Ein Phantom in Donaueschingen

Moritz Eggert als Phantom in Donaueschingen. Selfie
Moritz Eggert als Phantom in Donaueschingen. Selfie

Ich muss euch ein Geständnis machen: Ich war in Donaueschingen. Niemand ahnte es, niemand wusste, dass ich kommen würde, niemand sah mich gehen. Fremd zog ich ein und wieder aus.

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Letztes Jahr kam ich ja schonmal kurz auf der Durchreise in Donaueschingen an, dieses Mal verbrachte ich aber sogar 3 (!) Tage dort. Langsam scheine ich mich dieser mythischen Stadt anzunähern, so als ob ein an meiner Nase hängender Schicksalsfaden langsam aufgerollt wird und mich unerbittlich in diese Stadt führt, die ich tatsächlich vor 32 Jahren das letzte mal persönlich besucht habe.
Damals wurde ganz viel gebuht und getuschelt, das hat mir nicht so gefallen. Heute tut man ersteres eigentlich nicht mehr, soviel vorweg.

Denen, die noch nie in Donaueschingen waren, muss man erklären, dass es sich hier um a) ein kleines und nettes Städtchen im Ländle und b) um ein historisch bedeutendes Festival Neuer Musik handelt, das immer mal wieder fast ausfällt, dann aber immer wieder wundersamerweise von der Siemens-Musikstiftung gerettet wird. Worüber sich alle, die dort gerne Mal zaghaft ausgebuht werden wollen, ganz dolle freuen.

Ich war dort in zweierlei Mission: zuerst einmal war ich angefragt worden, bei einer Uraufführung des von mir außerordentlich geschätzten Klaus Schedl mitzuwirken, und zwar in meiner Lieblingsrolle als Death-Metal-Sänger. Da konnte ich nicht nein sagen, verbinden uns doch Amazonas-Erlebnisse, ukrainische Spelunken und hübsche serbische Komponistinnen.

Des weiteren wiederum bat mich der DKV, eine Laudatio auf die zwei diesjährigen FEM-Nadel-Preisträger zu halten, Frank Kämpfer und Theo Geißler, was mir natürlich eine große Ehre war.

Die Honorarverhandlungen mit dem SWR gestalteten sich anfangs als nicht ganz einfach, denn ich musste erst einmal zaghaft klar machen, dass es sich bei einer Partie, in der man fast durchgehend 20 Minuten lang aus vollster Seele schreit und rhythmisch skandiert vielleicht doch um eine Art Solopart handeln könnte, was Björn Gottstein – den wegen seiner Offenheit und Neugier allseits sehr geschätzten neuen Intendanten – etwas überraschte. Aber wir wurden uns einig und mir wurde versprochen, mich im Programmheft zumindest verschämt aufzulisten. Nur um mir dann eine Woche vor dem Konzert mitzuteilen, dass man das dann doch vergessen hätte, jetzt aber leider gar nichts mehr machen könne, aber natürlich verstehen würde, wenn ich jetzt beleidigt absage. Da dies fast hoffnungsvoll hinsichtlich meiner Absage klang, sagte ich natürlich nicht ab, und wie gesagt, ich mag Klaus Schedl sehr.

Als unerkanntes Phantom reiste ich also in das Hotel „Concorde“ am Donaueschinger Flughafen, wo mich der SWR zusammen mit vielen Orchestermusikern untergebracht hatte. Dieses Hotel ist insofern einzigartig, da es sich ungefähr eine Stunde zu Fuß von Donaueschingen entfernt befindet, und es gleichzeitig als Fußgänger nicht zu verlassen bzw. zu betreten ist. Man muss also entweder mit dem Flugzeug oder dem Auto anreisen, noch nicht einmal ein Fußweg führt von dort weg, es gibt einfach nur eine Autobahn. Meine zaghaften Jogging-Versuche am nächsten Morgen führten mich zuerst auf einen einsamen Feldweg, den man nur unter Lebensgefahr erreichen konnte (wie gesagt: Schnellstraße), dann durch ein offenes Tor auf eine große Wiese, die sich allerdings Minuten später als die Landebahn des Flugplatzes entpuppte und die ich daher schnell wieder verließ. Donaueschingen n’est-ce pas ein Paradies für Jogger, so viel steht fest, denn entweder wird man von einem Auto überrollt, oder ein Business-Seppl zerdrückt einen mit seinem Hubschrauber.

