Wie frei kann sich Kunst wirklich entfalten? Große Einigkeit besteht in Presse und Kunst darüber, dass man sich nicht vorschreiben lassen mag, wie man was zu tun habe. Satire darf angeblich alles, Kunst immerhin nahezu auch. Bei der Betrachtung fiel mir eine Begebenheit aus der jüngeren deutschen Vergangenheit ein. 2006 kam es an der Deutschen Oper Berlin zu einer Art Skandal. Eine Idomeneo-Inszenierung an der Deutschen Oper von Hans Neuenfels schien plötzlich nicht tragbar und wurde abgesetzt.
Es ging dabei nur um eine Szene: „In Neuenfels´ Schlussszene trägt der kretische König Idomeneo die abgetrennten Köpfe von Poseidon, Jesus, Buddha und Mohammed auf die Bühne.“ Das missfiel einigen. Und angeblich gab es bedrohliche Hinweise: „Die Inszenierung des 65-jährigen Neuenfels war von Intendantin Harms im September vom Spielplan genommen worden, nachdem das Berliner Landeskriminalamt in einer Gefahrenanalyse von einer möglichen islamistischen Bedrohung der Aufführung ausgegangen war.“ In der Stellungnahme des Deutschen Kulturrates wird die Lage aus der Sicht der Intendanz so umschrieben:
„Die Intendantin der Deutschen Oper Berlin Kirsten Harms erklärte heute Nachmittag in einer Pressekonferenz, dass der Innensenator ihr gegenüber gesagt habe, dass er nicht wolle, dass es sie, d.h. die Deutsche Oper, nicht mehr gäbe. Er hat damit die Gefahr beschrieben, in der nach seiner Auffassung die Deutsche Oper Berlin mit der Aufführung der Mozart-Oper Idomeneo steht.“ (Quelle: Deutscher Kulturat, Pressemeldung vom26.9.2006)
Gewiss, auch damals war das Aufgebot der Leute einigermaßen groß, die sich daher symbolisch unter das Publikum reihten (Wolfgang Schäuble, Norbert Lammert, Klaus Wowereit). Deutscher Kultur- und Landesmusikrat Berlin wehrten sich gegen die Einflussnahme durch eine angebliche oder tatsächlich gegebene Gefahr. Andererseits wurde die Aufführung durch Polizeischutz gesichert, das Publikum musste durch Scanner hindurch. Keine optimalen Bedingungen für einen einfachen Opernbesuch. Kirsten Harms war damals Intendantin des Theaters und musste allerhand Kritik einstecken. Andererseits muss sie natürlich für die Sicherheit ihrer Besucher garantieren. Beides nicht so einfach unter den Hut zu bekommen. Da mochte man nicht in ihrer Haut stecken.
Wie dem auch sei. Damals, jenseits von IS und Pegida, knickte man ein. Was jetzt aber ein bisschen ein Geschmäckle hat, ist, dass die gleiche Institution vor einigen Tagen sich per Retweet zu „Je suis Charlie“ (siehe Bild oben) bekennt. Die Frage: Wie steht es mit einer Wiederaufnahme von Mozarts Idomeneo in der Inszenierung von Hans Neuenfels? Gilt heute mehr, was Olaf Zimmermann als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates 2006 schrieb?
„Die Freiheit der Kunst ist ein hohes verfassungsrechtliches Gut für das in Deutschland und in anderen europäischen Ländern lange gestritten wurde. Die Kunstfreiheit schließt ein, dass sich auch kritisch mit Religion auseinandergesetzt werden kann. Die Absetzung des Stückes Idomeneo aus Sorge vor islamistischen Anschlägen markiert einen tiefen Einschnitt. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Verteidigung unserer kulturellen Errungenschaften und die Freiheit der Kunst.“
PS: Niemand kann sich sicher sein. Von einem Bekloppten im Auto umgemöbelt zu werden ist wahrscheinlicher. Und dennoch gehen die meisten von uns ganz normal vor die Tür. Erst vor wenigen Tagen ist hier in Kleinmachnow ein Mann von einem Baum erschlagen worden. Aber geht man deshalb nicht mehr in den Wald oder eine Allee lang? Es erinnert ein bisschen an den Karl-Valentin-Schwank, wo sich dieser ein Bergwerk kauft aus Angst vor Meteoriteneinschlägen mit der Begründung: Sicherheit geht vor Seltenheit.