Mensch oder Maschine und Wahrnehmung – wer oder was macht die Musik?

Mensch oder Maschine – wer oder was macht die Musik? Das war meine Frage an mich nach dem kleinen Festival „Verspielte Maschinen“ der Münchener Gesellschaft für Neue Musik im Deutschen Museum. Problematisch für meine Objektivität ist, dass ich die meisten der Künstler persönlich kenne. So spreche ich hier zwar über ihre Stücke, ihre Arbeit. Mir geht es hier aber v.a. um mein eigenes Wahrnehmen, ist die hier eine narzisstische Selbstbeobachtung. Immerhin ist dies ja „nur“ ein Blog und kein Kritikorgan der Pressewelt.

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Ich sah mir nur die beiden Abschlussveranstaltungen am Samstagabend an. Am Abend zuvor ging es in einem Vortrag um „Mensch und Materie – Philosophische Betrachtungen zu möglichen oder unmöglichen Identitäten und Differenzen“ sowie samstags am Nachmittag um „verspielt/unspielbar“ in Bezug auf Iannis Xenakis. Man sehe es mir nach, mich fixte beides nicht an. Ich sage es mal masslos überzogen: Schwebt die Drohne über einem, vielleicht nur durch einen selbstentscheidenden Algorithmus gesteuert, hilft weder beten noch philosophieren. So auch im Moment der konkreten Betrachtung und Anhörung von Musikautomaten. Und zur Unspielbarkeit: manchmal macht es mir Spass, für mich viel zu schwierige Musik vor mich her zu klimpern, meist ist es nicht mein vorrangiges kompositorisches Ziel, Interpreten das Leben all zu schwer zu machen. Auch wenn ich dann in Form meines Notentextes wie jene hirnlose Drohen erscheinen mag. Man sieht allein an den letzten Sätzen, wie nah sich „spielbar“, „unspielbar“, das 0 oder 1 der Aufführbarkeit, bei nur von Menschenhand gespielter Musik sind, greifen in freier Beschreibung dessen der adjektivische Gebrauch der reine Technik beschreibenden Begriffe: „mechanisch“, „technizistisch“, „automatisch“, „maschinell“ etc. Wie oft allein verwenden wir diese Worte für Musiker aus Ostasien, um deren uns befremdlichen Zugriff auf „unsere Musiktradition“ zu umschreiben.

Im Prinzip brachte es der für die Technik verantwortliche Kompagnon Peter Ablingers auf den Punkt, wenn ich es richtig wiedergebe: Peter Ritsch (was für ein wundervoller Nachname, der sofort an musique concrète denken lässt, elektronisch oder instrumental) sagte, letztlich sei in Bezug auf Musik, ob durch Mensch oder Automat produziert, ihre geistige, denkerische oder ungefilterte Wahrnehmung durch den Hörer, Zuseher entscheidend. Ganz fantastisch zu sehen an Peter Ablingers inzwischen weiten Kreisen bekanntem „Deus cantando“: Ein Junge verliest die UN-Deklaration für den Internationalen Umweltgerichtshof. Die Formanten der Rede des Sprechers werden gemessen und in unendlicher Differenzierung von Ritschs Anschlagsmaschine in Tonhöhe und Lautstärke wie Dauer auf einen Flügel übertragen, der dies in vielen der Sprachmelodie nahen Clustern wiedergibt. Hört man dies erst ohne Verfolgen des Textes, registriert man als Ungeübter v.a. jene Cluster. Wird der Texte parallel eingeblendet, versteht man Alles. Ritsch sprach davon, wie gewohnt ihm dies inzwischen sei, dass er ohne Projektion zurechtkäme. Ich könnte mir das sogar so weitgehend vorstellen, dass man dies besser wahrnimmt als mittelprächtig artikulierende Opernsänger, die oft genug im Singen nur undeutliche Worte hervorpressen. Ähnlich faszinierend Ablingers Analyse, filternde Zersetzung und durch immer feinere Raster wieder deutlicher werdende Umsetzung des „Zeit im Bild“-Openers der ORF Nachrichtensendung. Bemerkenswert in beiden Fällen, wie Ritsch seine eigene Apparatur baute, sehr wohl auf Bestehendem zurückgreifend, um den Flügel zu traktieren. Das entscheidende an Ablingers und Ritschs Ästhetik ist die Verwandlung des Klaviers in ein anderes Medium, in eine sprechende Maschine, die berührt wie die netten Momente mit HAL in Kubricks „2001: A Space Odyssey“.

