Schüler fragen nach U und E

Wieder einmal habe ich Schülerfragen beantwortet, diesmal zum Thema U- und E-Musik. Schon bei der GEMA ruft diese Frage immer wieder neues Grübeln hervor, da viele Komponistinnen und Komponisten es als ehrenrührig oder ungerecht empfinden, wenn ihre Werke als U anstatt E eingestuft werden. Man beschwert sich dann beim sogenannten „Werkausschuss“. Und noch schwieriger ist es, diesen Unterschied jungen Menschen zu erklären, die einfach nur die Musik hören, die sie interessiert. Wie zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler, die mir diese Fragen gestellt haben.

Dass Musik kategorisiert wird, hat vor allem damit zu tun, unter welchen Umständen sie erklingt und unter welchen Umständen sie erzeugt wird. Dass die Grenzen fließend bleiben und auch fließend bleiben müssen und die Antworten nicht notwendigerweise immer gleich ausfallen (bei derselben Musik), habe ich in meinen folgenden kurzen Antworten versucht zu erklären:

  1. Darf E-Musik, welche ja eher als „ernstzunehmende Musik“ definiert wird trotzdem unterhaltsam sein? Ich frage hier vor allem im Bezug zu ihrem Werk, der „One-Man-Band“, da ich persönlich das Spielen mit Kinn oder Gesäß schon als unterhaltsam bezeichnen würde.

Der Begriff „Ernste Musik“ ist ein (schlechter) Hilfsbegriff um bestimmte Arten von Musiken zu beschreiben. Natürlich gibt es unterhaltsame E-Musik und sogar auch „ernste“ U-Musik. Die Filmmusik eines Horrorfilms will zum Beispiel ganz sicherlich nicht „unterhaltsam sein“, sondern das Gefühl einer Bedrohung vermitteln, und Mozart oder Haydn hätten sich sehr gewundert, wenn man ihre Musik als „nicht unterhaltsam“ bezeichnet hätte, sie wären beleidigt gewesen. Selbstverständlich kann also E-Musik „unterhalten“.

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 2. Sie komponieren Werke, welche der E-Musik zugeordnet werden. Würden sie sich selbst auch eindeutig als Komponist der       E-Musik bezeichnen? Schließt eine eindeutige Zuordnung für sie aus, sich auch Elementen der U-Musik bedienen zu dürfen?

Für mich zählen beim Komponieren überhaupt keine Kategorien – mich interessiert das nicht im Geringsten. Ich denke keine einzige Sekunde darüber nach, wie man die Musik, die ich schreibe, einordnen soll. Mich interessiert Kunstmusik, weil ich darin komplett frei bin. Würde ich Gebrauchsmusik schreiben (also zum Beispiel Musik für einen Werbefilm oder Hintergrundmusik für einen Supermarkt) wäre ich das nicht, dann müsste ich ein „Produkt“ abliefern. Das fände ich nicht interessant.

  1. Worin sehen sie generell die Problematik der Zuordnung in E- und U-Musik? Ist „Neue Musik“ ein passenderer Begriff für die Musik, welche sie komponieren?

Jede Musik, die heute geschrieben wird, ist zuerst einmal „neu“. Sowohl ein Popsong als auch ein Streichquartett können daher als „neue Musik“ bezeichnet werden. „Neue Musik“ mit großem „N“ ist ein Begriff, der sich in der Adorno-Nachfolge für eine bestimmte Ausprägung der Avantgarde etabliert hat, mit der sich die meisten heutigen „E“-Komponisten (auch ich) nicht mehr identifizieren, deswegen wird dieser Begriff von den meisten abgelehnt, und man spricht vielleicht eher von „zeitgenössischer Musik“ oder auf Englisch „art music“. Ich bevorzuge den Begriff „Musik“, weil ich keinen Sinn darin sehe, irgendwelche Kategorien zu verwenden, außer wenn Musik eindeutig einem „Genre“ verhaftet ist, also zum Beispiel Hiphop oder Schlager. Da ich kein Genrekomponist bin, mache ich eben einfach „Musik“.

