Gute Filme mit guter Filmmusik. Heute: „Us“ (Jordan Peele, Musik: Michael Abels)

Gerne schimpfe ich ja auf den heutigen künstlerischen Stand der einst spannenden Gattung Filmmusik. Aus einer Mischung von Gründen – kommerzielle Zwänge, überängstliche Produzenten und Redakteure, zunehmende Dominanz von hohlem „Sound Design“ – ist der Großteil der Mainstream-Produktionen inzwischen schon fast von einer fast infernalischen musikalischen Erbärmlichkeit. Wo man früher über ambitionierte Filmmusiken von Größen wie Bernhard Herrmann, Jerry Goldsmith, Nino Rota und Ennio Morricone wohlfeil staunen konnten, und es selbst im kommerziellen Mainstream möglich war, künstlerisch anspruchsvolle und erstaunliche Filme zu machen (man erinnere sich an Meisterwerke wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Vertigo“ oder „Der Exorzist“), regiert heute eher der hunderttausendste Franchise-Aufguss bewährter Filmkonzepte. Irgendwann mal waren Star Wars und Co ja mal was Besonders und Gutes, aber heute hat man immer mehr das Gefühl, das zu viel des Guten auch wirklich zu viel ist.

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Aber ich will nicht nur jammern, es gibt nämlich immer wieder erfreuliche Ausnahmen. Der Erfolg des umstrittenen, aber dadurch eben auch interessanten „Joker“ – Films zeigt, dass man durchaus massentaugliche Themen auf künstlerisch anspruchsvolle, ja, auch „schwierige“ Weise präsentieren kann, ohne dass die Besucherzahlen deswegen gleich sinken müssen. Früher hat sich ja auch niemand über den gewagten und experimentellen Anfang eines Films wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ aufgeregt, sondern dies als entscheidenden Teil eines durchweg aufregenden Films wahrgenommen und damit auch gerne goutiert.

Dass es im sowohl im Indie-als auch kommerziellen Bereich auch heute großartige Filmmusiken gibt, ist unbestritten. Wir leben nicht einer Zeit mangelnden Talents, sondern in einer Zeit des mangelnden Vertrauens in das Talent an sich, das müssen wir uns immer wieder bewusst machen.

Heute möchte ich auf den Film „Us“ (Deutsch: „Wir“) von Jordan Peele hinweisen, der vor kurzem in den Kinos lief. Peele hat schon mit seinem Regieerstling „Get Out“ viel Aufmerksamkeit bekommen, auch dies schon ein richtig guter Film, der die Genres Gesellschaftssatire und Horrorfilm erfolgreich vermählte.

Peele ist – ähnlich wie der ebenso geniale Charlie Brooker, Schöpfer der „Black Mirror“-Episodenfilme – ein Regieautor, der fest in der großen angloamerikanischen „unheimlichen“ Erzähltradition steht. Diese ist in den USA und in Großbritannien spätestens seit den 60er Jahren auch stark mit gesellschaftskritischen Ansätzen verknüpft, was Rod Serling, dem Schöpfer der „Twilight Zone“ – Serie (die in Deutschland leider wenig bekannt ist, in den USA aber quasi schon zum Kulturerbe gehört) zu verdanken ist. Es überrascht daher nicht, dass Peele gerade in diesem Moment in Serlings Fußstapfen tritt als Präsentator einer Neuauflage der „Twilight Zone“. In Deutschland hatten wir dagegen im selben Genre den ebenso wunderbaren Rainer Erler, an den sich heute kaum noch jemand erinnert, und der sein Potential im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahrscheinlich nicht wirklich realisieren konnte. Schade drum.

