Kampf der Musikwelten – Muzak in Oldenburg
Ein Bahnhof als Kampfgebiet. Musikalisch, versteht sich. In Oldenburg haben sich zahlreiche Musiker über den Bahnhof verteilt und spielten Neue Musik was das Zeug hergibt, darunter Werke von Berühmtheiten der Szene und andere. Meistens solistisch.Wer aus dem Zug kam oder zum Zug wollte, der musste sich das gefallen lassen. Klangwolken, extraordinär, in der Schalterhalle. Xenakis über Lautsprecher gibt eben keine Ruh‘. Nicht für die Gäste des Bahnhoflokals „Gleis 9“. Man nahm die Herausforderung an.
In dem Maße, in dem die Musik aus der Schalterhalle lauter wurde, erhöhte man hier den Pegel. Gewonnen hat letztlich keiner. Denn der menschlichen Stimme, eingestellt auf sprachlichen Austausch, fehlt da einfach die Kraft.
Unter den Musikern selbst scheint das Aufführungskonzept auch nicht unumstritten. Ein Komponist und Musiker, anwortete mir auf die Frage, wie er sich in dieser Situation fühle, dass ihm nicht wohl dabei sei, weil selbst die Musiker untereinander gegeneinander anträten, je geradezu in Konkurrenz stünden.
Mir gefällt es an sich sehr, an einem Ort auch solche Musik zu hören, die man gemeinhin dort nicht erwartet. Schwieriger ist es allerdings, Musik wahrzunehmen, wo sie immer kliingt.
Am alten Rathaus spielte gegen 13:20 Uhr das Glockenspiel. Es war allerdings eine andere Melodie als gewöhnlich (ist ja eine bewährte Methode aus der Wahrnehmungspsychologie und der Kunst des Clowning). Offenbar verarbeitete man das Oldenburg-Lied – und seien sie mir nicht bös, ich kenne es nicht („verfloch – ten; das Oldenburglied“ von Ali Gorji). Man konnte tatsächlich etwas erkennen, was in diesem Glockenspiel so ähnlich klang. Die Menschen vor Ort, die ich dazu befragen wollte, konnten sich aber schon kurz nach dem Stück nicht an sein Erklingen erinnern. „Ich habe da nicht aktiv zugehört“, oder: „Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, dann höre ich nicht auf Musik“ waren einschlägige Meinungen hierzu. Dass in Oldenburg gerade ein Zug mit Neuer Musik im Gepäck Halt macht, wussten sie ebenso wenig.
Wer hört zu? Im Bahnhof war es ja ein anderes Bild. Man musste, man konnte dem nicht entgehen. Entweder weil es so laut war, oder weil die Musik spielte, während man auf den Zug wartete oder durch den Bahnhof hindurcheilte.
Es muss hier dann doch die Frage erlaubt sein, wie viel Musik darf man Menschen zumuten, die nichts dafür können, dass sie sich an so einem Platz aufhalten. Ist das nicht eine umgedrehte Form von Muzak?
Das ist ja auch etwas, was auf die anderen Spielorte in Bahnhöfen zutrifft. Man setzt die unschuldig im Bahnhof gefangenen den Klängen aus. Das kann noch gemütlich sein, wenn in Oldenburg eine Harfenistin „In a Landscape“ von John Cage spielt, aber es kann geradezu auch extrem gewaltig sein wie bei Xenakis‘ elektronischer Musik „Voyage absolu …“.
Es wäre schön, wenn mir von den Veranstaltern der ganzen Stationen, darauf eine Antwort geben würden.
Persönliche Anmerkung 1: Ich hatte als Jugendlicher immensen Spaß daran, Menschen mit dieser Art von Musik zu „schocken“. Das wäre auch der einzige Grund gewesen, einen Führerschein zu erwerben und Auto zu fahren. Ich hätte Anhalter mitnehmen können, die es damals noch gab, und mit Free Jazz oder eben Neuer Musik akustisch herauszufordern – heute würde ich auch Machaut und Dufay dazunehmen. So eine Art Auto-DJ. Deswegen sehe ich so eine Veranstaltung wie die in Oldenburg mit einer gewissen Sympathie.
