Was macht mein Onkel hier? oder Neue Musik am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen
Freitagmorgen war’s, da hab ich meinen Onkel zum ersten Mal gesichtet. “Was macht der denn hier?”, schoss es mir durch den Kopf. Langsam kam ich dahinter, dass mein Onkel Michael Alber wohl in seiner Funktion als Chorleiter des Landesjugendchores Baden-Württemberg hier sein musste. Und das dazugehörige Konzert fand heute Morgen statt. In aller Frühe. Durch die Zeitumstellung zusätzlich geschwächt, wankten wir in Richtung Strawinsky-Saal. Auch unser “Roter Faden”, der Moderator Philipp Schäffler machte den Eindruck, als sei er gerade erst aus dem Bett gefallen.
Und dann ging’s los. Michael Alber (folgend “mein Onkel” genannt) in seiner gewohnt positiven Ausstrahlung gab den Einsatz zu Dieterichs “Do dar niwiht ni was”, ein Stück mit mittelhochdeutschem Text, wie mir ein Blick in die Probe verriet. Das Stück war interessant. Zum Schlussapplaus wurde Komponist Martin-Christoph Dieterich auf die Bühne gebeten, denn es war eine Uraufführung. Dass schon wieder einmal ein stolz lächelnder Kompositeur im Rampenlicht stand, komplettierte das Gefühl, hier wirklich am Puls der Zeit zu sein.
Darauf folgte Klaus Langs “Verlorene Linien”, ein Stück, mit dem ich nicht viel anfangen konnte. “Spröde, Verloren”, ging mir durch den Kopf, was nicht dem Ruf des Chors schädigen soll. Mit solch einem Stück ist einfach nicht viel anzufangen.
Anschließend eine schöne Überleitung meines Onkels: Ganz wie das SWR-Vokalensemble will der Landesjugendchor für die neue Aufstellung ganz abgehen und sich dort neu sortieren. “Das SWR-Vokalensemble ist ja auch Patenchor des Landesjugendchors”, wirft er locker ein und reiht sich bei seinen Chorsängern ein, um Claus-Steffen Mahnkopfs “mehr wasser” mitzusingen. Hierbei handelt es sich um eine tolle Geräuschkulisse, geprägt von skandierten Konsonanten und gerufenen Einwürfen, das Wort “Wasser” auf den verschiedensten Sprachen, einschließlich klingonisch und elbisch.
Nachdem auch dieses Stück verklungen ist, beäugt mein Onkel argwöhnisch das große Geschenkpaket, das in der Mitte der Bühne steht. Schließlich verlässt er schneller laufend die Bühne und rennt schließlich, gefolgt von den Chorsängern, auf den Platz vor den Donauhallen. Allen ist klar: Es handelt sich hierbei um Iris ter Schiphorsts “KONZEPTE zu FLÄCHE(N)”, die Auftragskomposition, die von allen vier Jugendchören interpretiert werden soll. Spannende Idee! Diese Komposition, bzw. dieses Spiel müsste man richtigerweise sagen, weil in der Partitur keine einzige Note steht, funktioniert, in dem viele Assoziationen zum Thema “Flächen” und den dazugehörigen Umständen (Wo? Wie? Wer? usw.) gesammelt werden und dann umgesetzt werden können. In der “Anleitung steht nämlich ausdrücklich, dass der Erarbeitungsprozess im Vordergrund stehen soll und alternativ auch eine Ausstellung zu dieser Auseinandersetzung gezeigt werden kann.
Der Landesjugendchor Baden-Württemberg hat sich zu etwas anderem entschieden: Das Geschenk, das jetzt in der Sonne angekommen ist, wird ausgepackt und zum Vorschein kommt ein riesiger Tonbandknäuel und viel Schokolade. Jetzt finden viele Aktivitäten parallel statt. Schuhe werden ausgezogen, Wasser aus Gießkannen in Schüsseln gegeben, jemand wringt sein nasses Top aus und ein anderer umkreist die Choristen mit einem weiteren Tonbandstreifen. Zum Schluss wird das Knäuel mithilfe von Stimmgabeln nach und nach angehoben, ein toller Effekt. Und dazu das Vogelgezwitscher – toll!
Die Interpretation des Flächen-Konzeptkunstwerks ist schlüssig und man sieht, der Arbeitsprozess hat Spaß gemacht, er hat Fragen gestellt, es wurde diskutiert, man hat sich bereichert.
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