Gute Nachrichten für die Musikwelt. Musik heute, „das nachrichtenmagazin für klassik“ vermeldet:
„Klassische Konzerte können doppelt so viele Besucher wie bisher gewinnen. Davon ist der Deutsche Orchestertag überzeugt, der am Montag in Berlin zu Ende gegangen ist. Immerhin bezeichneten sich fast 90 Prozent der Bundesbürger als klassikaffin, wenn auch nur ein geringer Teil davon Konzerte besuche.“ [Quelle: Musik heute]
Wäre nur nicht dieser Vorbehalt: „können“. 90 Prozent der Bundesbürger bezeichnen sich als klassikaffin? Da ist doch deutlich mehr drin als nur eine Verdopplung. Ich würde mal sagen, eine Verzehnfachung. Und das ist die gute Nachricht. Auch für die Komponisten: Denn die große Anzahl an Menschen braucht immer auch neue klassische Musik. Also mindestens nicht so ein Zeug, das voll mit Ideen und wenig Tönen ist, sondern eben so Strauss-Zeug. Ich meine, mit Wolfgang Rihm hätte man da schon einen an der Hand, der die Verdopplung glatt alleine erreichen könnte; nein: kann!
Was heißt das denn noch: Wir brauchen mehr Ensembles, die die Musik auch spielen kann, Musik sind wohl genug da, die wären aber weniger arbeitslos. Wir brauchen Spielstätten, wo diese Sachen auch gespielt werden können, wir brauchen mehr Eintrittskarten, mehr Benzin/Diesel, mehr dies und mehr das.Berlin braucht keinen weiteren Flughafen sondern neue Konzert- und mindestens vier neue Opernhäuser. Eines wird ja immer auch gerade renoviert.
Für Berlin hatte ich einmal ausgerechnet: Kapazität × Produktion. Wenn jeder Berliner nur ein einziges Mal im Jahr in die Oper (in Berlin) gehen wollte, müsste man die Anzahl der Opernhäuser verdoppeln.
Nirgendwo wird so deutlich, welche Nebeneffekte die Musikkultur hat, wenn man deren Präsenz einfach mal verdoppelte. Nun sagt der Deutsche Orchestertag: Verdopplung sei möglich! Und ich frage mich: Warum macht man es nicht einfach. Was hält die Musikleute davon ab? Angst vor dem Ansturm?
5. Dezember 2014 um 13:55 Uhr
Schöne Nachricht. Nur eine Bemerkung: die meiste neue Musik – am mindesten im Deutschsprachigen Bereich – beruht auf ganz anderen Grundbedingungen, nämlich: Bruch mit der Tradition, während die Aufführungspraxis auf den Grundlagen der Tradition beruht. Solange das Begriff ‚Tradition‘ nur als Orthodoxie und akademische Beschränkung, und nicht als dynamisches Prinzip betrachtet wird, ist eine ’neue klassische Musik‘ nicht möglich. Solange Darmstadt sich nur der meist regressiven ‚Avantgarde‘ zuwendet ( http://www.youtube.com/watch?v=C3kpvIXG1Qc ) werden Publika ihre Gleichgültigkeit, neuer Musik gegenüber, weiter kultivieren.
In England hat man schon eine neue klassische Musik die sich organisch in der Aufführungspraxis einblendet: David Matthews, James Francis Brown, Judith Weir. Rihm hat mit seinem ‚Leichtes Spiel‘ (Vl & Orch) gezeigt, wie ältere Aesthetik wieder aufgenommen werden kann. Leider hat er daraus keine Konzequenzen gezogen.