Amerikanisches Tagebuch, 8. Tag

Diesen Sommer verbrachte ich im August 2 Wochen in den USA, diesem seltsamen Land der Widersprüche, Abgründe und dennoch immer wieder auch Hoffnung. Der Grund: Musik. Ich besuchte sowohl die Musikfestivals in Tanglewood als auch in Staunton, Virginia, nur eine halbe Stunde von Charlottesville entfernt. Diese Aufzeichnungen sind eine Fortsetzung meines Komponistentagebuchs, Tag für Tag aufgezeichnet, nun schon in der Vergangenheit, aber nicht sehr weit entfernt von der Gegenwart.

Tag 8

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„y’all“

Virginia ist „The South“, obwohl man noch ziemlich weit in den Süden gehen kann von hier. Hier fanden die meisten Schlachten des Sezessionskrieges statt, hier redet man mit dem „Southern Drawl“, die etwas langgezogene, lässig wirkende und langsame Art zu reden, die geradezu das absolute Gegenteil zu den hektischen New Yorker oder LA-Dialekten darstellt. Das typische Wort ist „y’all“ – wörtlich übersetzt mit „ihr alle“, hier aber eine geradezu kontinuierliche Art der Anrede darstellt , wie in „y’all wanna eat somethin‘?“ oder „y’all fine?“- In letzterem Beispiel entsteht sogar eine Satzkonstruktion ohne Verb, was nur hier geht.
Diese Art zu sprechen ist hier so verbreitet, dass man es fast als Schock empfindet, eine andere Art des Spreche s zu erleben. So spricht mich zum Beispiel am Abend ein waschechter Brite an, der mich für meine Fliege lobt (er hat selber eine) und „posh“ (also extrem korrektes) English spricht. Das wirkt hier so fremd wie ein Matrosenanzug in einem bayerischen Bergdorf. Manche Briten behaupten sogar, hier nichts verstehen zu können, genauso wie es ja auch Preußen geben soll, die selbst in München nichts zu verstehen vorgeben. Vielleicht ist das aber auch bullshit. Habe die Ehre. Y’all.

Das amerikanische Schulsystem

Kleine Anekdote: ich kaufe etwas in einem Laden, dass 43 Dollar kostet. Die Verkäuferin gibt mir auf meine 100 Dollar-Note einen 50 Dollarschein und vier 10-Dollarnoten zurück, was nach jeder möglichen Rechenmethode zu viel und auch sonst sehr seltsam ist, denn man kann aus der von ihr zurückgegebenen Summe noch nicht einmal mehr auf den Rechenfehler zurückschließen. Ich sage ihr natürlich, dass sie mir zu viel gegeben hat, und auch, was sie mir wirklich geben muss. Sie entschuldigt sich – sie sei im Rechnen „nicht sehr stark“, und „the American school system certainly didn’t help with that“.
In Wirklichkeit gibt es aber auch noch einen anderen Grund: Barzahlungen sind die Menschen einfach nicht mehr gewohnt, da man selbst für das Kaufen eines Kaugummis eine Kreditkarte verwendet. D.h. man ist es einfach nicht mehr gewöhnt, das Wechselgeld selber zu berechnen, denn es wird ja eh die korrekte Summe vom Computer abgezogen.

„Eclectic Programming“

Die Programme des Staunton Music Festival (Motto auf dem T-Shirt „Re-Think Classical“) gefallen mir außerordentlich gut. Carsten Schmidt kennt keinerlei Gnade, wenn es um unorthodoxe und überraschende Kombinationen geht. Beispiel gefällig? In einem Konzertprogramm namens „GerMania“ (ungefähr: „Deutschwahnsinn“) erklingt zuerst Haydns berühmtes Nationalhymnenstreichquartett, dann mein Hämmerklavier XX, dann ein Lied von Wolkenstein, vorgetragen in Originalsprache und auf alten Instrumenten, dann die „Ballade von Mackie Messer“ (szenisch!), dann die „Meistersinger“-Ouvertüre auf 2 Klavieren zu 8 Händen, dann eine Vokalkomposition von Heinrich Schütz, dann Beethovens komplette 8. Symphonie auf Originalinstrumenten!
Ein Konzertprogramm des 19. Jahrhunderts sieht dagegen echt alt aus. Als ich Carsten dafür lobe sagt er mir, dass es früher noch viel extremere Programme gab, man es aber ein bisschen runtergeschraubt hätte, weil das Publikum die endlos langen Konzerte nicht mehr ganz so toll fand.
Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass solche Programme auch in Deutschland ziemlich gut kommen würden. Warum denn eigentlich nicht?

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