Persönliche Anmerkung 2: Es ist nicht die Lautstärke der akustischen Ereignisse allein. Beim Zugfahren, im Bus, überall wo man mit Menschen zwangsweise zusammen sich aufhält, empfinde ich es nerviger, wenn über die Ohrhörer von mobilen Klangabspielgeräten jene Schlagzeugzisch-Laute in einer alle repetitive Musik überbietenden Weise penetrant durchhuschen. Ergänzung: Im Zug bin ich gerade von drei Ohrhörer-Hörer umgeben. Aber alle brav still auf ihrer Weise. Links eine Lesung von „Der Hamster“ und unter mir tieffrequente Wagongeräusche, ergänzt um einen jede Minute erklingend ein Signalton und die pneumatische Schiebetür, die dann und wann robuste Absauggeräusche der funktionierenden (!) Toilette durchlässt.
[Martin Hufner]
…ähnliche Erfahrungen, nicht auf Oldenburg reduziert, weil seit fünf Tagen dabei. Trotzdem finde ich die von Nonnenmacher im Programmheft zu sounding D formulierte Anspruchshaltung einer sehr friedlichen Land-Besetzung mit autarken Klängen, mit einer Musik, die nicht ausgeleierten akustischen Erwartungshaltungen entspricht – nicht nur „intellektuell“ sehr erfrischend, sondern, als alter Widerständler gern auch rückblickend – Wackersdorfesk und Suprabayreuthianisch. Ein Hoffnungsstrahl ins öde Land…
Man muss sich schon die grundsätzliche Frage stellen, was es bedeutet, wenn das Berliner Netzwerk Neue Musik einen Zug durch Deutschland schickt. Dann soll und muss doch Neue Musik an Bahnhöfen stattfinden – wo denn sonst? Und wenn sie dort stattfindet, dann findet sie dort statt, so wie sie ist. Damit stört sie unweigerlich. Nicht weil sie dort um einen Selbstzweck willen provozieren will, wie dort in in einer postpubertären „Persönlichen Anmerkung 1“ suggeriert wird. Sie ist erst einmal da. Das ist doch ach der „Auftrag aus Berlin“. Und dann widersetzt sie sich zum Glück letztlich der eigenen „Ververmittlung“. Und sie ist eben mehr als das Geräusch der Toilette – eben das Potenzial eines Klanges „Toilette“…
Manchmal frage ich mich schon, was der Autor sich so unter der Neuen Musik vorstellt. Sein Kollege sitzt ja gern in der Bar Celona – das ist nun der – lang lebe die Geschäftidee – der in Oldenburg beheimatete Inbegriff der durchkapitalisierten Conveniecegastronomie – und am Gleis 9 kriegt man auch noch nach zwei eine Flasche Bier. Das ist im puritanischen Oldenburg auch nicht unwichtig… Aber was sagt das denn aus?
Es tut mir Leid. In diesem Blog paaren sich für meinen Geschmack einfach zu viele Dünkel gegenüber der Provinz (wo kommt ihr her ;-) mit einem dann doch wenig ausgeprägten Interesse am Gegenstand selber. So dass ich letztlich nur fragen kann. Was war denn musikalisch überhaupt los: Ist Xenakis „Voyage“ ein schlechtes Stück? Und warum? Und warum muss so ein Stück einfach auch laut erklingen. Möglichst auf vielen Kanälen. Mit einem db-Meßgerät wäre ja nicht viel zu holen. Wir sprechen hier ja über Psychologie. Jede Dorfdisko bringt mehr db zum klingen. Und laut war es gar nicht. Es war halt Xenakis.
