Nadar Ensemble ganz papabile – trotz dem potentiell umstrittenen Franziskus und Bayern-Fußball

Heilige sind wie Komponisten, landläufig betrachtet: der Nachruhm stellt sich nach dem Ableben ein. Das Berufsbild „Heiliger“ ist allerdings erstens älter und zweitens für die himmlische Ewigkeit angelegt, derweil der Berufsstand des Komponisten uns erst seit den mythisch behafteten Perotinus und Leoninus überliefert scheint. Können die Orden oder sonstigen Kirchenteile noch Jahrhunderte nach dem Ableben ihrer Heiligen von deren irdischem Wirken profitieren, die Heiligen selbst knapp 1000 Jahre nach ihrem Tod überhaupt zum Heiligen erhoben werden, nutzt ein verblichener Komponist seiner Familie gerade noch 70 Jahre, ist im Komponistenhimmel nur Platz für nicht einmal an einer Hand abzuzählende Vertreter einer Musikepoche, ist noch kein einziger Komponistengipskopf so alt wie Heiligenregister selbst. Allerdings scheint selbst den Köpfen der konservativen katholischen Kirche der Jetztzeit die Aussicht auf Heiligsprechung in weit entfernten Jahrhunderten nicht auszureichen. Es wirkt, als ob jeder „papabile“ der Zeit nach Johannes Paul II. selbst schnell noch ins Pontifikat gehievt wird, um qua Amt am Schalthebel der Heiligwerdung und v.a. Heiligmachung zu sitzen, egal ob als Nachfolger der Inquisitoren wie der jetzige römische Alt-Bischof Bendetto oder der als Armenpriester annoncierte Neo-Franziskus. Spannend am letzteren, dass man hier noch müheloser Informationen über sein kontrovers diskutiertes Mit- oder Gegenwirken zur argentinischen Militärjunta hätte finden können als über den rechtslastigen Piusbruderbischof Williamson. Bleibt zu hoffen, dass das noch vor dem Tod oder der Heiligsprechung oder gar einem warum auch immer bedingten Rücktritt des neuen Papstes, seit Benedetto gilt auch hier nicht mehr das lebenslange Amt – wohl seine mächtigste Reform, klargestellt wird.