Aber zurück zum absolut empfehlenswerten „Us“ : Der Film ist ebenso wie eine gute „Twilight Zone“-Episode angelegt. Eine zuerst fast schon klassisch angelegte Geschichte über „böse“ Doppelgänger entwickelt sich durch fulminante Twists immer mehr in eine bitterböse Gesellschaftskritik, unterstützt von großartigen schauspielerischen Leistungen, einer eindeutig „Arthouse“-beeinflussten Regie, die immer wieder zu einer unkonventionellen aber durchweg überzeugenden Erzählweise findet, sowie einem großartigen Soundtrack von Michael Abels.

Abels ist ein Quereinsteiger im Genre Filmmusik – er genoss eine „klassische“ akademische Musikausbildung und hat bisher erst drei Filmmusiken gemacht. Wikipedia zufolge leitet er angeblich nach wie vor eine kleine private Musikschule in Santa Monica, was ihn irgendwie sehr sympathisch macht. „Us“ ist seine zweite Filmmusik für Jordan Peele (nach „Get Out“). Steven Spielberg persönlich empfahl anscheinend Peele, erneut mit Abels zusammenzuarbeiten, er sei sein „John Williams“.

Wunder des Internets: Die komplette Filmmusik ist tatsächlich (mit Ausnahme einiger lizensierter Tracks, siehe unten) hier zu finden:

Schon der „Main Title“ „Anthem“ ist ein auffälliger musikalischer Track: in einer Fantasiesprache singt ein Kinderchor in Orffscher Manier rhythmisch zerhackte Motive, dazu sind lauter Käfige mit weißen Kaninchen zu sehen (was diese bedeuten, wird später im Film erklärt). In den hauptsächlich orchestralen Tracks kombiniert Abels – der Idee der „Doppelgänger“ folgend – konventionelle klassische Instrumente (vor allem Streichorchester) mit Spiegelinstrumenten, vor allem in Kombination mit unkonventionellerem Schlagwerk (z.B. Kalimba) und osteuropäischen Instrumenten wie dem Cimbalom, was eine sehr interessante Klangwelt erzeugt. Es gibt Tracks, die auch bei einem Neue-Musik-Festival als eigenständige Kompositionen durchgingen (man höre zum Beispiel „Home Invasion“ bei 16:19). Eine Besonderheit ist auch die Verwendung des Hip-Hop-Klassikers „I got 5 on it“, das Abels variiert, indem er es musikalisch seziert und in Zeitlupe in seine Einzelteile zerlegt, auch hier unter Verwendung von Techniken, die eher aus der zeitgenössischen Musik stammen. Die durchgehend auskomponierte Musik ist daher extrem vielfältig und hört sich auch ohne Film spannend an (immer ein Qualitätszeichen für gute Filmmusik, das viel zu selten zutrifft). Der Film gibt der Musik Raum in seinen Höhepunkten, daher wird sie nicht – wie so oft – als reine „Atmosphäre“ wahrgenommen und gewinnt eine Eigenständigkeit, die im Gedächtnis bleibt.

Dass Jordan Peele auch ansonsten guten musikalischen Geschmack beweist, zeigt die Einbindung eines absoluten Soulklassikers von 1970 für die letzte Filmeinstellung –  „Les Fleurs“ von der mit 31 Jahren viel zu früh verstorbenen Minnie Riperton, aus dem legendären Album „Come to my Garden“.

(Wie selbstverständlich ungewöhnlich „Pop“-Musik zu dieser Zeit sein konnte, zeigt übrigens auch dieser großartige Song von Minnie, für dessen Stil einen heutige Musikproduzenten für verrückt erklären würden. Koloraturgesang und Soul geht nicht zusammen? Doch, geht.

Der ebenso unterhaltsame (Elisabeth Moss brilliert in einer trashigen Doppelrolle, die einer gewissen grand guignol – Komik nicht entbehrt) wie zutiefst verstörende Film „Us“ kostete 20 Millionen Dollar und spielte bisher 255 Millionen Dollar ein.

Es ist nicht bekannt, dass sich auch nur ein einziger Kinobesucher über „zu anpruchsvolle“ Musik beschwerte.

Schaut ihn euch an!

Moritz Eggert

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