Ein weiterer Versuch, ein Klavier durch elektrische Anregung, Steuerung, zum spielerlosen Klingen zu bringen ist das Disklavier. Dafür arbeiteten die meisten Künstler des Abends. Das Klavier in seiner Tradition als DAS Virtuosen- und Komponierinstrument des 19. wie doch auch 20. Jahrhunderts, ist durch den Versuch, die Anschlagsmechanik so zu verfeinern, als betätige die menschliche Hand direkt die Anregung der Saite, absurderweise selbst zu einem Fast-Apparat, ja als ursprünglicher Streicher kann ich das Fast weglassen, zu einer Maschine geworden. Das alte Welte-Mignon-Klavier mit Lochkartenrollen ging diesen Schritt dann in letzter Konsequenz. Das Disklavier mag baulich eine andere Sache sein. Dennoch empfinde ich es eher als Weiterentwicklung des älteren Verfahrens denn als vollkommen neuartige Entwicklung. Im Endergebnis wird ein Klavier von Geisterhand betätigt. Interessanterweise inspirierte dies jene damit arbeitenden Komponisten des Abends v.a. zur Auseinandersetzung mit Virtuosität, mal komponierter, mal improvisierter gespielt wirkend, immer überbordend und alle Register ziehend, die Tastatur hinauf- und herabrasend. Das Überzeugendste der Disklavierstücke waren  Volker Nickels „Sechs Etüden“, die dem Gerät einen an dessen strenge Zeitlichkeit des Disklaviers gefesselten Akkordeonisten gegenüber setzten, der den Notentext des schwirrenden Tastenapparates atmend reliefartig konterkarierte, begleitete. Insgesamt in virtuoser Machart war der Moment im Gegenspiel non Mensch und Maschine am spannendsten, als der Akkordensolist echt ins Schwitzen kam, weil er seinen Notenberg kaum Umblättern konnte und aus seinem konzentriertem Spielen kam, um doch schnell wieder den Faden der eleganten Komposition zu ergreifen.

Die besten humanen Momente in Bezug auf unerbittliche Technik sind immer die angestrengten Reaktionen der menschlichen Auslöser, Spieler, Beherrscher der Apparaturen. Zwei Stücke arbeiteten so z.B. mit wirklich eigens gebauten Instrumenten, mechanischen natürlich, des Soundart-Künstlers Martin Riches: Schnüre werden als Tonleiter durch ein Rädchen gestrichen, einen Hebel geszupft, weitere abgegriffen, durch eine Art Holzhorn der Schall nach aussen verstärkt. Zwei dieser Maschinen traten in diesen Kompositionen je aufeinander abgestimmt in Interaktion. Das kürzere Stück war interessant, das längere nervte, strapazierte arg die Hörlust. Man erwartet auch hier bei angekündigter Kompositionskunst gestaltete Zeit. Wurde auch das Spiel aller Geräte, Riches Instrumente, das Disklavier, Ritschs Apparatur und mehr filmisch live projiziert, sprang mich die damit produzierte Musik immer an, wenn sie entweder kurz war und menschliche Themen anriss, wie Ablingers Musik. Präsentierte sie sich im „Geisterhand-Modus“, stellte sie nicht beinahe schulisch direkt ihr Material, den beabsichtigten Prozess vor, war es gefährlich öde.

Dem wirkte Zoro Babel mit seinen mechanisch, computergesteuerten Steinplatten-Bagatellen entgegen, der dazu selbst musikantische Spannung als Schlagzeuger einsetzte, auch wunderbar immer wieder auf seine Maschine wartend. Berührend, das richtige Mass zwischen Konstruktion, Komposition und übermächtiger Anstrengung des spielenden Menschen, zeigte auch Tom Sora mit seinen beiden Stücken für Lochkarten und von Hand gekurbelter Spieluhr. Nah an Nancarrow dran, genauso das Material, den Prozess vorstellend. Aber eben im Gegensatz zu den allein spielenden mechanischen Klavieren des Urvaters hier der schwitzende Mensch!

Und in anderen Stücken, der auf den richtigen Moment wartende Mensch: Dies widerfuhr auch Alexis Pope mit seiner Popophonie 1.0. Er präsentierte seinen Prototyp: Er goss Wasser in ein Infusionssystem, liess es in einen Wasserkocher tropfen, nahm dies wie das spätere Kochen mit einem Kontaktmikrofon ab, liess den Sound durch ein mit sich selbst rückgekoppeltes Mischpult laufen und drehte an den Reglern, immer wieder einen angestrengten Blick auf den Wasserfluss riskierend, um rechtzeitig den Wasserkocher schliessen und starten zu können. Auch hier die Anrührung durch die Reaktion des Menschen auf seine Apparatur, nicht die Maschine selbst.

