Was liegt eigentlich näher, als sich während der WM oder in ihrem Umfeld mit den kulturtheoretischen Fragen zu beschäftigen, die dieses globale Phänomen aufwirft. Das WM-Blog macht hier ja nichts anderes. Es ist ja immer das Gleiche, wenn man erst einmal anfängt, in so einem Themenhaufen herumzustochern, dann tun sich mit jedem Pieks neue Fragen auf – mal mehr lohnend, mal eher weniger, mal schießt man neben das Themen-Tor, mal randaliert man und wird vom Platz gestellt. Und schon hat man in Analogien seine Seele gebadet und Metapher übernommen. Aber man darf das natürlich nicht, wie Toni Polster sagt, hochsterilisieren.
Also: Im Umfeld erschien ein auf den ersten Blick recht anregender Artikel von Benedikt, dem Intendanten vom Konzerthaus Dortmund. Er erschien in der aktuellen Ausgabe des Monatsmagazins KM des Kulturmanagement Networks. Stampas Arbeit in Dortmund gilt gemeinhin als erfolgreich, er genießt einen guten Ruf. Im Magazin (Ausgabe 90, Thema Freizeit) versucht er sich an einem Vergleich zwischen den Kommerzialisierungsentwicklungen im Fußball, die er ungetrübt allgemein lobt und die Möglichkeiten einer Kommerzialisierung des Konzertbetriebs. Das klingt interessant, gehen wir der Spur Stampas nach.
Knapp gesagt, meint Stampa, der Erfolg des Fußballs liege in seiner kommerziellen Auswertung, die damit das Zentrum des Tuns, nämlich Menschen zu emotionalisieren und begeistern und in Geld zu verwandeln, erfolgreich betreibe.
Emotionalitäten
„Denn ohne eine entsprechende Mechanik der Vermarktung, ohne die kommerzielle Globalisierung der individuellen Emotionalität, hätte der Sport nicht zu dieser dominanten Stellung gefunden. Der Erfolg ist durchaus geplant und gemacht.“
Und das, obwohl kaum jemand das Spiel wirklich verstehe, wie Stampa im Gleichklang mit dem Historiker Havemann meint. [Gelegentlich darf mir einer Aufklärung über den Begriff der kommerziellen Globalisierung zureichen, wenns geht, ja?]
„Das Seltsame ist, die meisten Fans ‚verstehen‘ Fußball gar nicht. 75% der Menschen gehen in die Stadien der Atmosphäre wegen, nicht wegen der Spielzüge – so Havemann. Sie wollen ihre Mannschaft sehen, wollen die Emotionalität des Augenblicks spüren. Wer will indes schon das Spiel ‚lesen‘ wie ein Trainer. Das ist etwas für Experten. Kurz, der Fan weiß viel über den Fußball, die Spieler, Statistiken und Hintergründe, versteht aber, übertrieben formuliert, das Spiel nicht.“
Kanitverstan
Das gilt ja auch für Museums-Kultur. In Museen gehen ja angeblich sogar noch mehr Menschen als zum Fußball. Und das, obwohl sie die Sachen da auch nicht verstehen. Auch in der Musik ist das ja so. Die Leute gehen nicht ins Konzert, weil sie die Dinge da verstehen, sondern wegen der „Emotionalität des Augenblicks“, ergänze ich. Die Menschen lieben am meisten das, was sie nicht verstehen, denn das, was sie verstehen, verstehen sie entweder ja doch nicht oder im Zweifel sogar zu gut, und dann langweilt es sie.
Stampa zieht daraus aber eine ganz merkwürdige Konsequenz.
„Und hier kommt wieder die ‚Klassik‘ ins Spiel. 3% aller Haushalte nehmen aktiv am Konzertleben teil. Das ist nicht viel, zumindest wenn man die Marktanteile des Fußballs betrachtet. Aber 88% der Deutschen sind an Konzerten interessiert, sagt eine aktuelle FORSA-Umfrage.“
Abgesehen von der raffinierten Gegenüberstellung von Zahlen, die nicht in Beziehung stehen (88% Interesse hier und 75% der Menschen, die ins Stadion gehen dort) – es sieht besser für den Klassikbetrieb aus, als man denkt. Klassik-Konzerte, Konzerte überhaupt. 88% sind wirklich viel: Von 10 Leuten, die neben dir im Bus stehen, wollen fast 9 eigentlich ins Konzert, statt irgendwohin.
Birnen und Äpfel
Ganz scheint mir die Logik Stampas ja nicht falsch zu sein, da ist nur die Sache mit den Äpfeln und den Birnen. Man kennt ja doch die Kommerzialisierungserfolge in der Musik, nur halt in der Popmusik. Da, wo die Stars ganze Stadien füllen; da, wo Wettbewerbe im Fernsehen boomen; da, wo, wie bei Jugend musiziert, sich Massen treffen; da, wo man sich zu „Oper für alle“ trifft und Musik eben nur Nebensache wird zur allgemeinen Festivität. Stampa spricht über etwas, was man längst kennt und was man bislang als Eventkultur bezeichnet. Alle versuchen diese Aufmerksamkeit für sich in Anspruch zu nehmen. Nur ist das nix wirklich Neues. Aber, um das Ziel in annehmbarer Zeit zu erreichen (oder erreichbar zu machen), braucht es viel Geld, viel Einsatz – und viel Glück.
Die Massen strömen in die Masse. Aber nicht in die Musik schlechthin wie auch nicht in den Sport an sich. Nur wenn einzelne plötzlich zu überragenden Trägern der Emotion werden – wie Jan Ulrich bei der Tour de France zum Beispiel und mit dem umgekehrten Effekt nach der Enttarnung des Sports durch die Macht der Manipulation. Davor ist man nicht gefeit. Die Manipulation wird dabei natürlich gerne im Spiel selbst gesehen und nicht die Manipulation durch die Umformung des Emotionen in reine Geldfaktoren. Baudrillard nannte eine ähnlichen Effekt mit der Abwandlung des Satzes von McLuhan: „mass(age) is message.“ (Jean Baudrillard, Im Schatten der schweigenden Mehrheiten oder Das Ende des Sozialen, Berlin, 2010, S. 52.)
Grundsätzlich fragt man sich dann aber schon, so „abseits“ des Themas, ob die Qualitäten von Benedikt dem I. eher woanders liegen. Jedenfalls nicht in der Analyse. Naja, Hauptsache, der Text emotionalisiert, oder? 3% Prozent verstehen den auch. Und damit 88% mehr als diese Text hier.
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