„RTL ist eine Einstiegsdroge!“
Das neumusikalische Wirken der 9. Klasse des Lessing-Gymnasiums Lampertheim
Kommunikation erfreut sich einer täglichen Notwendigkeit. Viele Medien, wie Fernsehen und Internet, die sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt und etabliert haben, dienen uns zur täglichen Kommunikation. Deshalb sollte vor allem der intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik der Kommunikation und deren potentiellen Problemen heutzutage eine immer größere Wichtigkeit zukommen. In Zeiten, in denen die alltägliche Kommunikation durch äußerst unpersönliche Medien wie „Whatsapp“ oder „Facebook“ dominiert werden, ist die Befürchtung, dass die „traditionellen“ Kommunikationsstrukturen vor allem in der jungen Generation verlernt werden könnten, durchaus berechtigt.
Im Rahmen des UPGRADE Festivals 2017 fand am Samstagvormittag die Präsentation der Ergebnisse eines im Vorfeld durchgeführten Vokal-Workshops statt. Dieses Projekt haben die Sängerin Truike van der Poel und der Schauspieler und Theaterpädagoge Christoph Wehr mit der AG Neue Musik des Lessing-Gymnasiums Lampertheim unter der Leitung von Dr. Matthies Andresen und Jérôme Dath umgesetzt.
Das Ziel dieses Workshops war es, zu vermitteln, wie man seine Stimme einsetzt, und sich seiner Körperpräsenz im Raum bewusst zu werden. Außerdem wurden Kommunikationsstrukturen erprobt und ausprobiert, sowie der Teamgeist der Teilnehmer gestärkt. Dies wurde den Neuntklässlern durch diverse Spiele, die auch bei der Präsentation mit dem Publikum gespielt wurden, nahegebracht.
Die Veranstaltung gliedert sich im Wesentlichen in zwei Teile. Zunächst kommt es durch die Neue Musik AG des Lessing-Gymnasiums Lampertheim zur Uraufführung des Stückes „8 Anekdoten“, das der Leiter Dr. Matthies Andresen komponiert hat.
Hierbei handelt es sich um eine Komposition, die sich in acht kurze „Sätze“ gliedert, die fließend ineinander übergehen. Jeder dieser Sätze repräsentiert eine „Anekdote“. Im Mittelpunkt des Stückes steht ein sogenanntes Flatgong-Spiel, das solistisch auftritt. Dieses besteht aus gestimmten Gongs, die einen Ambitus von eineinhalb Oktaven abdecken. In jedem dieser acht Abschnitte werden die Gongs mit jeweils anderen Schlägeln bespielt, sodass jede dieser Anekdoten von einer anderen Klangfarbe geprägt ist.
Begleitet wid das Flatgong-Spiel von einem sogenannten Percussion-Chor. Der Percussion-Chor besteht aus zehn Künstlern, die mit diversen Mitteln ihres Stimmapparates die Begleitfunktion übernehmen. So summt der Chor im ersten „Satz“ durchgehend den Kammerton a, während die einzelnen Mitglieder des Chores im dritten Abschnitt schnalzend ihre eigenen Namen im Morsealphabet skandieren. Die siebte Anekdote stellt eine solistische Kadenz für das Flatgong-Spiel dar, bevor das gesamte Stück im letzten Abschnitt sanft ausklingt. Während der gesamten Aufführung sind die Schüler stets mit dem nötigen Ernst bei der Sache.
Im zweiten Teil performen die Neuntklässler einen im Workshop selbst erarbeiteten Dialog, bei dem nahezu alle Möglichkeiten der Stimme ausgelotet werden. Die Schüler stehen sich in zwei Reihen gegenüber und statten sich zunächst mit Kopfhörern aus. Im Anschluss daran diskutieren sie miteinander, indem die jeweiligen Gruppen kollektiv Laute von sich geben, wobei sie sich dialogisch abwechseln. Diese Klangteppiche aus Lauten werden von einzelnen deutlich gesprochenen Sätzen, wie zum Beispiel „RTL ist eine Einstiegsdroge!“ unterbrochen. Dadurch kommt bisweilen eine gesellschafts- bzw. medienkritische Note auf.
Danach erklären Truike van der Poel und Christoph Wehr ihren Workshop und arbeiten diesen theatralisch anmutenden Dialog noch einmal auf. Das Ganze war gespickt von Ausführungen über Kommunikation und Teamgeist.
Alles in allem war diese Veranstaltung eine gelungene Präsentation des neumusikalischen Wirkens der 9. Klasse des Lessing-Gymnasiums Lampertheim. Insofern und in Anbetracht der eingangs beschriebenen Kommunikationsproblematik kann man den Sinn und Zweck des Workshops auch als legitimiert betrachten.
Auch der Komponist von „8 Anekdoten“, Dr. Matthies Andresen, und Lehrer der Neuntklässler, zeigte sich nach der äußerst erfolgreichen Uraufführung erfreut. Ich hatte im Anschluss an die Veranstaltung die Gelegenheit, ihm einige Fragen zu seiner Komposition und dem Projekt zu stellen.
Interview mit Dr. Matthies Andresen (Musiklehrer und Leiter der AG Neue Musik des Lessing-Gymnasiums Lampertheim, Komponist von „8 Anekdoten“):
upgrade-Blog: Welches Instrument spielen Sie bzw. in welcher Musikrichtung sind Sie zu Hause? Was haben Sie in Ihrer Jugend für Musik gemacht?