Ob etwas „U“ oder „E“ ist, erweist sich erst im Nachhinein. Vielleicht kann man es am ehesten so beschreiben: was immer wieder angehört werden kann und bei dem man immer wieder Neues entdeckt, ist höchstwahrscheinlich „E“. Man kann das vielleicht mit „Nachhaltigkeit“ beschreiben, es „bleibt“ etwas, das zukünftige Generationen weiter beschäftigen wird, sowie es auch bestimmte philosophische Gedanken oder ein Rätsel der Naturwissenschaft tun. Die Musik von Bach z.B. bringt uns heute immer noch zum Staunen und kann uns immer noch rühren, obwohl der Stil der Musik nicht mehr der unserer Zeit ist. Das, was wir als „Klassische Musik“ bezeichnen, hat sich über Jahrhunderte bewahrt, weil Menschen daran immer wieder interessantes entdeckt haben, weil es vielleicht eine Tiefe oder Raffinesse hat, die es vom „Normalen“ abhebt.

Die Chance, dass man dagegen durchschnittliche Mainstream-Popmusik von heute in 100 Jahren noch interessant findet, geht dagegen gen Null, einfach weil sie sehr zeitverhaftet, glatt und gewöhnlich ist – sie entspricht exakt dem, was man heute von Unterhaltungsmusik erwartet, hat keinerlei Anspruch, mehr zu sein, ist einfach ein Verkaufsprodukt ohne besondere Originalität. Solche Musik wird sehr schnell uninteressant, kann aber im Moment Wirkung entfalten, und das ist auch völlig ok. Welche Musik später diese „Nachhaltigkeit“ erreichen wird, kann man nicht immer sofort erraten – das 08/15-Streichquartett eines heutigen zeitgenössischen Komponisten mag zwar raffiniert und anspruchsvoll sein, kann aber in nur einem Jahr schon wieder komplett vergessen sein, vielleicht zu Unrecht, vielleicht nicht. Auch „E“-Musik kann sehr uninspiriert und uninteressant sein, dagegen gibt es selbstverständlich „Unterhaltungsmusik“, die große Nachhaltigkeit hat, bestimmte Lieder, die man vielleicht immer wieder hören will, so wie man heute auch noch „Greensleeves“ aus dem Jahre 1580 immer noch kennt und singt. „Greensleeves“ kann man inzwischen als „E-Musik“ bezeichnen und es wird in klassischen Konzerten gesungen, damals aber war es einfach nur eine populäre Ballade.

  1. Was wollen sie mit ihrer Musik bei der Zuhörerschaft erreichen?

Dass sie gemeinsam mit mir über die unendlichen Möglichkeiten des musikalischen Ausdrucks staunen. Ich sehe mich da als eine Art Reiseführer.

  1. Gerade in diesen Zeiten stelle ich mir die Arbeit als Komponist sehr schwierig vor- so ganz ohne Konzerte und Veranstaltungen. Glauben sie, dass gerade die E-Musik ein Verlierer dieser Corona-Pandemie ist? Welche Möglichkeiten gibt es ihrer Meinung nach auch in Zeiten der Krise die Musik an die Menschen zu bringen. Glauben sie, dass sich die Musik und das Konzertleben nach der Pandemie verändert haben werden?

Da die sogenannte „E“-Musik grundsätzlich nicht so kommerziell aufgestellt ist, ist sie zwar wie alle Kunst im Moment von der Coronakrise betroffen, aber nicht so wie zum Beispiel Popmusik oder kommerzielle klassische Musik, die ja definitiv von Konzerteinnahmen abhängig sind. Aber „E“-Musik profitiert natürlich von einem „gesunden“ Umfeld, in dem Orchester Konzerte spielen können oder Opernhäuser offen haben. Komponisten sind erst einmal weniger betroffen, da das Erfinden von Musik ja erst einmal getrennt von der Aufführung ist – niemand hindert mich ja im Moment daran, mir die verrückteste Musik auszudenken. Es ist aber eher ein Motivationsproblem: wenn keine Aufführungen stattfinden, fehlt das Feedback eines Publikums und auch der Anreiz, etwas zu Papier zu bringen. Wie sich das anfühlt, habe ich hier beschrieben: https://blogs.nmz.de/badblog/2020/09/25/mein-schweigen/

(Moritz Eggert, Fragen von Schüler*innen)

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Eine Antwort

  1. Walter Sorger sagt:

    Du wehrst Dich so vehement gegen „Gebrauchsmusik“. Ist das etwas „Unantständiges“? War Dein – phantastisches – „Fußballbalett“ nicht auch eine Art „Gebrauchsmusik“, für einen ganz bestimmen Einsatzzweck in Auftrag gegeben?