Nicht jedes Volkslied ist, wie man früher drüben (also jetzt hier) sagte: Volkes eigen. Manches Volkslied ist auch gar keines sondern ein Gassenhauer. „Kommt ’ne Rechnung geflogen …“ von der GEMA ’nen schönen Gruß …
Jetzt wird ein Singetreff von Senioren bei Fahrdorf durchs Dorf getrieben. Senioren werden zur Kasse gebeten und so. Ihr Delikt, sie haben zusammen Lieder gesungen.
- Warum die Gema singende Senioren zur Kasse bittet (Stern)
- Gema verlangt Gebühren fürs Volkslieder-Singen (shz)
Aufregung groß, aber da es nur Senioren sind, hält sich der Ärger in Grenzen; wenn es um Kindergartenkinder geht, ja dann. Dennoch hat die Story es in die Sozialen Medien geschafft und in den Stern! Das konnte die GEMA nicht mehr ignorieren: Ein Imageschaden drohte. Also war Richtigstellen angesagt.
„Aufgrund des Inserates mussten wir davon ausgehen, dass die Veranstaltung öffentlich ist, somit eine Lizenzpflicht besteht und ein Vergütungsanspruch vorliegt.“ [Quelle (PDF)]
Ja, so einfach ist das. Sicher kein Einzelfall. Mir ist da auch ein Fall aus älterer Zeit bekannt, wo einem Veranstalter mittels Zeitungslektüre eine Rechnung aufgemacht worden ist. Weil in der Zeitung stand, dass die Veranstaltung monatlich stattfinde, wurde kurzerhand die Rechnung hochgerechnet. Unabhängig davon, ob die Veranstaltungen tatsächlich stattfanden oder nicht. Klar kann man dagegen Einspruch erheben, klar kann man beiweisen, dass man „unschuldig“ ist. Aber man muss ohne Not etwas tun! Nur auf den Verdacht einer nicht weiter verfolgten Lektüre.
Man wird beobachtet: Betriebsstättenvermutung
Kenne ich hier auch. Seit einiger Zeit kommen – jetzt zum zweiten Mal – Briefchen von der Nachfolgerin der GEZ (nennt sich jetzt Beitragsservice oder so). Unter meiner Adresse sei ja wohl der Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik zu finden. Wie die darauf kommen, auf welcher Grundlage diese Daten erhoben wurden? Steht da nicht. Man könne für meine Betriebsstätte keine Anmeldung finden. Welche Betriebstätte? Die des Reinhard-Schulz-Kritikerpreises.
Nebeneffekt: Die Logos oben auf dem Brief zeigen ARD, ZDF und Deutschlandradio. Irgendwie macht das wenig Laune, diese Betriebsstätten zu lieben. Eher umgekehrt.
Zurück zur GEMA
Man muss die Meldung zum Vorfall mit dem Seniorensingetreff mal im Detail lesen. Die GEMA musste davon ausgehen, dass … Muss die GEMA das? Erst einmal muss sie da gar nichts müssen. Sie hat den Text einer Zeitung interpretiert. Interpretationen sind sind aber nicht die Sache selbst, sondern eben Interpretationen. Genauso wenig wie sie weiß, ob die Sache öffentlich ist, so wenig weiß sie, ob dort GEMA-geschütztes Material performt wird. Das letztere zumindest – so die geltende Rechtslage – darf sie aber im Zweifel auch grundlos vermuten. Wie häufig sie das im Detail macht, das heißt wie hoch der Anteil der Einnahmen ist, die aufgrund allein der Vermutung bei der GEMA auflaufen, wäre mal interessant zu wissen. Denn die Rechung kommt ja auch, ohne dass die genaue Titelfolge bekannt ist. Wenn man da nix meldet, wird vorausgesetzt, dass … . Und wie dann die vermuteten Veranstaltungseinnahmen verteilt werden? Es liegt nahe, dies genau so zu machen, wie das restliche Abbild ist. Ein bisschen davon, ein bisschen hiervon. Also vom Prinzip her dürften alle was davon haben, wer sonst wenig bekommt, bekommt wenig, wer sonst viel bekommt, bekommt viel. Eben Hochrechnung. Alles andere wäre irgendwie unlogisch.
Zusammengefasst in die Rechts-Mathematik des Wahrnehmungsgesetzes:
- Werke unbekannt = GEMA-Vermutung
- Veranstaltung öffentlich oder nicht-öffentlich (privat) ≠ GEMA-Vermutung
- Solange eine Veranstaltung privat ist (z.B. Grillen im Garten mit Gesang auch von Helene-Fischer-Songs) muss niemand etwas vermuten oder privates Tun einer Institution offenbaren.
GEMA lernfähig
Genauso wie die GEMA aus dem Bleidruck ermittelt, wird sie eine Revisionsabteilung einrichten. Denn die Mitarbeiter haben jetzt aufgrund einer weiteren Lektüre festgestellt:
„Aufgrund des Artikels in den Schleswiger Nachrichten haben wir nun erfahren, dass es sich bei dem „Sing-Treff im Café Fahrdorf“ um ein nicht-öffentliches Singtreffen handelt. Daher ist das Singtreffen als nicht-öffentliche Veranstaltung nicht lizenzpflichtig.“ [Quelle (PDF)]
Man kann sich also in Zukunft darauf verlassen, dass derlei Rechnungsunfug in Zukunft ausbleiben wird, weil die GEMA auch den zweiten Teil der Story lesen und berücksichtigen wird. Dafür schon vorab der aufrichtigste Dank. Vielleicht kann man das aber auch mal durch konkrete Belege und nicht nur im Nachhinein versuchen zu „beweisen“ – denn wie gesagt: Die GEMA-Vermutung befasst sich mit den Werken, nicht mit der Art der Veranstaltung. Bislang!
So und jetzt gehe ich meine Betriebsstätte zurück. Dabei könnte ich denen doch auch einfach die Datensätze ausfüllen und unter Einsatz einer Briefmarke zurücksenden. Mache ich bei Werbung ja auch so. Danke, ich will nix kaufen. Spammails bekommen bei mir auch immer eine sehr persönliche Antwort.
Nachtrag zur GEMA-Informationspolitik:
Zur Art und Weise der GEMA-Informationspolitik: Vor einiger Zeit fragte ich hier und per Mail nach, wer eigentlich hinter der Webadresse gematracking.de stecke und wie dessen Beziehungen zur GEMA seien, warum man also das Tracking institutionell outgesourct habe. Die Antworten sind bis heute ausgeblieben. Da wirkt es etwas eigenartig, wenn man von der selben Seite moniert, dass man versucht habe, Kontakt zu der „Veranstalterin“ (den Herrschaften) des Seniorensingens zu suchen, aber keine Reaktion kam. Die muss sich kümmern, aber die GEMA darf also schweigen? Leider keine Ausnahme, wie ein mir bekannter Kollege es ebenso beklagte.
Nachtrag zur Werke-Datenbank:
Leider auch nicht immer ein Volltreffer. „Kommt ein Vogel geflogen“ scheint danach möglicherweise ja geschützt, man bekommt es jedenfalls nicht über die Werke-Datenbank heraus, die dafür gerne mal empfohlen wird. Anders eben als „Hoch auf dem gelben Wagen“ was man vielleicht auch aus der Schule noch kennt. Beim Vogel lässt es sich nicht ausschließen, jedenfalls mit diesem Tool.