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Bei Komponisten setzt man die ewige Jugend zu Lebzeiten dem unkontrollierbaren und seltenen Nachruhm entgegen. So tat es gestern auch smart, mit Dank an die trotz Papst-TV-Spektakel und Bayern-Arsenal-Debakel zum Konzert des gastierenden belgische Nadar-Ensembles Gekommenen, Stefan Prins zu Beginn des zweiten Teils, als er Michael Beil im Publikum als „jungen Komponisten“ begrüsste. Wenn Michael Beil auch wohl sichtbar älter als Stefan Prins (Prins‘ „Generation Kill – Offspring 1″  war der Konzertabschluss!) ist, kann man ihn getrost als junggeblieben bezeichnen. Damit ergab sich vom ersten zum zweiten Konzertteil sogar so etwas wie eine umgekehrte apostolische Jung-Komponisten-Sukzession vom grüssenden Prins zum älteren Beil. Biblisch ausgedrückt: wahrlich! Mit „Mach Sieben for piano, audio and video playback“ spiegelte Michael Beil die spielende Pianistin. Der von links auftretenden echten Elisa Medinilla trat von rechts auf einer Leinwand ihr filmisches Ebenbild gegenüber, dabei sie selbst und der Flügel in spiegelverkehrter Ansicht. Der Clou war nun, dass die vorwärts gefilmte Pianistin während der Aufnahme alle Aktionen wie Auftritt, Sprechen, Spielen und Blättern choreographisch rückwärts ausführte. Dies passte wiederum exakt zu den live gespielten gleichen Aktionen. In der Mitte des Stückes drehte sich das Verhältnis genau um, was augenzwinkernd durch ein versetzt stattfindendes, auch gespiegeltes das Gegenüber beobachtende Innehalten. Die Spieltechniken des Klaviers orientierten sich am erweiterten Kanon des Instruments, der Umgang mit Tonhöhe und Sound bewegte sich in den Pfaden bekannter Neuer Musik. Das Zusammenspiel der einzelnen Parameter setzte gezielt die eigene Note: einfach ausgedrückt kam es einem vor als würde eine grandiose Sequenz eines zeitgenössischen Horrorfilmes wie z.B. „The Others“ mit Nicole Kidman aus der Leinwand echt ins Publikum hereinragen, auch wenn Elisa Medinilla schwarze Haare trug. Im Ablauf des ersten Teils schlug Beil so den Bogen zu dem historischen Eröffnungskurzfilm „L’Homme Orchestre“ (1900) des französischen Bildmagiers Georges Méliès der Kinofrühzeit, worin sich Méliès selbst von einem Einzelmusiker zu einem kleinen Orchester via simpler „special effects“ auffächert und wieder zusammenschnurrt, bevor er in weißem Rauch verschwindet, als würde sich die Kirche endlich auflösen und den Vatikan verkaufen.Serge Verstockt ließ mit „A la Recherche de Temps“ (2005) seinen Klarinettisten (Dries Tack) live und auf vier verschiedenen kleinen Projektionsflächen unterschiedlich schnell und langsam das durch vier Mikrofone Paning-Effekt-artig aufgenommene Musikmaterial abschnurren. Das war nett anzusehen, klang die ersten Minuten hübsch und hatte dann seinen Zenith überschritten. Erst jetzt kam es in Fahrt, wo es doch schon zwischenzeitlich sein Ende ankündigte. Gewohnt kurzweilig und technisch exakt wie virtuos in der Anwendung seiner Mittel Simon Steen-Andersens „study for string instrument #3 for cello and video“ (2011). Die wenigen Zuschauer amüsierten sich gut, als das auf den live spielenden Cellisten (Pieter Matthynssens) projizierte cellistische Ebenbild unerwartet das Cello wie eine Gitarre links und rechts herum auf die Beine nahm oder gar auf den Kopf stellte und der echte Cellist dem kaum nachkam. Metaphsyische Poesie kam allerdings, wie oben beschrieben, erst mit Michael Beils Musik zustande. Hatte mich beim letzten Konzert der Münchener Nadar-Kollegen von „piano possibile“ Michael Maierhofs „Shopping“ mit den drei bis vier Spielern blauer, mit Gaffertapes präparierten und „Glitzi“-Schwämmen gespielten und von Fall zu Fall mikrofonisch verstärkter Luftballons nicht ganz überzeugt, war dies in der von Nadar eingesetzten verstärkungsfreien Variante trotz eines platzenden Ballons diesmal eine unterhaltsame Brücke vom ersten Teil zum zweiten. Der Klassiker bleibt aber Thierry de Mey „musique de table“, von piano possibile immer wieder meisterlich dargeboten.