Hier fängt der Diskurs über Neue Musik an – und hier gibt es eine Grundlage des Austausch mit anderen Menschen, die sich nicht für Neue Musik aber für Musik interessieren. aber wenn man man dann komplett wegbolokciert, weil da nichts hulliwulli macht und nett ist… Aber die Frage nach der Kunst selber scheint ja mittlerweile bei diesem ganzen Geteue um das irgendwie Verpackbare eher unterrepräsentiert. Ich sage nur mal: Bring den db-Messer mit und sage mir, wer mehr auf die Piste drückt: Der Dancefloor oder der Kollege Xenakis, so wie wir ihn heute in OL gehört haben (um nur ein Beispiel zu nennen)?
Ich denke, das Problem ist grundlegenden: Mit Menschen, die nicht gerne Musik einfach erst einmal anhören, weil sie sich eben nicht für Musik interessieren, kann man auch nicht über Musik sprechen. (Und was die dann schreiben, sagt ja auch nichts aus – wenn man nicht in der Lage ist, eine „Oldenburghymne“ zu beschreiben, sondern sich nur in einem als cool empfundenen Nichtkennnen und Nichterinnern suhlt, weil man simpelste Tonfolgen nicht fasst…
Mit Menschen, die sich für Musik interessieren und die die Musik interessiert – mit denen spricht man halt über Musik. Und dann sollte man beginnen, über Musik zu scheiben. Nicht über Musik, sonder über anderes zu schreiben, sagt halt nichts über die Musik aus.
Hallo Horst. Danke. Über Musik schreiben ist sicher das eine. Ich denke, den Vorwurf muss ich mir nicht gefallen lassen. Ich mag die Musik von Xenakis sehr und ich denke auch, dass der Raum der Schalterhalle für elektronische oder elektroakustische Musik ein sehr angemessener Raum ist. Auch und gerade weil es sich nicht um einen Weiheort von Musik handelt. Das bringt mich aber gleich zu Punkt zwei.
Wie bringt man in einem vernünftigen Maße Künstlichkeit in den Alltag ohne dass es künstlich erzwungen wirkt. Welche Hoffnungen kann beispielsweise eine Komponist wie Robin Hofmann haben, wenn er seine Birkhahnstudie als eine Art von Straßenmusik inszenieren muss. En passant? Wenn die Leute nicht zu der Musik kommen, muss man sie zu ihnen bringen? Auf Teufel komm raus?
Und das wäre Punkt drei. Musik ist nie nur Musik. Sie ist immer im Zusammenhang. Der soundings-D-Zug mit seinen Stationen setzt solche Zusammenhänge auch. Sie sind ein Kern der Absicht dieses Unternehmens. Ist die Analyse eines Werks von Hölszky an dieser Stelle das Zentrum? Ich denke nicht, da nimmt man sich die Noten nach Hause oder schaut sie in einer Bibliothek an. Die Dramaturgie der Unternehmung stellt sich doch auch vor die Musik, denke ich. Und die ist häufig (Berlin, Hamburg, Oldenburg) sehr ähnlich. Es passiert es „Ungewöhnliches“ am Bahnhof und drum herum. Dazu treten weitere spektakuläre Aktionen in der Stadt. Und abends geht man ins Konzert. In Berlin ins Konzerthaus, sprichwörtlich. Da nimmt man auch schon mal etwas hinein ins Programm, das nur auf der zufälligen Gleichzeitigkeit beruht (Strauß, Mahler, Wagner, Beethoven – BRANDAUER – und nb: Zack, ausverkauft).
Schließlich, was die Provinz angeht, ich habe das Wort nicht verwendet, das bringen Sie ins Spiel. Als Wolfsburger, Gießener, Regensburger und Kleinmachnower bin ich eher in kleineren Orten daheim gewesen (einmal kurz Berlin, war auch nicht schlecht). ich finde die Bedingungen für Neue Musik in kleineren Orten sehr viel günstiger – das mindestens zeigt der Zug durch Deutschland auch mit Städten wie Moers, Göttingen, Oldenburg, Augsburg, Passau, Neuwied/Mainz.
