Schweigen ist keine Option

Vor einiger Zeit veröffentlichte ich hier im Blog einen Artikel mit dem Titel „Für ein Ende des Schweigens“. Auf diesen Artikel bezieht sich nun im folgenden Text eine Person, die von der Thematik direkt betroffen ist: Maria Collien, eine der Nebenklägerinnen im Fall Siegfried Mauser.

Bis heute gab es keinen einzigen Gesprächsversuch der Münchener Musikhochschule mit Frau Collien oder anderen Betroffenen im Fall Mauser und Bose. Das erstaunt vor allem bei Präsident Bernd Redmann, sitzt er doch jeden Tag genau in dem Raum, in dem nicht nur Maria Collien Unsägliches zu erdulden hatte (was sie in stundenlangen Protokollen vor der Polizei und vor Gericht immer wieder aufs Neue detailliert erzählen musste). Das berüchtigte „Mauser-Sofa“ steht dort nicht mehr, der Hochschule ist es auch sehr wichtig zu betonen, dass man stattdessen inzwischen an einem Tisch sitzt und Herr Redmann seine Gäste nicht mehr auf einem Sofa empfängt. Anscheinend reicht das für die Vergangenheitsbewältigung. Dass man mit den Betroffenen redet, wird  dagegen nicht als wichtig empfunden. Der Tisch ist wichtiger als Empathie.

Was für ein quälender Vorgang die Vergangenheits- oder vielmehr Traumabewältigung für Maria Collien gewesen sein muss, kann man in den folgenden Zeilen spüren. Doch ihre Botschaft ist nicht, sich dem zu entziehen. Denn es droht nach wie vor, dass die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen von genau der offen zur Schau getragenen Gleichgültigkeit verhindert werden, die Maria Collien hier leidenschaftlich anprangert. Eine Änderung ist nur in Sicht, wenn die Institutionen nicht nur vorgeben, etwas ändern zu wollen, sondern wenn sie sich authentisch mit dem Schicksal von Betroffenen auseinandersetzen. Dies ist in München nach wie vor nicht geschehen.

Ein ausführliches Interview mit Maria Collien hat das „Harfenduo“ hier veröffentlicht.

 

Schweigen ist keine Option

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Gastbeitrag von Maria Collien

 

Veränderung braucht Mut, also muss die Devise ab jetzt heißen: „Schweigen gilt nicht, Reden ist Gold“

Mit Silber wäre eine Wertschätzung gemeint aber in diesem Fall geht es ums Ganze, also um Gold und das bedeutet: Betroffene dürfen nicht mehr schweigen, sondern sollten aufstehen und endlich REDEN.

Berechtigterweise wird in der Presse und von vielen anderen Gutmeinenden häufig gefordert, Betroffene von sexuellem Missbrauch sollten den Mund aufmachen (und möglichst natürlich auch Anklage erheben), damit der Druck so groß wird, dass die Presse, Gesellschaft, Politik und Justiz angemessen darauf reagieren kann.

Aber warum ist das so schwer? Wer sind diese Betroffenen, oft auch „Opfer“ genannt? Ein schreckliches Wort, weil es in eine ohnmächtige Opferrolle drängt, der zu entkommen kaum möglich scheint. Das entspricht leider auch oft der Wahrheit: man hat etwas Schreckliches erlebt. Doch das ist nur eine Hälfte der Geschichte, die es endlich laut zu Ende zu schreiben gilt. Deshalb ist es wichtig, diese zunächst als Schwäche zu deutende und auch mit Scham behaftete Terminologie „Opfer“ zu vermeiden. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern ist das etwas anderes. In unserem Fall (meist Künstlerszene) dreht es sich hauptsächlich um mündige, erwachsene Frauen als auch in selteneren Fällen Männer. Darum plädiere ich, den Begriff BETROFFENE zu verwenden, denn als betroffen Beteiligte/r ist man nicht schutzlos ausgeliefert, sondern eben auf Augenhöhe, und das fordert eine Aktion heraus: sich zur Wehr zu setzen und nicht als Opferlamm die Kapitulation zu akzeptieren. Es kostet zwar Kraft aber es befreit einen auch aus dem Ohnmachtsgefühl, das man sonst lebenslänglich mit sich herumträgt. Und darum geht es doch eigentlich, wenn man etwas verändern möchte.

