„Elitenverschwörung“

Jared Harris als Hari Seldon, "Foundation" (Apple)

Tagebuch der Wörter (14)

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„Elitenverschwörung“

Jared Harris als Hari Seldon, „Foundation“ (Apple)

Wie gestern festgestellt, scheint mir einer der Hauptgründe für das unfreie Gefühl vieler Menschen in der vermehrten kommunikativen Interaktion untereinander zu liegen. Nun möchte ich einen Schritt weitergehen und untersuchen, ob es nicht vielleicht doch Elemente der Manipulation von außen gibt.

Wollen uns „die Eliten“ kontrollieren? Wollen sie uns mittels angeblich gesteuerter „Mainstream-Medien“ dumm und gefügig halten? Allein schon die Logik und Empirik lässt ein solches Gedankenkonstrukt schnell in sich zusammenfallen. Der Begriff „Die Eliten“ ist nichts anderes als ein künstliches Hasskonstrukt wie „die Juden“ oder „die Hexen“. Die Vorstellung einer weltweit vernetzten Kabale, die seit über hundert Jahren (oder tausenden?) einen gemeinsamen und vollkommen sinnfreien Plan verfolgt, der erst in einer weit entfernten Zukunft Realität wird, diesen Plan dann auch noch perfekt geheim hält, sich dabei immer völlig untereinander einig ist und alle Anweisungen intakt an die Nachkommen weitergibt, ohne dass diese jemals den ganzen Quatsch hinterfragen, ist einfach absurd. Man muss sich nur die Geschichte irgendeines beliebigen Königshauses anschauen – solange es da um tatsächliche Macht ging, geht es drunter und drüber und alle bringen sich ständig gegenseitig um oder verraten sich, selbst wenn sie verwandt sind. Denn vorhandene Macht bedeutet sofort, dass um diese Macht bitterlich gerungen wird. Kein Plan einer „ewigen Dynastie“ mit stets exakt gleichbleibenden Werten und Ideen hat je dauerhaft Bestand gehabt, das kann man in allen Geschichtsbüchern nachlesen – zu groß ist der Druck des Wandels, der durch nachkommende Generationen entsteht. Falls die tatsächliche Macht nur noch repräsentativ ist, kann es in einem Königshaus friedlich zugehen, siehe Schweden z.B., aber sonst funktioniert das nicht. Wie könnte also diese geheimnisvolle „Elite“ fern von grundsätzlichen menschlichen Verhaltensmustern je etwas zustande bringen? Vielleicht kommt daher der Einfall mancher Spinner, sich diese inhärente Unlogik einfach mit der Existenz von Reptiloiden oder Außerirdischen weg zu erklären, aber das macht auch nicht mehr Sinn…

Eine perfide Massenmanipulation ist auch allein aus dem Grund nicht logisch, weil sie dem Grundgedanken der freien Marktwirtschaft widerspricht. Man wünscht sich als Kapitalist die Massen nicht unterdrückt, totgeimpft, geschunden und fügsam (und damit faul), sondern eher kaufkräftig, ehrgeizig und konsumhungrig. Die Konkurrenz von möglichst vielen ehrgeizigen Individualisten befeuert erst unser Wirtschaftssystem, sonst steigt keine einzige Aktie. Dass in einem kapitalistischen System Menschen arm und mittellos sind, ist tatsächlich kein direkter böser Wille irgendeiner „Elite“ oder irgendeiner „Macht“, sondern ein trauriger Kollateralschaden des eben nicht sehr perfekten kapitalistischen Systems… das aber durch die mögliche Binnendynamik – Arme können jederzeit reich und Reiche jederzeit arm werden – immer noch die bessere Alternative zu von oben regulierten Staatssystemen darstellt, vor allem wenn es die Idee eines Sozialstaates gibt, der die ärmeren Teile der Gesellschaft unterstützt und für größtmögliche Chancengleichheit sorgt. Nicht umsonst spenden die Reichsten dieser Welt sehr viel Geld für wohltätige Zwecke, wenn sie sich dieses Dilemmas bewusst sind: Ohne Arme gibt es keine Reiche, aber ohne Reiche eben auch keine Arme.

Eine angebliche „Elite“, die die Massen mit Freiheitsentzug knechtet und ihnen jegliche Möglichkeit zur Entfaltung nimmt, würde also genau das Fundament zerstören, das den Kapitalismus überhaupt erst ermöglicht, es wäre kein genial teuflischer „Plan“, sondern die eigene Abschaffung.