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Ein Business-Seppl hat seine Businessmaschine hier abgestellt.

Allerdings muss man hier anmerken, dass es sich bei den Donaueschingern um ein äußerst freundliches Völkchen handelt. Egal wohin man geht, trotz Dauerbeschallung durch an selbst an Ratten bisher unerprobter experimenteller Musik ist der Donaueschinger an sich von ganz ausnehmender Herzlichkeit, ganz ehrlich! Überall wohin man geht: die Menschen freuen sich auf die Musiktage mit leuchtenden Augen (so wie der Apotheker, der mir aufgeregt „morge gäits lous“ entgegenrief), das Kultur-und Tourismusamt ist voller geduldiger und charmanter junger Damen, die Besucher bei der Auswahl der für sie richtigen Klangereignisse beraten und mich netterweise in der Musikschule üben ließen, und in den Gaststuben ist einem stets die gewogene Aufmerksamkeit freundlichster Bedienungen sicher. Gute Cocktails gibt’s übrigens im „Twist“, die größten Portionen beim „Ochsen“ und die geselligste Atmosphäre im Bräustübl. All dies ist zu loben. Wellnesskonzept und zeitgenössische Musik: hier funktioniert es. Hier bin ich Neue-Musik-Nerd in Birkenstock-Latschen (oder James Dillon in abgeranzter speckiger Lederjacke) und darf es einfach auch mal sein.

Mein einer Tag bei den Donaueschingener Musiktagen, deren Plakat dieses Jahr aus irgendeinem Grund eine schwarze Billardkugel ziert (wer „einlocht, gewinnt?“), begann recht konventionell mit einer Generalprobe in der berühmten Baarsporthalle, einer Art Multifunktionsturnhalle eines lokalen Gymnasiums. Schon sprach mich die Moderatorin der Liveübertragung an „Huch, Herr Eggert, was machen Sie denn hier? Sie stehen ja gar nicht im Programmheft? Soll ich Sie ankündigen?“. „Danke“, stammelte ich, „das wäre fast zuviel der Güte“. I am not worthy.

üben

Danach ging ich erst einmal üben, und zwar vor allem sauschwere Lieder von Max Reger, die aber eben auch saugeil sind. Dann irrte ich suchend durch die Stadt, in der Hoffnung, bekannten Gesichtern zu begegnen. Dies geschah auch sehr schnell in Form eines sehr gut aufgelegten Wolfgang Rihms in Damenbegleitung. Überhaupt ist es in Donaueschingen ein bisschen wie in „Die Körperfresser kommen“ – erst ist es ein normales Städtle, dann werden – quasi über Nacht und vermutlich mittels außerirdischer Schoten – die Menschen ausgetauscht und in Persönlichkeiten des Neue-Musik-Lebens umgewandelt. Tatsächlich ist es bei Beginn der Musiktage absolut unmöglich auch nur einen Schritt zu gehen, ohne auf jemand Bekannten zu treffen. Das hat einen gewissen Charme, aber ich frage euch: IST ES DIE ZUKUNFT DER NEUEN MUSIK, DASS SICH ALL DIE TREFFEN, DIE SICH EH SCHON KENNEN? Bitte diskutieren, danke, setzen.

Allerdings stellte ich schnell fest, dass umgekehrt ich einige Verwirrung stiftete, allein durch meine Anwesenheit. Manch einer erkannte mich überhaupt nicht, obwohl ich ihn gerade erst letzte Woche zum Kaffee getroffen hatte. Anscheinend stellte meine Präsenz in Donaueschingen eine solche Disruption des Raum-Zeit-Gefüges dar, dass man mich nicht erkannte, erkennen konnte oder erkennen wollte. Kurzum: ich fühlte mich wie ein Higgs-Boson vor CERN.

Das Higgs-Boson begab sich alsdann zum Rathaus, wo man mich zumindest erwartete, denn ich sollte ja eine Rede halten. Diese soll hier noch veröffentlicht werden, aber an dieser Stelle meinen herzlichen Glückwunsch an zwei verdiente Preisträger, Frank Kämpfer und Theo Geißler! Später wurde mir berichtet, dass meine bezaubernde Kollegin Charlotte Seither ganz „betrübt“ über meinen Vortrag gewesen sei, und es gerne etwas seriöser gehabt hätte. Vielleicht war sie mir deswegen auch schon direkt vorher mit aplomb auf die Füße getreten, denn sie ahnte natürlich schon, dass ich sie betrüben würde. An dieser Stelle müssen also Charlotte Seither hellseherische Fähigkeiten attestiert werden.