Zuletzt: Was sich der Autor unter Neuer Musik vorstellt? Das, was die „Neue Musik“ ihm bietet. Die Vorstellung von Neuer Musik ist hier rein reflektierend – sonst würde ich das komponieren.
PS: Dancefloor ist auch laut, das stimmt. Dror Feiler häufig ebenso. Aber das lauteste Konzert hörte ich mit Eugene Chadbourne in Marburg. (Ein db-Messgerät gehört noch nicht zu meiner Grundausstattung, vielleicht sollte ich drüber nachdenken.)
Lieber Horst Müller, danke für den kritischen Schuss vor den Bug, der zeigt, dass jemand mitliest.
Falls der Eindruck enstanden ist, wir würden uns über die Oldenburger (und ihre Netzwerker) lustig machen, ist das sicherlich falsch. Ich habe das Programm von Klangpol als sehr progressiv und anspruchsvoll erlebt, wenn auch nicht in allen Teilen gelungen. Wir denken sehr wohl über die dargebotene Musik bei sounding D nach und schreiben auch darüber. Ich sehe allerdings unsere Aufgabe auch darin, zu beschreiben, wie das Gebotene von den Bahnhofszuhörern aufgenommen wird, und wo das Projekt mit Schwächen und Problemen zu kämpfen hat. Eine vom Netzwerk formulierte Zielsetzung ist beispielsweise das in meinem Beitrag erwähnte Heranbringen von neuen Hörern an die Neue Musik. Ich denke, dass sehr an diesem Ziel vorbeigearbeitet wird, wenn man die bestehenden Vorurteile mit Feuereifer anschürt, anstatt gezielt auf diese Klientel zuzugehen. Man mag hier das Wort „Konformismus“ herauswittern, aber ich bleibe dabei, man hat am Oldenburger Bahnhof Musik für sich selbst gemacht, nicht für ein neues Publikum. Wenn Klangpol das egal ist, gratuliere ich zu diesem Programm, wer gewusst hat, worauf er sich einlässt, dem hat es sicher gefallen…
Nun ja, lieber Jörg, mir hat es im Ganzen gefallen, aber für mich war das Programm wohl nicht in erster Linie gemacht. Der Aufwand war wirklich sehr hoch und die MusikerInnen brauchten eine dicke Haut, wenn sie angepöbelt wurden oder ohne Publikum ihre Programm „durchziehen“ mussten, auch wenn leise mit den Federn raschelnde Birkhähne nur noch in Robins Gesichtsausdruck zu erkennen waren. Neben einigen verärgerten Mitmenschen gab es dann aber doch auch hier und da jemanden Unbekanntes, der verwundert zuhörte, sich ein paar Minuten anscheinend über die Veranstaltung freute. Es gab wohl vor allem ein Highlight, einen Gewinner im Bahnhof für die unbescholtenen Hörer: Das Retro-Wohnzimmer ohne Wände in der Bahnhofsvorhalle mit den ranzigen Sesseln und Sofas mit Teppich darunter. Also mein Tipp für das nächste Mal: Vor jeden Musiker ein paar alte Sessel und wenn es ganz hart kommt (etwa einer Wiederholung des E-Gitarrenstücks von Gordon), könnte man ja vielleicht noch einen Plasmafernseher mit Fussball ohne Ton neben dem Musiker aufstellen: Zuckerbrot und Peitsche.
Für externe vielleicht schwer zu erkennen, aber aus Oldenburger Sicht gab es dann noch ein Highlight: Das Oldenburger Staatsorchester spielte Webern, Boulez und Sciarrino! Das sind Namen, die bislang Tabu waren. Sie spielten die Stücke sogar ziemlich gut und keineswegs schlechter als das sonst übliche Repertoire von Haydn bis Smetana. Das zeigt: Die Angst vor dieser Musik ist unbegründet.
