Barbara Lieberwirth hat die Nichtverlängerung des Vertrages mit dem Generalintendanten Dessau/Roßlau, André Bücker, wohl richtig kommentiert.
Dem Generalintendanten des Anhaltischen Theaters in Dessau-Roßlau droht seit der Nichtverlängerung seines Vertrages die Ablösung. Nach Informationen der Mitteldeutschen Zeitung hält die Stadtführung Bücker landespolitisch für nicht mehr vermittelbar. Bücker hatte sich mit teils scharfen Angriffen auf die Landesregierung als führender Kopf des Widerstandes gegen die Kürzung der Theater-Förderung profiliert. Er hatte in den vergangenen Monaten offene Briefe verfasst und Demonstrationen organisiert, einige auch vor dem Landtag in Magdeburg. Wegen dieser Attacken soll er sich den Unmut der CDU/SPD-Regierung zugezogen haben. (Quelle nmz-online)
Wer aufmuckt, wer sich kreativ einmischt, ist nicht vermittelbar. Gesucht werden Personen ohne „Persönlichkeit“, solche wie beim SWR der Johannes Bultmann. Während man bei Bultmann nur mittelbar von einer politischen Entscheidung sprechen kann, ist es bei Bücker offensichtlich anders. Er war und ist unbequem, dazu noch kreativ . Und das nicht nur innerhalb des Betriebs sondern gegenüber der politischen Allmacht eines Landtages in Sachsen-Anhalt, einer großen Koalition der kulturpolitischen Dummheit aus CDU/SPD. Mittlerweile verlangt selbst die Deutsche Orchestervereinigung den Rücktritt von Kultusminister Stephan Dorgerloh.
„Die Äußerung von Kultusminister Stephan Dorgerloh, dass das Land den Kultureinrichtungen keine künstlerischen Konzepte vorgeben will, sind mehr als zynisch“, so Andreas Masopust, stellvertretender DOV-Geschäftsführer. (Quelle nmz-online)
Zum Schlimmen gehört, dass man sich bei all den aktiven Dingen in Sachen Stadt, Land, Kunst & Kultur einem bürokratischen Apparat gegenübersieht, der alles verdampfen lässt und zur Not auch mal rechtliche Knüppel in den Weg wirft. Man hat gute Erfahrung in der Abwehr und im Niederwingen, statt die Zusammenarbeit zu suchen und den Weg nach vorne zu wählen.
André Bücker nimmt es nach außen relativ gelassen, scheint es, äußert sich kaum, bedankt sich aber bei seinen Auftraggebern. Und das sind nicht die Minister sondern die Kunstnutzer.
Vielen herzlichen Dank für all die vielen freundlichen Nachrichten, Grüße und Wünsche, die mich in den letzten zwei Tagen erreicht haben!
— André Bücker (@andrebuecker) 25. Juli 2014
In der Mitteldeutschen Zeitung steht in einem dort geführten Interview mit Bücker, was er unter Theater versteht:
Liebsein ist nicht unsere Aufgabe als Theater. Es gibt die Ansicht, dass wir unpolitische Amüsierbuden zu sein haben. Das sind wir nicht, wir mischen uns auch ein. Wir haben nicht nur protestiert. Wir haben auf allen Ebenen Gespräche geführt, auch mehrfach mit dem Minister. Es führte aber kein argumentativer Weg rein. (Quelle: Mitteldeutsche Zeitung, 24.7.2014)
Aber was sieht man an vielen Stellen, Arrangement mit der Situation. Nicht Lösungen werden gesucht, sondern Auflösungen. Und dazu passt natürlich auch das Verhalten des Präsidenten des Bayerischen Musikrats, Thomas Goppel, anlässlich des Kampfes für BR-Klassik auf BR. Erst macht man die Pferde mit einer Petition scheu und dann bescheidet man sich mit Aufgabenkatalogen. (Siehe nmz-online 1 und 2). Wenn aber schon die Standesvertretungen einknicken, was erwartet man dann von denen, die vor dem Publikum stehen? Toll gemacht, Bücker, aber morgen steht ein anderer an Deiner Stelle, solange halten wir Dir ein ehrendes Andenken. Und Tschüss.
Soll er sich doch neu bewerben, könnte man sagen. Die Stelle ist ausgeschrieben, soll er doch gegen gewünschte Duckmäuser antreten! Klar. Aber wie. Als zum Saulus gewendeter Paulus etwa?
25 Jahre nach dem Mauerfall sind neue Mauern hochgezogen. Der Geist muss der bürokratischen Maschine weichen:
„Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, …“
[Max Weber: Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Max Weber: Gesammelte Werke, S. 10352
(vgl. Weber-GPS, S. 332) ]
Vielleicht ist aber noch ein Weg offen.
27. Juli 2014 um 3:33 Uhr
Ein Volltreffer, das großartige Weber-Zitat am Schluss. Weber bleibt aktuell. Seine Gedanken zum Stichwort „Gehäuse“ möchte ich gerne mit seinen eigenen Worten ergänzen, in denen er verschärfend sogar vom „stahlharten Gehäuse“ spricht. Da folgende Zitat bezieht sich auf eine Aussage des Weber-Forschers Dirk Kaesler und stammt – man verzeihe mir die Eitelkeit – aus meiner Beckmesser-Kolumne in der NMZ vom November 2001, kurz nach Nine Eleven:
» Der siegreiche Kapitalismus, so Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, habe ein „stahlhartes Gehäuse“ geschaffen, das eines Tages bewohnt sein könnte von Menschen, die ihre „mechanisierte Versteinerung“ nur noch mit einer Art von krampfhaftem Sich-wichtig-Nehmen verbrämen könnten: „Dann allerdings könnte für den ‚letzten Menschen‘ dieser Kulturentwicklung das Wort zur Wahrheit werden: ‚Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.'“ «
http://www.beckmesser.de/kol/2001-11.html