Konsequent erlebte dies auch Christoph Reiserer mit „meeting“: Er hatte zwischen Disklavier und E-Gitarre, letztere von Elektromotoren angerissen, eine Installation errichtet, die beide Instrumente per MaxMsp-Programmierung aufeinander „hörend“ reagieren liess: Auf die Gitarrenakkorde versuchte das Klavier melodische Töne, reagierte darauf die Gitarre. Da dies frisch direkt aus der Werkstatt kam, sprang Reiserer selbst zwischen dem Disklavier und seiner Steuerung und der E-Gitarre und ihrer Computeranregung Lautstärke ausgleichend hin und her, so dass sich das menschliche Element seiner Reaktion deutlich zeigte. Mancher mag das skeptisch betrachtet haben, mich berührte dies.

Die wahre kindliche Freude im Bestaunen einer mechanischen Konstruktion, als sei es ein elektrisches Krippenspiel oder eine Modelleisenbahnlandschaft, löste auch Karl F. Gerbers Installation, Komposition – man kann das nicht immer so richtig scharf trennen – „Anregungen für neu konstruierten experimentellen Violinautomaten“ aus. Eine Violine wurde direkt sichtbar durch einen kleinen, an einem Stab befestigten Minibogen gestrichen. Dessen Kratzen wurde durch einen zerbrechlichen Anzieh- und Rückstossmechanismus betätigt. Die Töne wurden durch kolbenartig gesteuerte Elemente gegriffen und gezupft. Beim „Griffbretttupfen“ war dies so mächtig, dass der gesamte Korpus der traktierten Geige fast zerstörerisch durchgedrückt wurde, so dass ich mich fragte, ob der zusehende Bratscher Klaus-Peter Werani jetzt Angst um das Instrument bekam oder neidisch auf die unglaubliche Druckkraft wurde.

Ich gebe hier nur meine Eindrücke wieder, ist das Gesagte zu den Kompositionen eigentlich unwichtig. Spannend bleibt, was macht der Mensch während solcher Musik, solcher Installation. Als reine Soundart nähert man sich wie ein Ausstellungsbesucher und gestaltet Anfang und Ende selbst. Als Konzert-Zuhörer fühlt man sich ausgeliefert, wenn die Stücke zu untertourig vor sich hertröpfeln und weit und breit keinem Spieler seine Reaktionen auf die Stirn geschrieben abzulesen sind. Ist die Musik total undramatisch, aber streng konzeptionell macht die Musikerferne wieder Sinn, ja sogar Spass. Wird das Kompositorische betont, sind die Wartereien der Spieler das Anregendste oder auch die kompositorische Struktur, wenn sie variantenreich genug ist. Die Virtuosität ist dabei das Uninteressanteste. Bekommt man Zeit, Gehörtes und zu Sehendes zusammen, ist es egal, wie die Musik gestaltet ist, ja berühren Inhalte besonders, wie bei Ablinger das Konzept wie Christi Wundmale offen zeigen oder dieses kindliche Staunen wie beim Betrachten elektrischen Krippenspielen eintritt. Die Musik macht ja niemals der Komponist oder der Musiker, nein – der Hörer ist letztlich selbst verantwortlich, was er erlebt oder nicht. Instrumente und Automaten, Komposition und Interpretation sind nur Angebote. Zwar will sich der Zuhörer gerne steuern lassen. Er ist aber sein eigener Kapitän, wir Künstler und Konstrukteure nur Obermaat und Steuermann/-frau.

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Komponist*in

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2 Antworten

  1. Ich wäre gerne gekommen, weilte aber in Mexiko (siehe heutiger Artikel).
    Sehr lachen musste ich über Deinen Satz: „…die berührt wie die netten Momente mit HAL in Kubricks „2001: A Space Odyssey“.
    Ich fand es auch total nett, was er mit den Astronauten alles so treibt: z.B. abhören, anlügen, ermorden (um nur einige seiner Aktivitäten in dem Film zu nennen)….

  2. Alexander Strauch sagt:

    Na, ich meine, analog zu Kreidler-Joe, falls man bei ihm überhaupt analog sagen darf, den singenden HAL, den höfliche parlierenden, bevor er moribund sein gruseliges Werk beginnt.