Wir leben eben nicht in einer kalkulierten Welt, in der hinter allem eine finstere Agenda steht, sondern in einer unglaublich wilden Gemengelage aus unterschiedlichsten und miteinander konkurrierenden Ideen und Interessen, in denen sich immer wieder mal bahnbrechende neue Konzepte wie zum Beispiel Demokratie oder Säkularismus durchsetzen und in der eher der Zufall regiert. Für viele Menschen ist dieses Chaos etwas, das sie komplett überfordert. Daher reden sie sich ein, dass schrecklichen Dingen wie den Anschlägen vom 11. September oder der Ermordung von geliebten Staatsoberhäuptern wie Kennedy perfekt kalkulierte Verschwörungen zugrunde liegen, die wie Uhrwerke funktionieren und klar umrissene „Böse“ und „Gute“ kennen, wogegen die Wirklichkeit eben genau das Chaos des Lebens ist, das nicht immer mit einfachen Antworten auf schwarz und weiß heruntergebrochen werden kann. Für jeden scheinbar „perfekten“ Anschlag gibt es nämlich hunderte, die komplett in die Hose gehen und über die niemand redet. Es ist reine Statistik, wenn etwas mal spektakulär gelingt, keineswegs eine „neue Weltordnung“.

Auch beim Formen von neuen Ideen oder „Agenden“ geht ständig etwas schief – die Idee von Umweltschutz gibt es zum Beispiel schon lange, aber sie hatte nicht früh genug Durchsetzungskraft, um den Klimawandel schon im Vorfeld zu verhindern. „Grüne“ politische Ideen waren leider erst dann erfolgreich, als es schon verseuchte Flüsse und auslaufende Chemiefabriken zur Genüge gab.

„Murphy’s Law“ ist ein wesentlich realistischerer Erklärungsansatz für Ereignisse wie zum Beispiel Tschernobyl oder die Corona-Pandemie. Wenn etwas schief gehen kann, wird es irgendwann einmal auch schief gehen, egal wie viel Pläne man macht.  Eben weil es keinen dauerhaft durchsetzungsfähigen „Gesamtplan“ gibt, wie es in der Science Fiction immer wieder mal aus Spaß spekuliert wird. Aber das ist tatsächlich „Fantasy“.

Gene planen auch nicht – sie sind so angelegt, dass sich immer wieder neue und verrückte Kombinationen bilden können, damit eine größtmögliche Vielfalt gewährleistet ist. Die Natur kennt viele Misserfolge, aber sie braucht die Misserfolge genau wie die Erfolge als Teil eines riesigen Experimentierfeldes, mit dem das Überleben gesichert werden kann. Eine Mutation macht momentan keinen Sinn? Sie wird dennoch kopiert und weitergegeben, weil sie irgendwann eben vielleicht doch Sinn machen kann, zum Beispiel wenn sich das Biotop unvorhergesehen verändert. Genauso ist es mit den vielen Ideen der Menschheitsgeschichte, die immer wieder aus der Versenkung auftauchen und manchmal mehr und manchmal weniger Sinn ergeben.

Der Glaube an Verschwörungen ist daher zu vergleichen mit der Gottsuche, ist vielleicht sogar eine Art Religion unserer Zeit. Vielleicht ist es auch ein Gen, das manche von uns dazu treibt, selbst im größten Chaos einen geheimen Sinn zu erspähen, selbst wenn dieser „Sinn“ bedeutet, dass alles im Geheimen einem bösen Plan folgt. Denn das scheint immer noch leichter zu ertragen als die unendliche Fülle von Möglichkeiten, die das Leben bereithält.

Dabei sollte uns gerade diese Fülle ermutigen.

München 14.9.2021

Gott sei gedankt für meine Freundin Resi Streng, die erfahrene Physiotherapeutin ist! Nach einer schmerztreibenden Session heute hat sich mein Zustand entscheidend verbessert, auch wenn es noch ein paar Tage brauchen wird, bis ich keinen Schmerz mehr spüre. Mein leicht gerundeter und krummer Rücken ist das Problem. Kommt sicherlich vom vielen Klavierspielen, Sitzen und Komponieren.

Heute habe ich auch wieder intensiv an dem Libretto meiner neuen Oper gearbeitet. Es ist gut, seine Eitelkeit zu überwinden, und auf Ratschläge eines erfahrenen Dramaturgen (in diesem Fall Peter te Nuyl) zu hören, selbst wenn es zusätzliche Arbeit bedeutet. Überhaupt muss man immer wieder lernen, sich einzugestehen, wenn jemand anders Recht hat. Argumente sollten nie aus rein emotionalen Gründen abgelehnt werden, es lohnt sich, sie erst einmal zu begutachten.

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Eine Antwort

  1. 14. September 2021

    […] „Die Vorstellung einer weltweit vernetzten Kabale, die seit über hundert Jahren (oder tausenden?) einen gemeinsamen und vollkommen sinnfreien Plan verfolgt… ist einfach absurd.“ https://blogs.nmz.de/badblog/2021/09/14/elitenverschwoerung/ […]