#Metoo war und ist wichtig, Dadurch wurde die Thematik unter das Brennglas genommen. Um der Brisanz aber das nötige Gewicht zu verleihen ist es entscheidend, dass genügend Berichte über das Ausmaß dieser degradierenden Missbrauchsfälle ans Licht kommen. Wenn es uns also ernst ist, braucht es Fakten, und die können nur Betroffene zur Sprache bringen. Immer wieder werden erschreckende anonyme Statistiken von sexuellen Übergriffen genannt, es fehlen jedoch die konkreten Tatbestände. Solange stets indirekt und vage Beschuldigungen gemacht werden, müssen wir uns nicht über das übliche Bagatellisieren der Täter und ihrer Verfechter beklagen. Dann werden uns weiterhin die Stimmen übertönen „die Frauen sollen sich nicht so aufregen, es sind doch nur nett gemeinte Kavaliersdelikte“.

Ich selbst bin als Nebenklägerin involviert in den Fall Siegfried Mauser.

Aus dieser Überzeugung, als Betroffene den Mund aufmachen zu müssen, habe ich mich durchgerungen meine Geschichte öffentlich zu machen, d.h. vor Gericht. Ich war absolut nicht von Rachegedanken geleitet, sondern fühlte mich ausschließlich der Gerechtigkeit und Wahrheit verpflichtet, sonst hätte ich viel eher reagiert. Als sich meine Vorkommnisse (2007, 2009) zugetragen hatten, dachte ich nur über ein Disziplinarverfahren gegen den Täter nach, da es zu dieser Zeit so gut wie aussichtslos schien als einzelne Frau vor Gericht mit einer Klage gegen sexuellen Missbrauch Erfolg bekommen zu können, da sich so etwas ja umstandsbedingt unter vier Augen zuträgt. Nach reiflicher Überlegung, aus diversen Gründen und negativen Erfahrungen habe ich die Angelegenheit dann fallen lassen.

Als ich aber 2016 zufällig hörte, dass zwei Frauen genau dasselbe mit Siegfried Mauser widerfahren war und sie den Mut hatten ihn juristisch zur Rechenschaft zu ziehen, war mir sofort klar, dass ich keine Berechtigung mehr hatte, weiterhin zu schweigen, und ihnen unbedingt zur Seite springen musste. Ich meldete mich als Zeugin, um in deren Prozess auszusagen und schneller als gedacht wurde ich auch schon in einen eigenen Prozess dadurch verstrickt. Das war mitnichten ein Spaziergang.

Es gibt tatsächlich nur eine Möglichkeit: wir müssen solidarisch werden. Und zwar nicht nur in Worten oder gar nur in Gedanken, sondern in Aktion, denn nur wenn viele den Mut haben auszusagen, wird der Stein ins Rollen kommen und andere auch bestärken zu reden. Ich bin überzeugt, dass wenn alle, die etwas wissen (ob nun als direkt Betroffene oder auch nur als MitwisserInnen) sprechen würden, etwas zu bewegen wäre. Diese Hoffnung wurde allerdings in meinem Fall noch nicht sehr befriedigend erfüllt. Wir haben zwar viel erreicht – immerhin kam es zur ersten Verurteilung eines Sexualstraftäters der Kunst- und Kulturszene in Deutschland.

Das sieht auf den ersten Blick nach Gerechtigkeit aus, allein mit der Umsetzung der Strafe bis zur Erfüllung des Strafvollzugs scheint es unser Staat dann doch nicht so wirklich ernst zu nehmen. Es reicht im Fall Mauser offensichtlich aus, politisch oder gesellschaftlich gut vernetzt zu sein, um der Strafe zu entkommen. Das Urteil gegen Siegfried Mauser wurde vor ca. zwei Jahren rechtskräftig bestätigt durch den Bundesgerichtshof, doch bis heute läuft der Sexualstraftäter ganz offiziell frei herum und genießt demonstrativ sogar auf den sozialen Plattformen seinen Sonderstatus.

Ähnliche Gedanken kommen einem in den Sinn in Bezug auf den kürzlich abgehaltenen Prozess gegen Prof. Hans Jürgen von Bose.

Ich allein könnte viele MitwisserInnen sowie Betroffene beim Namen nennen, die sich wegducken, mir aber zeitgleich Komplimente für meinen Mut und mein Engagement machen.

Sehr ernüchternd, um nicht zu sagen zynisch.

Nein, es ist nicht in Ordnung, dass 2021 immer noch eine misogyne Haltung in der Gesellschaft vorherrscht, welche uns nach wie vor zwingt, um das Recht für gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben streiten zu müssen.

