Teil 5 _ Cough City New Music Festival

12. Juli / uncle martha’s death

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Morgens ist eine einstündige Masterclass der Perkussionisten für die Komponisten. Sie machen das sehr gut. 

Dann ist mein „dress rehearsal“. Ich soll „nice clothes“ anziehen, weil offizielle Fotos gemacht werden. Leider habe ich mein Bärenkostüm in Deutschland vergessen.

Der Dirigent sagt vorher, dass mein Stück (namens „uncle martha’s attempt to be nice“) mittlerweile gut läuft. 

Leider stelle ich fest, dass sich seit der ersten Probe fast nichts geändert hat.

Flöte und Klavier spielen nach wie vor sehr gut. Der Trompeter verspielt sich wieder an der Stelle, über die er mit mir diskutieren wollte. Es ist wieder schwierig, ihm das zu sagen, weil er sich verteidigt. Aber letztendlich funktioniert es. Ich glaube, er bemüht sich sehr, netter zu sein. Darüber freue ich mich. 

Ob ich nett bin, weiß ich nicht. Ich bemühe mich auch. Aber ich bekomme immer zu hören, dass ich so oder so unfreundlich aussehe. Auch die Komponisten hier haben mir bereits gesagt, dass ich dermaßen verachtungsvoll gucke, dass sie es anfangs für klüger hielten, nicht mit mir zu reden. Es ist meine Physiognomie. Sie nennen es „resting bitch face“. Ich kann es nicht ändern. Außerdem haben alle Leute mit hellen Augen einen stechenden Blick. Es ist wirklich ärgerlich, dass ich das Bärenkostüm nicht dabei habe. Bären sehen immer freundlich aus.

Die Marimbas tun wieder nicht, was sie sollen und machen die Bemühungen von Flöte, Klavier, Trompete und Vibraphon kaputt. Mein Stück klingt dadurch chaotisch und willkürlich – aber das ist es nicht. Ich hasse Willkür. 

Leider beachtet auch niemand meine Dynamik. Die ist wirklich extrem, aber was ich höre, ist ein Mezzoforte von Anfang bis Ende. Ich bitte sie, im nächsten Durchlauf meine Dynamik zu übertreiben. Wieder ist alles mezzoforte. Dann ist keine Zeit mehr, das „dress rehearsal“ ist vorbei. Hauptsache, die Fotos sind schön geworden! 

Sie werden uncle martha im Konzert hinrichten. Diesmal ist es mir egal. Die letzte Hinrichtung eines Stücks von mir tat noch sehr weh, jetzt kann ich damit leben. Ich war bis dahin wohl sehr verwöhnt. 

Zum Beispiel, weil Mitglieder des Sharoun Ensembles eines meiner vor allem in rhythmischer Hinsicht anspruchsvollen Stücke perfekt vom Blatt gespielt und traumhaft aufgeführt haben. Das war ganz am Anfang meines Studiums und hat mich glauben lassen, dass es okay ist, weiterhin so zu schreiben.

Natürlich habe ich davor auch schlechte Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel mit einem Stück, in dem Marimba vorkam. Ich wurde vom Marimbisten, der es zuerst aufführte, belehrt, es sei unspielbar. So klang es dann auch im Konzert. Aber ein halbes Jahr später kam Sabrina Ma, die es mit einem Lächeln vom Blatt spielen konnte, weit über Tempo. Ich bin so dankbar, dass es Leute wie sie gibt. Ansonsten würde ich ab jetzt nur noch elektronische Musik schreiben. Ohne Menschen! 

Ich führe meine Stücke auch selber auf. Ich kann nicht gut vom Blatt spielen, auch meine eigene Musik nicht, also muss ich üben. Der Trick ist, drei Wochen vor dem Konzert anzufangen. Dann muss ich täglich nicht einmal eine Stunde investieren. Ich spiele sicher auch nicht schlecht, aber vor allem gebe ich meinem Gehirn die Zeit, die Stücke wirklich zu lernen. Ich habe auch schon zwei Tage vorher angefangen. Da übt man dann von morgens bis abends, hat Schmerzen und bekommt schlechte Laune. Ich mag das nicht.

Die Musiker hier haben ein sehr gutes Niveau. Aber wann hätten sie mein Stück üben sollen? Sie müssen hier innerhalb von einer Woche 19 Stücke erarbeiten und uraufführen. Das ist wahnsinnig.

Es kommt für mich nicht infrage, mich dem Zeitmangel oder der Mittelmäßigkeit von Musikern anzupassen und Stücke zu schreiben, die für alle vom Blatt spielbar sind. Das wäre der Anfang vom Ende. 

Ich weiß, dass irgendein längst totgespielter Mozart natürlich jahrelang geübt wird (um ihn dann doch schlechter als viele andere aufzuführen), aber für meine Musik „leider keine Zeit“ ist. So ist es eben, ich bin jung und unwichtig. Aber ich werde meine Musik nicht anpassen. 

Beim Konzert am Abend spielen sie in etwa wie bei der Generalprobe. Der Trompeter spielt „die Stelle“ diesmal richtig. Nachher gratulieren mir manche, vermutlich aus Höflichkeit. Ich bedanke mich, aber merke an, dass es nicht mein Stück war, was sie gehört haben. Ich bin froh, dass auch heute kaum jemand zugehört hat. 

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