Mach‘ mal einen Absatz. Die Vorkommnisse der letzten Tage, aber auch der letzten Monate und Jahre sind nicht immer zum Besten in der Welt. Die Technik wird gemeistert mit Müh‘ und Ach‘ – immer im Wissen, dass sie alles wird lösen und eitel Wonne das Herz bescheine. Ebenso die Bildung, die uns womöglich von Wilden und Barbaren bewahre. Dabei ist sie selbst nicht weniger als ein Machtinstrument zur Konditionierung der dann Heranwachsenden oder Erwachsenen.
All diese Hoffnung in Fortschritt und Innovation, so kleingläubig leider erweist sich das. Wenn man sich das graue Gewisse der Massen anschaut, die jetzt das Abendland retten wollen (und zwar nicht vor sich selbst sondern vor dem „Anderen“), so hat das – was ja kaum jemand beschaut – seine Gründe. Diese sind nicht einfach welche des Geistes oder der Ideologie, sondern gewachsen trotz des Abendlandes, das sie pervertieren. Der Brand ist nicht frei gewählt, die Menschen da vollstrecken etwas, was ihnen angetan wurde – nicht durch Islam oder anderes; sondern, wodurch sie gebildet wurden, was sie zu ihrer Erfahrung machen, als ob es die ihre wäre.
Statt gegen die Zumutungen der Gesellschaft vorzugehen, schlagen sie ein auf ein Ersatzziel, dessen Opfer jeder werden kann, der gerade dafür auserkoren wird, ein Ziel, das für sie einfacher zu begreifen ist. Voraussetzung dafür ist die Übertragung von Vernunft oder Rationalität in blinde Gefühle. Diese sind dafür umso nachhaltiger – die blinde Wut. Und das ist unter anderem die Wunde der Massenkultur, der Industrialisierung von Kultur, die sie hinterlässt. Sie ist allhier überall – und sie hilft nur wenigen, weil es nur so wenige gibt, die das berühren könnte.
„Musik und Weinen öffnen die Lippen und geben den angehaltenen Menschen los. Die Sentimentalität der unteren Musik erinnert in verzerrter Gestalt, was die obere Musik in der wahren am Rande des Wahnsinns gerade eben zu entwerfen vermag: Versöhnung. Der Mensch, der sich verströmen läßt im Weinen und einer Musik, die in nichts mehr ihm gleich ist, läßt zugleich den Strom dessen in sich zurückfluten, was nicht er selber ist und was hinter dem Damm der Dingwelt gestaut war. Als Weinender wie als Singender geht er in die entfremdete Wirklichkeit ein. »Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder« – danach verhält sich die Musik. So hat die Erde Eurydiken wieder. Die Geste der Zurückkehrenden, nicht das Gefühl des Wartenden beschreibt den Ausdruck aller Musik und wäre es auch in der todeswürdigen Welt.“ [Band 12: Philosophie der neuen Musik: Schönberg und der Fortschritt. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 10164 (vgl. GS 12, S. 122)]
Dabei haben wir solche Musik wie die von Purcell, die sie augenblicklich wecken müsste, aber nicht tut; weil sie nicht erreichbar sind. Dazu müssten noch Reste des Widerstands gegen die eigene Verdummung vorhanden sein. Diese Versteinerung der Subjekte ist nicht allein auf Deutschland beschränkt. In der ganzen Welt findet sich das. Und man restauriert und verlängert den Abschied. Die Kälte nimmt zu.
Mach‘ mal einen Absatz.
16. Januar 2015 um 11:53 Uhr
Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen. Dietrich Bonhoeffer (aus: Widerstand und Ergebung, 1998)