Dr. Matthies Andresen: In meiner Jugend war mein Hauptinstrument die Klarinette, dann habe ich viel elektronische Musik als DJ aufgelegt und inzwischen ist mein Hauptinstrument die Ondes Martenot.
upgrade-Blog: Was ist das?
Dr. Andresen: Die Ondes Martenot ist eines der ersten elektronischen Musikinstrumente, entwickelt von Maurice Martenot in den 1930er Jahren in Frankreich. Es handelt sich um ein elektronisches Instrument mit einer Tastatur, aber auch mit einer Saite. Das heißt, es klingt ein bisschen wie eine singende Säge oder wie ein Cello unter Wasser. Das Hauptwerk für dieses Instrument ist Olivier Messiaens „Turangalîla-Sinfonie“.
upgrade-Blog: Wie sind Sie zur sogenannten Neuen Musik gekommen?
Dr. Andresen: Das war tatsächlich schon im Jugend-Sinfonieorchester Mannheim, dort habe ich Klarinette gespielt. Der Leiter dieses Orchesters war Hanno Haag, der selber auch Stücke für Laienmusiker komponiert hat, allerdings mit dem Anspruch, zeitgenössische Musik zu machen. So habe ich dort relativ früh – sagen wir mal „spielbare“ – zeitgenössische Musik kennengelernt. Das hat sich dann weiterentwickelt, und hat mir super gut gefallen. Und die Ondes Martenot, die ja nur in Werken der zeitgenössischen Musik vertreten ist, habe ich dann in Kanada kennengelernt, wo ich für ein Jahr gelebt habe.
upgrade-Blog: Gab es eine Art Initialzündung, die Sie dazu veranlasst hat, das Stück, das wir vorhin gehört haben und das Sie für Gongs und Percussion-Chor geschrieben haben, zu komponieren?
Dr. Andresen: Ich habe schon lange das Interesse für verschiedene Gongs oder „Metall-Klinger“. Dies war jetzt ein „Flatgong-Spiel“, es gibt aber auch „Buckelgongs“ oder Tam-Tams. Ich bin auch immer auf der Suche nach neuen „Klingern“ und so habe ich über einen Freund die Gelegenheit bekommen, dieses Flatgong-Spiel zu erwerben. Und das war sozusagen die Initialzündung. Ich hatte nun gestimmte Gongs über eineinhalb Oktaven und wollte diese für eine zeitgenössische Musikkomposition verwenden, allerdings mit dem Ansatz, dass diese Komposition auch für Laien musizierbar ist. Deshalb besteht das Stück aus vielen aleatorischen und improvisatorischen Teilen.
upgrade-Blog: Gibt es einen Schwank oder eine Anekdote aus Ihrem Leben, die Sie zu dem Titel „8 Anekdoten“ veranlasst hat, oder wie ist der Titel entstanden?
Dr. Andresen: Ich wollte kurze Sätze haben und ich wollte das Flatgong-Spiel sprechen lassen. Deshalb werden in den acht Sätzen auch verschiedene Schlägel verwendet, vom Gummiball, über Stecknadeln bis hin zu Bambus-Ruten, um acht verschiedene Eindrücke transportieren zu können. Die Zahl 8 hat sich beim Schlägel-Ausprobieren ergeben, denn es waren acht verschiedene Schlägel, die mir für das Flatgong-Spiel am besten gefallen haben und mich inspiriert haben. Und so komponierte ich acht Kurzgeschichten, aber „8 Anekdoten“ hörte sich schöner an.
upgrade-Blog: Sie haben das Stück ursprünglich nicht für die Schüler Ihres Wahlunterrichts-Kurses geschrieben…
Dr. Andresen: Die Solostimme habe ich nicht für meine Schüler geschrieben, sondern für einen befreundeten Perkussionisten, Thorsten Gellings, mit dem ich auch die Schlägel ausprobiert habe. Außerdem leite ich in Mannheim das Laien-Sinfonieorchester „Collegium Musicum Mannheim“, welches ich neben meinem Wahlunterrichts-Kurs am Lessing-Gymnasium ebenfalls für dieses Stück im Hinterkopf hatte. Dabei dachte ich mir, dass diese Ensembles beide das Stück spielen sollen können.
upgrade-Blog: Was war das pädagogische Ziel hinter dem Projekt, das Stück “8 Anekdoten” mit Ihren Schülern einzustudieren?
Dr. Andresen: Eine Erweiterung des Hör- und Denkhorizontes.
upgrade-Blog: Wie konnten Sie Ihre Schüler für eine solche Art der zum Teil ja auch performativen Musik begeistern, wie haben Sie sie daran herangeführt?
Dr. Andresen: Ich bin von dieser Musik begeistert und die Begeisterung überträgt sich, wenn man selbst davon begeistert ist. Ich habe mit meinen Schülern verschiedene Klänge ausprobiert, wobei sie viel Vergnügen hatten. In diesem Fall habe ich die kompositorische Struktur vorgegeben und für diesen Anlass hier beim upgrade-Festival stand die Frage „Wie erprobe ich Klänge mit der Stimme?“ im Vordergrund. Da ich schon seit über vier Jahren mit dieser Gruppe zusammenarbeite, sind es die Schüler bereits aus meinem Unterricht gewohnt, mit Klängen zu experimentieren. Und jetzt sind sie diesbezüglich von ihren gewohnten Instrumenten über neue Percussioninstrumente zur eigenen Stimme gelangt, was für alle ganz neu war.
upgrade-Blog: Vielen Dank für das Interview.
Das Interview für den upgrade-Blog führte Paul Beskers.
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