Stefan Prins „Generation Kill – Offspring 1 für Cello, Schlagzeug, 2 Gamecontroller-Spieler, 2 Videoprojectionen und Live-Elekronik“ (2012), sozusagen die Reduktion seines „Generation Kill“ von den Donaueschinger Musiktagen 2012, was den meisten bisher nur durch Radio oder Streaming bekannt sein dürfte. Das Setting war dasselbe wie letzten Herbst, statt acht Interpreten nun nur vier. Hautnah bei der Aufführung dabei zu sein, ließ das Stück um ein vielfaches eindringlicher als in der Konserve wirken, trotz der Reduktion der Mittel, was vielleicht den Fokus von Hören und Sehen vereinfachte und die Wirkung konzentrierte. Auch half es mitunter, das Stück an das Ende eines Konzerts zu setzen. Mit seinen knapp 30 Minuten ist entspricht es der Länge einer großen klassisch-romantischen Sinfonie. Der Sound ist hauptsächlich das quietschende Traktieren von präparierten Cello-Saiten und Styropor- wie Metallkörpern (Schlagzeug:Yves Goemaere). Die beiden Musiker sitzen hinter Leinwänden, sind selbst sichtbar oder werden wie bei Simon Steen-Andersen mit ihren vorher aufgezeichneten musizierenden Ebenbildern überblendet. Diese Überblendungen werden nun nach Partituranweisung nicht durch einen Bildtechniker oder eine Keyboard sondern Gamecontroller, im Prinzip nichts anderes als sehr mächtige, multipel einsetzbare Joysticks, gesteuert. Das erzeugt natürlich all die Zufälligkeiten, die einem vom Umgang mit Computerspielen bekannt sind. Kurz wird einmal ein Funkverkehr zwischen Befehlszentrale und einem US-Sniper an Board eines Helikopters über Afghanistan: der musizierte und elektronisch erzeugte Sound ist nichts anderes, als die riesenhafte Dehnung der Hintergrundgeräusche dieses tödlichen und sterilen Funkgesprächs! Mit seinen vier Musikern, zwar nur einem Streicher, gewinnt das Stockhausensche „Helikopterquartett“ endlich seine Tiefe, der es dem titelgebenden „Licht“-Auszugs so mangelt, wie weiten Teilen jenes naiven Musiktheaters. Irgendwann stoppte die Musik, nachdem man glaubte, kurz und ironisch ein gesägtes und geschlagenes beethovensches Schicksalsterzmotiv zu hören, und man sah Originalsniperfilme, in denen real auf Menschen tödlich geschossen wurde. Nun dürftes dem letzten klar geworden sein: die Gamecontroller-Spieler versuchen nichts anderes, als die Musiker ins Visier zu nehmen, was ihnen mal besser, mal schlechter, je nach Stücksituation gelingt. Wie bei Befehlendem und Schiessenden virtuell vernetzt auch unklar ist, wer eigentlich tötet, wechseln Gamecontroller-Spieler und Musiker je einmal ihre Positionen, wird der Streicher zum Schlagzeuger und dieser zum Streicher. Im Prinzip ist es dann doch eins, ob man am PC möglichst echt simuliert im 2.0 Web killt oder im „Sitiuation Room“ tausende Kilometer entfernt wirklich tötet, indem man töten läßt? Nach dem letzten Wechsel ist „Generation Kill – offspring 1“ zu Ende und man darf heilsam seine eigenen Schlüsse aus Welt und Musik ziehen.

Einen Schluss zog man sofort: für den schlechten Konzertbesuch von ca. 20-30 Menschen in der riesigen Muffathalle wird man in Alt-Münchener Gewohnheit das Champinonsleaguespiel verantwortlich machen. Sehr wohl wurden Pressemeldungen herausgegeben, wurde das Gesamt-Event „New Orchestras“ in einem SZ-München-Kulturbericht angkündigt. Und die beiden anderen Ensembles zwischen Jazz, Neuer Musik, Salsa und Hiphop werden als leichte Kost eher Leute anlocken. Es soll auch ein Mailing stattgefunden haben. Ich merkte von dem nichts, wo ich doch bestens lokal vernetzt bin. So hätte man z.B. den Verteiler von piano possibile verwenden können, Nadar mit diesem gemeinsam spielen lassen oder gar Klaus Schedls Donaueschingen-Stück, das Nadar uraufführte, hier aufgeführt. Schedl zieht ja doch eine ganze Menge Münchener inzwischen an. Das wird nun piano possibile selbst im April im i-camp nachholen. Da stand die institutionelle Macht der kuratierten Muffathalle ziemlich im Abseits! Wie sich manches Stück spiegelverkehrt organisierte, erging es mir letzte Woche selbst in meinem Klangspuren-Konzert des Münchener Biennale: eine wirklich gut gefüllte Black Box im Gasteig, dafür keine Presse anwesend. Aber dies und mein Konzert wären ein eigener Blogbeitrag.

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