Hi Till. Die Vorschläge finde ich sehr überdenkenswert. Aber Oldenburg hat doch mehr zu bieten, auch in der Vergangenheit, als das. Oder? Alban Bergs „Wozzeck“ hatte hier die deutsche Premiere, soweit ich weiß. Und von Christoph Theiler war erst in der letzten Spielzeit „re-entry – leben in der petrischale – oper für oldenburg“ zu erleben. War aber wohl ohne Staatsorchester.
Ja, gewiss. Alban Berg ist das leuchtende Aushängeschild der Oldenburger Orchestergeschichte anno 1929. Und natürlich wirkt es auch sonst immer mal wieder in neueren Opern mit. Gerade die Orchesterkonzerte wirkten aber mitunter etwas bieder in der Programmierung. Und natürlich gab es auch hier immer mal wieder Erfreuliches zu berichten, etwa eine Auftragskompositionenreihe für Stücke von 75 Sekunden Dauer. Je Konzert gab es dann eines davon. Statt lamentieren eben dies: Hoffnung auf ein ambitioniertes, vielfältiges Musikleben.
Das „Netzwerk“ mit sounding D hat in Oldenburg das Orchester auf alle Fälle mal dazu animiert, andere Dinge zu versuchen – dazu erstmals in einer neuen Spielstätte, dem LzO-Gebäude. Zwischen all den Zweifeln und auch berechtigten Kritikpunkten ist dies eine wirklich erfreuliche Entwicklung.
Ich habe Oldenburg eher auch so empfunden. Sehr hoffnungsvoll und überhaupt nicht sprachlos. Das wenige davon, was ich mitnehmen konnte, empfand ich jedenfalls sehr positiv. (Und zur Not ist Delmenhorst ja nicht weit weg.) Ehrlich, in Oldenburg könnte ich mir vorstellen, zu leben.
Schön, dass hier fleißig diskutiert wird – ganz ohne Folgen sind solche Aktionen also nicht, selbst wenn sie nur dazu dienen, die eigenen Positionen zu reflektieren und zu schärfen.
Mich würde interessieren, was konkret „auf eine Klientel zugehen“ im Kontext neuer Musik bedeuten soll. Wie soll dieses „Anfixen“ funktionieren? Kompromisse machen, weichspülen, um die Massen in die Konzertsäle zu locken (die Enttäuschung also nur vertagen)? Events mit Mitmachcharakter produzieren, am besten auch noch auf Kosten der Kunst – Hauptsache, alle fühlen sich wohl?
In einem neuen Bändchen aus dem wolke Verlag liest man von Claus Steffen Mahnkopf den Satz: „Entweder ist es Kunst, dann nehmen es wenige wahr, oder es nehmen viele wahr, dann ist es keine Kunst.“ Ehe die Echauffagen beginnen – natürlich ist der Satz sehr zugespitzt formuliert, aber einen wahren Kern enthält er vielleicht doch. Womöglich ist der Anspruch, durch solche Aktionen neues Publikum zu gewinnen, einfach falsch gedacht und recht sinnfrei. Natürlich macht er sich gut, um ein solches Projekt zu unterfüttern – ganz ehrlich ist er allerdings nicht.
Nebenbei: Musiker sind keine Hehler, genau wie Komponisten produzieren sie eher Ware als dass sie sie verticken. Wozu gibt es Medien? Arte hat es immerhin geschafft, parallel zur Ausstrahlung eines Hitchcock-Films in 3D eine dazu benötigte Brille in die BILD-Zeitung zu packen – Hochkultur und Masse müssen sich also nicht ausschließen.
Neue Musik an Orte bringen, wo sie noch nicht war – das war die (vielleicht unter Zeitdruck nicht ganz zu Ende gedachte) Prämisse des Projektes: da soll sich niemand beschweren, wenn er eben so etwas auch zu hören bekommt.
Lieber Herr Hüfner.