Danach saß ich in netter Runde mit unter anderem Koblogger Alexander Strauch und den werten Komponistenkollegen Johannes Hildebrandt und Ralf Hoyer beim „Ochsen“ zusammen, wo uns die Wirtin erfolgreich mit gigantischen Fleischportionen mästete. Beim Hinausgehen erspähte ich meinen alten Freund Christian Esch von der NRW-Kulturstiftung, der mich aber natürlich erst einmal nicht erkannte, denn er war mit einem Wurstsalat von der Größe des Ozonlochs beschäftigt. „Also Dich hätte ich jetzt nicht erwartet, hier zu sehen!“. Quod erat und so weiter.

„Waaaaaas, du hier?“

Christian fuhr mich zur Baarsporthalle, die sich erwartungsgemäß mit den Körperfressern zu füllen begann. Um weiteren Gesprächen wie „ach, was machst du denn hier?“ erst einmal zu entgehen, schlich ich mich durch den Hintereingang hinein, nur um dann vom eleganten Max von Aulock mit den Worten „Waaaaaas, du hier?“ begrüßt zu weden. Ich entschied mich, die erste Hälfte des großen Orchesterkonzertes anzuhören (das schöne Stück von Martin Jaggi hatte ich schon bei der GP angehört) und lauschte entspannt den Orchesterstücken von (Viggo?) Morthensen und (Matt?) Dillon, die alle Erwartungen der Hörer absolut erfüllten: schillernde Orchesterfarben! Im Raum stehende einzelne Töne! Gesten, die ins Nichts führen! Irvine Arditti, der sich tierisch einen abschrubbelt, als ob es kein Morgen gäbe!

Das zahlreich anwesende Publikum wusste dies gönnend zu goutieren. Ob die tweetenden, facebookenden und whatsappenden Gymnasium-Kids, die man taktisch geschickt in den höheren Rängen platziert hatte, dies auch taten, kann uns nur die NSA verraten. Aber dafür ganz sicher!

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Die Bar, äh, Baarsporthalle füllt sich…

Ungefähr in der Mitte des Dillon-Stückes tauchte im Eingang neben mir plötzlich ein Mann in Nothelfer-Uniform auf, der ganz unzeremoniell mit extrem und geradezu absurd quietschenden Schuhen die serene Ruhe eines Vierteltonclusters störte, sich dann zu einem leeren (!) Kinderwagen begab, und diesen mit ebenso quietschenden Reifen an den Zuhörern vorbeischob, gen Ausgang. Es schien ihn nicht zu stören, dass James Dillon gerade an dieser Stelle 3 Monate gearbeitet hatte, sicherlich in seiner speckigen Lederjacke an seinem Schreibtisch sitzend und einen Zigarillo rauchend. Etwas später war dann in einer Pause nach einem erratischen Klang Dillons ein leises, verzagt wimmerndes Babyschreien aus der Ferne zu hören. Kurios!

„Ihr Ding“

Lukas Fels hatte mir kurz vorher erklärt, dass er James Dillon so schätze, weil der „einfach sein Ding“ mache. Ebenso wohl auch dieser Nothelfersmann. Respekt beiden! Allen dreien! Sie machen halt „ihr Ding“!

Nach der Pause und nach Jaggi nun also „Blutrausch“ von Klaus Schedl. Ein tolles Stück, müsst ihr anhören (geht noch beim guten SWR)! Beim Publikum war nach meinem ersten Schrei eine leise Unruhe zu bemerken, Köpfe reckten sich, es wurde getuschelt. Ich kann mir denken, was: „wer ist denn der Sprecher da? Ach der? Hääää?…“. Es ist schön, wenn man als Phantom der Donau ein bisschen Überraschung und den Zauber des Unerwarteten in die Herzen anderer Menschen bringen kann, ist unser Leben doch an Überraschungen arm, seitdem wir im Internet eh nur noch das lesen, was wir schon zu wissen meinen.

