Ein Bahnhof als Kampfgebiet. Musikalisch, versteht sich. In Oldenburg haben sich zahlreiche Musiker über den Bahnhof verteilt und spielten Neue Musik was das Zeug hergibt, darunter Werke von Berühmtheiten der Szene und andere. Meistens solistisch.Wer aus dem Zug kam oder zum Zug wollte, der musste sich das gefallen lassen. Klangwolken, extraordinär, in der Schalterhalle. Xenakis über Lautsprecher gibt eben keine Ruh‘. Nicht für die Gäste des Bahnhoflokals „Gleis 9“. Man nahm die Herausforderung an.

In dem Maße, in dem die Musik aus der Schalterhalle lauter wurde, erhöhte man hier den Pegel. Gewonnen hat letztlich keiner. Denn der menschlichen Stimme, eingestellt auf sprachlichen Austausch, fehlt da einfach die Kraft.

Unter den Musikern selbst scheint das Aufführungskonzept auch nicht unumstritten. Ein Komponist und Musiker, anwortete mir auf die Frage, wie er sich in dieser Situation fühle, dass ihm nicht wohl dabei sei, weil selbst die Musiker untereinander gegeneinander anträten, je geradezu in Konkurrenz stünden.

Mir gefällt es an sich sehr, an einem Ort auch solche Musik zu hören, die man gemeinhin dort nicht erwartet. Schwieriger ist es allerdings, Musik wahrzunehmen, wo sie immer kliingt.

Am alten Rathaus spielte gegen 13:20 Uhr das Glockenspiel. Es war allerdings eine andere Melodie als gewöhnlich (ist ja eine bewährte Methode aus der Wahrnehmungspsychologie und der Kunst des Clowning). Offenbar verarbeitete man das Oldenburg-Lied – und seien sie mir nicht bös, ich kenne es nicht („verfloch – ten; das Oldenburglied“ von Ali Gorji). Man konnte tatsächlich etwas erkennen, was in diesem Glockenspiel so ähnlich klang. Die Menschen vor Ort, die ich dazu befragen wollte, konnten sich aber schon kurz nach dem Stück nicht an sein Erklingen erinnern. „Ich habe da nicht aktiv zugehört“, oder: „Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, dann höre ich nicht auf Musik“ waren einschlägige Meinungen hierzu. Dass in Oldenburg gerade ein Zug mit Neuer Musik im Gepäck Halt macht, wussten sie ebenso wenig.

Wer hört zu? Im Bahnhof war es ja ein anderes Bild. Man musste, man konnte dem nicht entgehen. Entweder weil es so laut war, oder weil die Musik spielte, während man auf den Zug wartete oder durch den Bahnhof hindurcheilte.

Es muss hier dann doch die Frage erlaubt sein, wie viel Musik darf man Menschen zumuten, die nichts dafür können, dass sie sich an so einem Platz aufhalten. Ist das nicht eine umgedrehte Form von Muzak?

Das ist ja auch etwas, was auf die anderen Spielorte in Bahnhöfen zutrifft. Man setzt die unschuldig im Bahnhof gefangenen den Klängen aus. Das kann noch gemütlich sein, wenn in Oldenburg eine Harfenistin „In a Landscape“ von John Cage spielt, aber es kann geradezu auch extrem gewaltig sein wie bei Xenakis‘ elektronischer Musik „Voyage absolu …“.

Es wäre schön, wenn mir von den Veranstaltern der ganzen Stationen, darauf eine Antwort geben würden.

Persönliche Anmerkung 1: Ich hatte als Jugendlicher immensen Spaß daran, Menschen mit dieser Art von Musik zu „schocken“. Das wäre auch der einzige Grund gewesen, einen Führerschein zu erwerben und Auto zu fahren. Ich hätte Anhalter mitnehmen können, die es damals noch gab, und mit Free Jazz oder eben Neuer Musik akustisch herauszufordern – heute würde ich auch Machaut und Dufay dazunehmen. So eine Art Auto-DJ. Deswegen sehe ich so eine Veranstaltung wie die in Oldenburg mit einer gewissen Sympathie.

Persönliche Anmerkung 2: Es ist nicht die Lautstärke der akustischen Ereignisse allein. Beim Zugfahren, im Bus, überall wo man mit Menschen zwangsweise zusammen sich aufhält, empfinde ich es nerviger, wenn über die Ohrhörer von mobilen Klangabspielgeräten jene Schlagzeugzisch-Laute in einer alle repetitive Musik überbietenden Weise penetrant durchhuschen. Ergänzung: Im Zug bin ich gerade von drei Ohrhörer-Hörer umgeben. Aber alle brav still auf ihrer Weise. Links eine Lesung von „Der Hamster“ und unter mir tieffrequente Wagongeräusche, ergänzt um einen jede Minute erklingend ein Signalton und die pneumatische Schiebetür, die dann und wann robuste Absauggeräusche der funktionierenden (!) Toilette durchlässt.

[Martin Hufner]