Vielleicht vorweg – mich hat erst einmal das ästhetische Erlebnis von Xenakis in der Bahnhofshalle interessiert. Weil ich dort auf den Sofas sitzen konnte und Musik zugehört habe, die mir gefällt hat mir die Aktion von klangpol gefallen. Dann hat es mir gefallen, dass es diese Überlapungen mit diesem teilweisen massiven Noise in dem Tunnel gegeben hat eben auch ästhetisch interessant. In einem Bahnhof gibt es eben keine Konzertsituation, es ist von vorherein klar, dass da keine Konzertsituation existiert, keine Stücke vollständig und konzentriert gehört werden können etc.
Daher die Frage nach den Alternativen: Natürlich kann die Konzertmusik ins Konzert, der Zug steht dann halt einfach so am Bahnhof – bedeutet das nun mehr oder weniger Aufmerksamkeit? – und irgendwo andernorts finden Konzerte statt oder auch nicht.
Man muss wohl eher die Frage nach dem SInn und dem Unsinn dieses Zuges stellen. Ich war ja nur hier in Oldenburg. Aber wie sieht das aus, wenn der Zug einfach nur so am Bahnhof steht und dieser Ort nicht bespielt wird. Ist das nicht ziemlich trostlos? Dann gehen doch wahrscheinlich nur diejenigen hin, die sich gezielt interessieren?
Und wenn man einen Bahnhof bespielt: Aus meiner Sicht hat es nicht mit einem Einmauern in „Protestelfenbeintürmen“ zu tun, wenn es dann mal laut und aufdringlich wird, sondern einfacj mit der Frage: Was denn sonst? Feldman oder Nono? Das ist dann doch völlig verschenkt. Selbst dieses großartige Trompetensolo von Marc Andre hat qua Lautstärke in der Bahnhofshalle nicht funktioniert.
Warum ich so ärgerlich war – schlicht und ergreifend, weil Sie da so lustig drauflosbloggen und für mich keinerlei Respekt gegenüber der erklungenen Musik und den ausübenden Musikern erkennbar war.
Das mit der Provinz bitte ich Sie zu vergessen.
Ansonsten möchte ich nur erwähnen, dass das Abschlusskonzert in der LzO nicht nur für mich ein großartiges Elebnis war, sondern auch eine wirklich bemerkenswerte Leitung des hiesigen Staatsorchester war.
Das Orchester hat übrigens nicht nur den Berg sondern auch dieses Stück von Theiler gespielt. Das war eine Produktion des Staatstheaters mit deren Orchester. Das ist mir aber auch erst klargeworden, als ich in der Vorstellung war, da die Produktion wiederum Teil des Festivals PAZZ war.
@Till: Ich war mir im Konzert nicht ganz sicher, ob das nun usus ist für das Oldenburgische Staatsorchester, derlei Programme zu spielen – aber offenbar nicht. Dafür war es dann allerdings eine sehr gute und stimmige Performance.
https://blogs.nmz.de/sounding-d/2010/08/30/oldenburg-staatsorchester-in-landesbank/
Hoffentlich geht das auch ohne sounding D so weiter.
@Horst Müller: Ich denke, der Respekt vor den Musikern fehlt uns nicht. Man bekommt nur mitunter den Eindruck, dass das, was man versucht zu erreichen, überhaupt nicht funktioniert. Vielleicht irre ich mich aber auch und „Bahnklang“ ist ein großer Erfolg für das hiesige Netzwerk. Ein Irrtum, den ich nicht bereuen würde…
Noch eine persönliche Anmerkung. Es ist sicher kein Zufall und spricht für sich, dass so eine Diskussion gerade in Oldenburg losgetreten werden konnte. Zuvor machte der Zug Station in vier Landeshauptstädten (Dresden, Berlin, Hamburg und Kiel) und nichts passierte. Das Engagement, mit dem diese Diskussion hier (Oldenburg) geführt wird, zeigt mir, dass hier wirklich was los ist und man sich glücklich schätzen sollte, mit solcher Aktivität verbundene Mitbürger zu haben.
