Will MusicaEterna den Dialog mit westlichen Fans – ein Blick auf gängige soziale Medien

Ich denke, dass Teodor Currentzis und seine MusicaEterna keine Putin-Fans sind. Allerdings habe ich den Eindruck, dass sich das Ensemble und sein Dirigent immer mehr in Erklärungsnöte hineinmanövrieren. Nach neuesten Berichten nimmt das Rote Kreuz Abstand von dem Benefizkonzert 12. April in Wien, womit die Absicht, sich wohl symbolisch-mimetisch, ohne Worte und Statements, vom Angriffskrieg Putins zu distanzieren, gescheitert sein könnte – ich sage nicht „dürfte“, da es immer noch neue Wendungen geben könnte. Brandaktuell: der Generalpartner VTB Bank ist von der Homepage verschwunden. Auffallend ist aber andererseits, dass MusicaEterna sich selbst entmächtigt hat, mit seinen westlichen Fans via soziale Medien im Kontakt zu bleiben. Der einzige Kontakt besteht wohl nur noch darin, für die Fans z.T. Konzerte mit stolzen Preisen zu veranstalten, wo das Gros ca. 140 EUR kosten soll, wie z.B. das Münchner Rameau-Konzert. Zwar tritt Anna Netrebko aktuell nicht im Westen auf, aber sie bedient immerhin im Gegensatz zu Currentzis und den Seinen Facebook.

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Der Auftritt von MusicaEterna auf Facebook gibt sich dahingehend ganz russisch staatstreu: in Russland ist seit ca. Mitte März 2022 Facebook gesperrt, man kann es nur noch mit VPN-Diensten nutzen. MusicaEterna verweist in seinem letzten Posting vom 13.3.22 ab sofort nur noch über Telegram und VKontakte mit seinem Publikum direkt zu kommunizieren. Damit verabschiedet man sich genauso auch auf Instagram (wo man zum letzten Mal am 11.2.22 gesehen wurde) von seinen westlichen Fans, die in der Regel nicht Telegram oder VKontakte für solche Kontaktaufnahme, Ansprache und Interaktion nutzen. So bliebe noch Twitter, wohin die Homepage des Ensembles verweist – wo seit August 2021 Ruhe herrscht. Oder Youtube? Das verbreitet nur Filme, keine weiteren Informationen, die geliebt oder was auch immer werden könnten, wie z.B. auf Facebook, und ruht seit Mitte Februar.

Verstörend, nachgerade bockig trotzig gegenüber dem Westen, ist der bis 4.4.22 prominente Hinweis, dass man sein „Dom Radio“ in St. Petersburg durch die russische Muttergesellschaft der VTB Bank sponsern läßt. Diese Bank findet sich mitten in den europäischen und US-Sanktionen wieder, ist vom SWIFT-System ausgeschlossen. Nun ist der „Generalpartner“ seit heute entfernt worden. Das ist eine erste klarere Botschaft, allerdings bisher auch nur symbolisch-mimetisch kommuniziert.

Screenshot webarchive und von heute der MusicaEterna Webseite zum Generlpartner VTB Bank, der seit heute fehlt, bis gestern dort noch stand.

Unklar bleibt aber auch das Verhältnis zu Ost wie West. Man gibt zugleich Konzerte in Russland wie im Westen: in St. Petersburg am 6.4.22, am 10./11.4.22 in Wien, am 14./16.4.22 in der Hamburger Elbphilharmonie, am 30.4.22 in Moskau, am 2.5.22 in München, am 4.5.22 in Paris und dann wieder ab 10.6.22 in Perm das Diaghilev-Festival. Man jettet nach wie vor zwischen Russland und dem Westen hin und her, als sei nichts gewesen. Man vergesse nicht, dass Künstler wie z.B. der Regisseur Serebrennikow oder der Komponist Tarnopolski gerade Russland für wohl längere Zeit sowie bald Hunderttausende anderer Russinnen und Russen verlassen haben. Warum folgt diesen nicht MusicaEterna, die zur Zeit im August noch für Salzburg und für November für Baden-Baden geplant sind und damit im Gegensatz zu all den anderen Geflüchteten immerhin mittelfristige westliche Einnahmequellen, wo wie bei Netrebko, die überwiegenden Auftritte im Westen geplant sind? Das sagt sich einerseits sehr leicht. Andererseits wird man sich in diesen Zeiten leider für Ost oder West entscheiden müssen, wenn man das realpolitisch betrachtet.

Gerade weil Putins Russland die Förderung von Kultur auch als Propaganda nutzt, muss man hier ganz klar sein. Man kann nicht einerseits die Vorteile in Russland und im Westen einstreichen, sogar wie auf social media den Kontakt zu den westlichen Fans abbrechen, derweil gerade im Westen immer mehr Personen darauf hoffen, dass sie Teodor Currentzis und seine MusicaEterna klarer als nur symbolisch-mimetisch gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine positionieren. Das mag mit einer russisch geförderten Basis in St. Petersburg nicht möglich sein. Dann muss man sich aber für Russland oder ganz klar die westlichen Aufführungsorte mit allen Konsequenzen entscheiden.

Screenshot der Facebook-Seite von MusicaEterna und ihrem Abschied von dort hin zu VKontakte und Telegram

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2 Antworten

  1. k. sagt:

    Letzendlich hat sich das westliche Publikum bisher auch nur für die wirklich genialen Aufführungen von MusicAeterna und Currentzis interessiert – aber nicht für die Bedingungen, unter denen diese Aufführungen zustande gekommen sind.

    Nach meinem Eindruck übt man nun Spagat.

    Z.B. aus der Ankündigung der Elbphilharmonie:
    „Aufgrund des Krieges in der Ukraine und der daraus resultierenden Reiseeinschränkungen kann der Chor von musicAeterna leider nicht nach Hamburg kommen, daher musste das Programm geändert werden. Das in Sankt Petersburg ansässige multinationale Orchester musicAeterna wird für dieses Konzert durch in Europa ansässige ukrainische Musiker verstärkt. Bereits gekaufte Tickets behalten ihre Gültigkeit.“

    Ukrainer dürfen im Übrigen das Konzert umsonst besuchen (wie auch die weiteren hauseigenen Konzerte auch).

    Der Ankündigungstext der Elbphilharmonie für die Konzerte der Münchner Philharmoniker (Gatti statt Gergiev, 5. Schostakowitsch statt 7.) wurde zwischenzeitlich auch mehrfach geändert – man muss schon anerkennen, dass da um politische Korrektheit und gesellschaftlichen Konsens bemüht wurde (auch wenn man dahinter wie bei Netrebko Wirtschaftlichkeitsdenken vermuten könnte).

    Aktueller Text:
    „Wie kein anderes Werk Schostakowitschs ist seine Fünfte Sinfonie zum Symbol für die Unterdrückung der Kunst durch mörderische Diktaturen geworden: Aus nackter Überlebensangst sah sich der Komponist 1937 gezwungen, seine Musik den Forderungen des stalinistischen Regimes zu unterwerfen. Widerstand leistete er im Verborgenen – zwischen den Zeilen seiner rätselhaften Musik, in der Jubel und Groteske nach beieinander liegen.“

  1. 20. April 2022

    […] des SWR, Teodor Currentzis. Interessant auch die Social-Media-Aktivitäten von musicAeterna, wie Alexander Strauch sie recherchiert hat. Die Wiener Kulturpolitik hat sich anders positioniert – es wird schwer, irgendwann zu sagen […]