Nach dem Stück erhob sich ein zaghafter Buhsturm, der gewisses Potential hatte, dann aber an fehlender Energie jämmerlich erstarb. Schade eigentlich. Der Dirigent Valade, der mir auch während des Stückes und bei den Proben keinen einzigen Einsatz gegeben hatte, würdigte mich auch danach keines Blickes, was immerhin konsequent ist. Um so mehr wurde zu Recht Klaus Schedls Werk gefeiert, das aber – so viel steht fest – Charlotte Seither sicherlich auch sehr betrübt hat. Ob sie ihm auch vorher auf die Füße getreten ist, weiß ich nicht, aber sie hätte natürlich damit wieder ein untrügliches Gespür bewiesen.

Ich wurde plötzlich umringt von russischen Komponisten, die mich anscheinend für den Sänger von „Slayer“ hielten, nur so ist zu erklären, warum sie sich mit mir ablichten wollten. „Slayer“ ist in Russland ganz groß. Andere fragten „Was sind Sie eigentlich? Ein Sprecher oder so was? Wie nennt man das, was Sie machen? Wer sind Sie eigentlich? Im Programmheft tauchten Sie gar nicht auf?“. Ach, wie schön ist es, das Phantom der Donau zu sein, denn man vermeidet dann die ansonsten unvermeidliche Frage „was machen Sie eigentlich beruflich?“, und das hat doch was. Ausgerechnet Dieter Schnebel erkannte mich dagegen sofort, vielleicht, weil ich gerne sein Klavierkonzert uraufgeführt habe. Und ebenso die sympathische Witwe von Armin Köhler!

Freundliche Dorfjugend

Die freundliche Dorfjugend verkaufte danach auf der Straße Bier und ich prostete einem gut gelaunten Max Nyffeler zu, der mich natürlich zuerst nicht erkannte, weil er mich hier „nicht erwartet“ hatte. Danach tendierte unser Troß zum unvermeidlichem Bräustübl, wo sich große Mengen von Kritikern, Komponisten und Bloggern zum (sehr empfehlenswerten) naturtrüben („seither betrübtem?“) Bier eingefunden hatten. Das war ein sehr netter Abend, vor allem konnte ich mal endlich länger mit meinen dynamischen, jungen und gutaussehenden sowie wesentlich wortgewandteren Kollegen von „mit allem und viel scharf“ reden, was mir natürlich eine Freude war. Viele Grüße, und ja, Cannabich muss endlich legalisiert werden. Das sage ich schon als Mannheimer, jawohl! Ebenso begrüßenswert ist ihr Plan, eine Art „Neue Musik-Gala“ als Zeitschrift herauszugeben, mit Schlagzeilen wie „wer ist die geheimnisvolle Frau an W.R.s Seite?“, die man dann in Zahnarztpraxen auslegen kann, um der Neuen Musik neue Publikumsschichten zu gewinnen. Das hat definitiv „Potential“, oder, neudeutsch, „Potenschl“!

Theo Geißler rief mich dann noch von der Tankstelle an um mir mitzuteilen, wie sehr ihm Klaus Schedls Stück gefallen hätte, und dass dies das einzig würdige Stück gewesen wäre, mit dem man die Donaueschinger Musiktage eröffnen konnte. Kurz vorher war Jens Cording Opfer eines pegnitzschäferschen Kellnerinnenunfalls geworden, der ihm die Jacke mit „Süßem“ versaute, was er aber gewohnt gelassen und gut gelaunt wegsteckte. Respekt! Und Werner Heider – gewohnt scharfsinnig und mit einem unglaublichen Gedächtnis ausgestattet – lief wieder zu Hochform am Tisch auf. Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie sehr ich diesen liebenswürdigsten aller Kollegen bewundere und schätze!

Der Abend fand seinen Abschluss mit legalisierten Haselnussschnäpsen, was nicht der schlechteste Abschluss eines Abends ist, dank einer gnädigen tätowierten Kellnerin.

Und nun sitzt das Higgs-Boson der Donau im Zug nach München, wo mich garantiert keiner fragen wird „Ach, du hier?“. Obwohl das auch schon passiert ist, denn viele denken, ich lebte schon längst im hippen Berlin und würde mit meinen Freunden von „2Raumwohnung“ jeden Abend einen drauf machen.

Ach, Irgendwie werde ich das Phantomsein vermissen.

Moritz Eggert

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