kohärent organisierte Perspektiven abgebildet werden.
b) Zur Vielfaltsicherung kann der Gesetzgeber neben Mitgliedern, die von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden, auch Angehörige der verschiedenen staatlichen Ebenen einbeziehen.“ (Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – Hervorhebungen von mir)
In Leitsatz geht es vor allem darum, dass der Einfluss der Politik auf ein Drittel der Gesamtmitglieder zu begrenzen ist. Das schafft der Hessische Rundfunk (hier ist es nur ein Fünftel bis ein Viertel), aber auch die restlichen Mitglieder müssen dann staatsfern sein, also keine besonders hervorgehobene Position in einer Partei ausüben. Das ist etwas schwammig formuliert.
„Für die weiteren Mitglieder ist die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks konsequent staatsfern auszugestalten. Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben.“ (Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts)
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist in vielerlei Hinsicht aufschlussreich. Mehrfach wird auch darauf Bezug genommen, dass auch der Gleichstellung der Geschlechter Rechnung getragen wird: „Dabei hat der Gesetzgeber auch den Gleichstellungsauftrag hinsichtlich des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachten (vgl. BVerfGE 83, 238 <336> ). ( BVerfGE 83, 238 <335> ).“ (Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Absatz 39)
Die Politik und den Staat bekommt man aus den Gremien nicht heraus. Es gilt dessen Einfluss zu begrenzen und auch bei den Vertretern, die nicht staatlich oder staatsnah agieren für Inkompatibilität zu sorgen und das transparent nach außen zu tragen.
Das Gericht hat den Einfluss der Politiker begrenzt, es sagt, dass es durchaus Gründe dafür gäbe, sie auch in einen Rundfunkrat zu setzen, da sich der Rundfunk ja auch in politischen Themen äußere. Die Richter sehen aber keine Notwendigkeit dafür, dass Politiker überhaupt im Rundfunkrat sitzen müssen. In Absatz 41 sprechen die Richter von „kann“ und „dürfen“ im Zusammenhang der Gestaltung der Zusammensetzung der Mitglieder eines Rundfunkrates.
„Für die Gewährleistung einer verschiedenartige Blickwinkel vereinigenden Zusammensetzung dieser Organe kann der Gesetzgeber neben Mitgliedern, die von gesellschaftlichen Gruppen entsandt werden, auch Vertreterinnen und Vertretern aus dem staatlichen Bereich einen Anteil einräumen (vgl. BVerfGE 12, 205 <263>; 73, 118 <165>; 83, 238 <330>). (…)Von daher dürfen unter dem Gesichtspunkt der Vielfaltsicherung von Verfassungs wegen auch Vertreterinnen und Vertreter der Länder in die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten entsandt werden, zumal sie so deren Funktionsweise, Herausforderungen und Probleme auch aus der Innenansicht kennen.“ (Quelle: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Absatz 41 – Hervorhebungen von mir)
Ein Rundfunkrat ohne Politiker ist durchaus denkbar. Und vielleicht wäre der sogar wünschenswert.