Seit einiger Zeit geistert eine Stellungnahme zur Zukunft der Künstlersozialkasse (KSK) durch die Presse. In der FAZ unter der Überschrift „Wirtschaft läuft gegen die Künstlersozialkasse Sturm“ oder beim Spiegel „Künstler und Journalisten: Arbeitgeber beklagen Bürokratie bei Künstlersozialkasse“. Die ganze Sache verursacht allerhand Trubel, ist aber nur eine gewaltige Wirtschafts- und Presseschleuder von Fehlinformationen. Die KSK ist nicht in Gefahr. Im Gegenteil: Die teilweise hanebüchenen Argumente, die da vorgetragen werden, sind in der Summe lächerlich und tendenziös und fallen auf die Autoren zurück.

Da haben wir als Ausgangslage ein Positionspapier mit dem Titel „Künstlersozialversicherung für Unternehmen entbürokratisieren –  andernfalls abschaffen“ (pdf) von der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (kurz: VhU). Schon der Titel muss irritieren: Das könnte man von der deutschen Steuergesetzgebung ebenfalls behaupten: „Steuerermittlung entbürokratisieren – oder abschaffen.“ Aber teilen wir die Argumentation auf:

Der Bürokratiemostervorwurf

Der zentrale Vorwurf des VhU ist, dass der Aufwand für die Bearbeitung des Künstlersozialabgabeverfahrens unmäßig sei. Dort schreibt man:

„Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln aus dem Jahr 2008 belaufen sich die jährlichen Bürokratiekosten der Betriebe durch das Künstlersozialabgabeverfahren auf fast 80 Prozent der insgesamt gezahlten Künstlersozialabgabe der Unternehmen.“ (Positionspapier des VhU, S. 5)

Ein Verweis auf die Quelle fehlt natürlich. Wie soll man das nachprüfen? Die FAZ macht daraus gleich ein 1:1-Verhältnis.

„Für jeden abgeführten Euro fällt bei den Arbeitgebern ein weiterer Euro an.“ FAZ: Wirtschaft läuft gegen die Künstlersozialkasse Sturm

Da werden dann aus 80% eben mal schnell 100%. Na und? Hochjazzen ist angesagt. Das Ganze ist natürlich lächerlich. Seitens der konkreten Arbeitgeber der Künstler (Verlage, Theater, …) ist der Vorwurf komischerweise nicht erhoben worden. Die haben damit ja auch grundsätzlich zu tun. Anders sieht das sicher bei einem Metallbauunternehmen aus, bei dem die Leistung von Künstlern nur selten genutzt wird. Die Bürokratie wäre sofort entsorgt, wenn man einfach einen pauschalen Prozentsatz auch auf diese ferneren Betriebe ansetzen würde. Höhe mag ich nicht bestimmen wollen.

[Einschub 18:01] Hinweis des Deutschen Journalisten-Verbandes: „Der DJV-Vorsitzende weist darauf hin, dass Arbeitgeber über die Mitgliedschaft in einer so genannten Ausgleichsvereinigung sogar eine branchenspezifische Pauschale zahlen könnten, die besonders aufwandsarm sei.“ [DJV: Künstlersozialkasse steht nicht zur Disposition]

Freilich würde das den einen Betrieb mehr, den anderen dann weniger belasten. Aber der Bürokratievorwurf wäre damit grundsätzlich entkräftet. Eigentlich könnte man hier dann die Akte schon schließen. Denn die anderen Vorwürfe haben damit indirekt zu tun: Dass man als Arbeitgeber nicht wisse, ob es sich bei den in Anspruch genommenen Tätigkeiten um KSK-relevante Inhalte handle etc..

„Die ständige Notwendigkeit sozialrechtlicher Entscheidungen, ob eine Tätigkeit nun künstlerisch ist oder nicht, führt nicht nur zu einer völlig unnötigen Mehrbelastung der deutschen Sozialgerichte. Vor allen Dingen stellt sie Unternehmen als Auftraggeber vor rechtssicher nicht zu lösende Probleme und einen völlig unverhältnismäßigen Aufwand.“  (Positionspapier des VhU, S. 4)

Das liest sich übrigens beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch ganz anders:

„Das zu Beginn dieser Legislaturperiode verabschiedete Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes führte über mehr Ehrlichkeit und Transparenz bei der Abgabeerhebung und bei Betriebsprüfungen zu zusätzlichen Einnahmen von rund 30 Mio. Euro im Jahr 2015. Über 30.000 Unternehmen kommen jetzt zusätzlich ihrer Abgabepflicht nach.“ [BMAS: Künstlersozialversicherung in der digitalen Welt]

Vielleicht ist die Sache mit der Transparenz und Ehrlichkeit ja auch nicht ganz so wichtig, jedenfalls weniger wichtig als vermeintlicher Bürokratieabbau.