Zum Zug nochmal, Herr Müller. Das Dilemma scheint mir nicht auflösbar. Was, wenn nicht so ein Zug, hätte die Städte verbinden können? Andererseits, die Angst hatte ich, ist eben der Zug damit fast ein leeres Symbol. Vor Ort geht man dann ins Konzert und es gäbe nur den Sprung für wenige Minuten in ein für diesen Zweck aufgezäumtes Neue-Musik-Angebot. Ein periphäres, zufälliges, beliebiges Zusammentreffen.Am Zug kristallisiert sich das Neue-Musik-Leben der Stadt.
Aber die Arbeit muss auch laufen, wenn der Zug weg ist.
Zu Paul: Der Satz Mahnkopfs ist provokant, aber meines Erachtens eher aus der Sicht einer Enttäuschung heraus. Man weiß ja nicht einmal, was mit „viel“ und „wenig“ gemeint sein kann. Ein volles Haus mit Don Giovanni ist „viel“ (und keine Kunst) und „wenig“ im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Berlin würde sechs Opernhäuser benötigen, die täglich spielen, um wenigstens ein Mal jedem Berliner die Möglichkeit zu bieten, Oper zu hören und zu sehen (und kein Tourist hätte Platz). Dafür machen die dann „Oper für alle“ an der Lindenoper, aber ob das überhaupt noch „Oper“ ist?
@Paul: Mag schon sein, dass es sinnlos ist, unvorbereitete Bahnhofsbesucher spontan mit Neuer Musik zu überrumpeln und dann zu hoffen, dass das positive Wirkung zeigt. Ich denke aber, das Netzwerk will das zum Teil wirklich versuchen. Schließlich macht der Ansatz, mit den Performances von sounding D in Bahnhöfe und auf Stadtplätze zu gehen, wo quasi der „massenhafte“ Jedermann vorbeikommt, nur dann Sinn, wenn man sich von diesen Leuten etwas erwartet. Das „Anfixen“ verstehe ich also im Hinblick auf eine nicht ganz so offensive Auswahl der gebotenen Musik. Man muss ja nichts weichspülen, aber es ist denke ich klar, dass die Verträglichkeit von Neuer Musik unterschiedlich ist. Es gibt Stücke mit klaren, fassbaren Strukturen und eben solche, die stark geräuschhaft und abstrakt sind. Letztere bieten sich kaum für ein Showcase an und Erstere sind nicht zwingend Weichspülermusik oder „Unkunst“.
…es gibt ja auch Leute, die sehr viel mit den Klassikern der Moderne oder mit Pärt anfangen können, aber nichts mit Stockhausen oder Sciarrino. Das muss auch erlaubt sein und mehr von diesen Menschen wären doch auchein Gewinn für die Neue Musik…
Hallo „Anschluss“ Ästhetiker,
wie froh kann ich mich schätzen, dass ich – stets per Zufall und aufgrund von Missverständnissen – als Jugendlicher die Chance bekam, zeitgenössische Musik zu hören und damit den Grundstein für mein andauerndes Interesse zu legen (und das obwohl in Freiburg doch schon solche Musik eigentlich überall erklingt). Die Lehrer hatten versagt und zu Zeiten in denen ich wach war, konnte mich auch das Radio nicht informieren. Nichts ist wichtiger, als Menschen überhaupt mal die Chance zu geben wenigstens einige der vorhandenen Musikformen kennenzulernen. Wie schön wäre es, wenn nun auch andere Musikformen sich im Bahnhof präsentieren würden. Aber besser diese eine als keine. Vielleicht war dieser Bahnhofstag der Grundstein für den einen oder anderen.
Ergo: Erst wenn man weiß, dass es solche „zeitgenössische Musik“ gibt, kann man sich dafür interessieren oder es eben sein lassen – oder bei einer zweiten oder dritten Begegnung dann Interesse entwickeln. Ob nun Kampe, Hoffmann, André, Xenakis oder eben Pärt.