Was zum Teufel ist diese „Neue Musik“?!
Während der “Konferenz der Stimmen”, dem abschließenden Programmpunkt des UPGRADE Festivals 2017 in Donaueschingen, einem Konzeptkunstwerk von Christoph Ogiermann, kam im Saal ungeplant eine hitzige Debatte über die Frage, was “Neue Musik” sei, zustande. Dabei blieb diese Frage offenbar zur Frustration vieler unbeantwortet. Anlässlich dieser finalen „Podiumsdiskussion“ verfasse ich diesen Text. Folgende Überlegungen könnten eventuell zur tiefgründigeren Reflektion der Problematik hilfreich sein.
Zu Beginn des Festivals hielt Georges-Nicolas Wolff einen Vortrag mit dem Titel „Was die Neue Musik sey – oder: Was soll denn da vermittelt werden?“, der allerdings von den Mitgliedern der Landesjugendchöre nur recht minder besucht wurde, was vielleicht an der reizvollen Alternativveranstaltung, einem gemeinsamen “Warming-up”, gelegen haben könnte. Vermutlich hätte dieser Vortrag aufgrund seiner Komplexität aber sowieso für die meisten Menschen eine eher unzureichende Antwort auf die Titelfrage gegeben.
„Neue Musik“
Lasst mich zunächst den Begriff „Neue Musik“ mit definitorischen Aspekten versehen und ihn umreißen. Der Begriff stellt für mich einen Sammelbegriff für sämtliche sogenannte „Kunstmusik“ bzw. „E-Musik“ der letzten 70 bis 100 Jahre dar. Das heißt, ich spreche nicht von der sogenannten „U-Musik“, zu der unter anderem Jazz, Pop, Rock usw. zählen. Ich spreche von jener Musik, die es für sich beansprucht, Kunstmusik zu sein. Diese Beanspruchung manifestiert sich letztlich in der Einstellung des Publikums, das sich von dieser Musik angesprochen fühlt, und im Umgang mit dieser Musik.
Der Begriff „Neue Musik“ fasst also sehr viele verschiedene Stile, Arten etc. zusammen. Man könnte jetzt zahlreiche Beispiele anführen. Hier nur einige der Richtungen, die unter anderem zur „Neuen Musik“ zählen: Serielle Musik (ab ca. 1940), Aleatorik (ab ca. 1950), Elektronische Musik (ab ca. 1950), Computermusik (ab ca. 1950), Minimal Music (ab ca. 1960), bis hin zur gegenwärtigen Konzeptkunst (siehe „KONZEPTE zu FLÄCHE(N)“ von Iris ter Schiphorst).
Definitiv lässt sich aber sagen, dass (nahezu) alles Akustische und zum Teil auch Theatralische, was auf dem UPGRADE Festival 2017 aufgeführt oder in anderer Weise thematisiert wurde, unter dem Begriff „Neue Musik“ subsumiert werden kann. Allerdings waren das alles auch nur einzelne Teilaspekte des Begriffes „Neue Musik“, mithin lediglich Beispiele.
Was man allgemein feststellen kann (und was auch in dem Vortrag von Georges-Nicolas Wolff angedeutet wurde) ist, dass sämtliche theoretische Definitionen diverser (musikalischer) Phänomene erst rückwirkend entstehen. Das heißt, dass Antworten auf die Frage, was etwas sei, erst gegeben werden können, wenn das zu erfassende Phänomen bereits mit theoretischen Definitionen versehen wurde. Dazu muss dieses zeitlich hinter einem liegen und dessen Ära abgeschlossen sein.
„Neue Musik“ heißt nicht umsonst so, wie sie heißt. Darunter zählt eben auch (wenn nicht sogar hauptsächlich) zeitgenössische Musik, also Musik die in diesen Jahren komponiert wird, deren Zeit die Gegenwart ist. Folglich ist die „Ära der Neuen Musik“ noch nicht vorbei. Deshalb kann der Begriff „Neue Musik“ auch (noch) nicht mit Definitionen, also mit konkreten Antworten auf die Frage, was man darunter letztlich darunter verstehen soll, versehen werden. Man kann lediglich einzelne Strömungen und Stile, die sich unter diesem Sammelbegriff tummeln, voneinander abgrenzen. Solche, deren Blütezeit bereits vorbei ist, wie beispielsweise die Minimal Music, kann man sogar bereits definitorisch erfassen.
Doch eine eindeutige, abschließende, konkrete Antwort auf die Frage „Was ist Neue Musik?“ kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben werden.
Und wofür das Festival?
Viele der Festival-Teilnehmer, die sich am Ende desselben teils sogar wütend und verbissen mit dieser Problematik auseinandergesetzt haben, werden sich jetzt vielleicht fragen, was das UPGRADE Festival denn stattdessen gebracht habe, wenn schon keine Antwort auf die Frage, was „Neue Musik“ sei.
Ich persönlich verstehe den Sinn des Festivals nicht auf die Weise, dass jugendliche Chorsänger mit allwissend erscheinenden Experten der Neuen Musik, sprich mit zeitgenössischen Komponisten, Dozenten, Professoren zusammengebracht werden, um erklärt zu bekommen, was „Neue Musik“ ist.
Vielmehr sehe ich den beim Festival provozierten Austausch aller beteiligten Parteien als eine Möglichkeit, Aspekte der „Neuen Musik“ aktiv zu präsentieren, sowie gleichzeitig passiv erleben zu können. Man sollte also angeregt werden, seinen „Hör- und Denkhorizont“ zu erweitern, wie es Dr. Matthies Andresen, der ebenfalls in einer „musikvermittelnden“ Funktion am Festival beteiligt war, in einem Interview mit dem upgrade-Blog treffend ausdrückte.
Außerdem bot das Festival neben der Zusammenbringung der Landesjugendchöre auch die Möglichkeit, Fragen wie die Titelfrage zu diskutieren und zu erörtern und seinen Horizont auf diese Weise zu erweitern.
… everything is up to you…
Wie man „Neue Musik“ nun beurteilt, was man von ihr halten soll, was einem an ihr gefällt oder nicht, muss nun jeder selbst entscheiden. Das ganze passiert im Rahmen der persönlichen Meinungsbildung, der Persönlichkeitsentfaltung, der Identitätsfindung. So wie jeder individuell für sich entscheiden muss, ob er Bayern- oder Borussia-Fan, oder vielleicht auch überhaupt kein Fußballfan ist, so muss jeder für sich herausfinden, welche „Neue Musik“ ihm gefällt oder nicht gefällt, oder welche Haltung er sonst dazu einnehmen will. Jeder muss sich sozusagen jene “Stücke aus dem Brei” von gleichermaßen Würdigem heraussuchen, die für ihn persönlich am “goldensten” erscheinen, wie es von Teilnehmern bei der finalen Diskussionsrunde des Festivals formuliert wurde.
Wir sehen schließlich: Diese Angelegenheit ist eine sehr subjektive Sache, deren Erörterung vielleicht eher unter die Frage „Was ist gute Musik?“ fällt…
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