Ich verstehe die berechtigte Vorsicht, Betroffene in die Pflicht zu nehmen bzw. womöglich gar als „Mitschuldige“ zu betiteln, wenn sie eben nicht die Kraft haben ihre Geschichte publik zu machen. (und ich weiß, wovon ich spreche!)

Aber auf der anderen Seite bin ich der Überzeugung, dass wir nur etwas ändern können, wenn wir uns gegenseitig ermutigen und durch eine Flut der öffentlich gewordenen Geschehnisse laut werden, um so die Gesellschaft zu zwingen, hinzuschauen und zu agieren.

Das scheint mir der einzige Weg zu sein, auch wenn der Einsatz sicherlich viel abverlangt. Es dürfen keine Einzelfälle bleiben, die ans Tageslicht kommen. Nur aufgrund des Bewusstseins über die Alltäglichkeit, mit der Frauen immer noch derartig erniedrigender Missachtung ausgesetzt sind, kann und wird Veränderung folgen. Wir müssen den Tätern das Handwerk legen, und zwar jetzt! Die Zeit ist reif, wenn nicht schon längst überfällig. Sicherlich gibt es auch viele Männer, die diese Art Missbrauch erlebt haben, fühlt euch gerne aufgefordert euch uns anzuschließen!

Wir MÜSSEN solidarisch werden, aber nicht nur in Worten, sondern in Aktion!

Nehmt alle euren Mut zusammen. Es gibt inzwischen schon viele Initiativen, die mit Rat und Tat unterstützen (Themis, Das Harfenduo, Art but Fair …  selbst das Bundesministerium unterstützt inzwischen solche Organisationen)

Geben wir den Tätern und unterstützenden Leugnern und Lügnern weiterhin die Chance, werden sie weitermachen und unsere bisherigen Bemühungen wären umsonst gewesen.

Mein inniger Appell: Den Mut zu haben ist zwar nicht leicht, aber man kann dann wieder guten Gewissens in den Spiegel schauen. Es ist sehr erleichternd und bestärkend, etwas gegen dieses himmelschreiende Unrecht beigetragen zu haben.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt!

 

„Es muss ein Ende haben!

Wieviel muss eigentlich noch ans Tageslicht kommen, damit die, die sich wehren und unter großem Risiko nahezu ungeschützt bereit sind, kostbare Lebenszeit und Kraft einzusetzen, nicht auch noch der Verleumdung und dergleichen bezichtigt werden?

Meine Wut darüber, sich ausgeliefert und nahezu schutzlos zu sehen ist fast nicht zu zügeln!“

Notiz, Mai 2018

 

Maria Collien

 

PS: Erst kürzlich hat sich dankenswerter Weise auch Regula Mühlemann zu diesem Thema zu Wort gemeldet.

https://www.bazonline.ch/es-gibt-jene-die-einfach-in-die-garderobe-platzen-628968647475

 

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#MeToo und Oper: Kommentar – Die Grauzone wird endlich …

 

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3 Antworten

  1. Laura Oetzel sagt:

    Liebe Maria,
    Gratulation zu diesem flammenden Appell! Ich kenne Deine Geschichte und Deinen Mut inzwischen gut, dennoch bin ich immer wieder tief beeindruckt. Mögest Du viele andere Betroffene inspirieren!
    Herzliche Grüße,
    Laura Oetzel

  2. Liebe Maria,
    mal wieder wahre Worte. Wir würden uns so sehr wünschen, dass sich mehr Betroffene melden und öffentlich äußern. Daran werden wir weiterhin arbeiten! Du hast unsere volle Unterstützung und unseren tiefsten Respekt für den Weg, den Du gegangen bist und immer noch gehst. Es ist ein Skandal, dass Siegfried Mauser immer noch nicht seine Haftstrafe angetreten hat, aber es ist ein genauso großer Skandal, dass es die Leute kaum noch zu kümmern scheint. Uns ist es nicht egal!
    Liebe Grüße und alles Gute
    Daniel

  3. Zu mir sagte Mauser vor seiner und meiner Frau vor 25 Jahren einmal, dass ich ja wohl auch auf „Vollweiber“ stünde, aber doch offensichtlich eher auf „intellektuelle Vollweiber“ – mit Blick auf meine Frau Birgit -. Das fand seine Frau irre komisch. Das war so das akademische Beipackniveau. In dem Moment im Münchner Wirtshaus. Ich lachte, lächelte, um nichts „unnötig“ eskalieren zu lassen. Wollte ja auch schnell wieder heim. Nach Berlin. Weg von der Spezle-lei… – damals 1996, als noch junger Freischaffender…