Die Kosten der KSK

„Der Bundeszuschuss steigt seit dem Jahr 2000 jährlich an. Dies lässt sich auf der einen Seite durch die steigende Zahl der Versicherten in der Künstlersozialkasse erklären, auf der anderen Seite ist aber auch der Pro-Kopf-Bundeszuschuss von 671 Euro im Jahr 2000 auf 971 Euro im Jahr 2014 gestiegen.“ (Positionspapier des VhU, S. 4)

In 14 Jahren eine Steigerung um 300 Euro. Das ist eine Schande! Wozu sollen die Künstler mit dem steigenden Kosten noch mitziehen. Künstler sein heißt arm sein. Hallo?

Ebenso tendenziös ist die Wahl des Jahres 2000 in dieser Rechnung. Hätte man das Jahr 1999 gewählt, wäre die Steigerung weitaus kleiner gewesen.

Höhe des Bundeszuschusses 1997-2015. Quelle: KSK

Höhe des Bundeszuschusses 1997-2015. Quelle: KSK

Der Sinn der Künstlersozialkasse und ihre Funktion

Tiefer geht der Angriff dann auf die KSK insgesamt: Man bezweifelt ihre legitime Existenz. Der VhU meint, hier gäbe es Privilegien, die nicht gerechtfertigt seien. Warum sollen sich Künstler nicht wie andere selbständig Tätige komplett selbst versichern? Warum müssen sie das wie bei normalen Arbeitnehmern nur zur Hälfte. Die Beiträge zur KSK setzen sich ja zu 50 % aus Abgaben der Künstler, zu 30 % aus denen der Unternehmen und zu 20 % aus Bundesmitteln (aus Steuermitteln) zusammen. Die jeweilige Zusammensetzung hat im Laufe der Zeit geschwankt. Der Grund ist eigentlich ein ganz simpler und dem liegt die Idee der KSK zugrunde: Selbständige Künstler erbringen ihre Leistungen nämlich ganz ähnlich wie Arbeitnehmer herkömmlicher Art. Eben nur fall- oder zeitweise. Häufig genug tun sie das gleiche, wie angestellte Arbeitnehmer. Dem trägt die KSK Rechnung. Zum Beispiel: Zwischen freien und angestellten Journalisten besteht regelmäßig nach Art ihrer Leistung kaum ein Unterschied. Im künstlerisch-publizistischen Bereich findet man genügend dieser Beispiele.

Der VhU bestreitet einen solchen Zusammenhang. Vielmehr hebt er darauf ab, dass mittlerweile unklar ist, wer alles so als Künstler firmiert und führt dann Beispiele aus der laufenden Rechtssprechung auf. (Positionspapier des VhU, S. 4) Zwar gibt man zu, dass das Bundesverfassungsgericht 1987 entschied, dass die KSK verfassungskonform sei,

„Im Jahr 1987 hat das Bundesverfassungsgericht die Künstlersozialabgabe für verfassungsgemäß erklärt und dies mit einem „besonderen, kulturhistorisch gewachsenen Verhältnis von gleichsam symbiotischer Art“ zwischen Künstlern und Verwertern (Auftraggebern) begründet.“ (Positionspapier des VhU, S. 5)

aber dem hält man ein Gutachten des Bundes der Steuerzahler entgegen:

„Ein rechtswissenschaftliches Gutachten im Auftrag des Bundes der Steuerzahler aus dem Jahr 2013 kommt jetzt zu dem Ergebnis, dass dieses Verhältnis heute so nicht mehr existiere, da Künstler vor allem aufgrund der Möglichkeit der Selbstvermarktung über das Internet nicht mehr zwangsläufig auf Vermarkter angewiesen seien.“ (Positionspapier des VhU, S. 5)

Ein Argument, das verwirren muss, weil es mit dem Thema rein gar nichts zu tun hat. Schaut man mal dagegen auf die Entwicklung der „Verwerter“ – denn um die geht es, nicht um die Vermarkter! – sieht man schnell, dass die Branche, die Leistungen selbständiger Künstler in Anspruch nimmt, nämlich ebenso rasant wächst, wie die Anzahl der Mitglieder der KSK. Eine Entwicklung, die nur anzeigt, wie stark in letzter Zeit die Kreativbranche wächst!

Anzahl erfasster Verwerter. Quelle: KSK

Anzahl erfasster Verwerter. Quelle: KSK

Stück für Stück zerfällt das Positionspapier in seine Teile.

Und dazu baut man auch noch durch Unterschlagen aktueller Entwicklungen zusätzlich ein Bedrohungsszenarium auf:

„Lag der Beitragssatz zwischen 2010 und 2012 lediglich bei 3,9 Prozent, so ist er seit dem Jahr 2014 auf 5,2 Prozent angehoben worden.“ (Positionspapier des VhU, S. 5)

KSK - Abgabesätze. Quelle: KSK

KSK – Abgabesätze. Quelle: KSK

Genauso gut hätte man schreiben können:

„Lag der Beitragssatz 2005 schon bei 5,8 Prozent, so wird er ab dem Jahr 2017 auf 4,8 Prozent fallen.“ (Positionspapier Huflaikhan)

Der Text des Positionspapiers stammt vom 12.8.2016, vier Tage später wurde amtlich bestätigt, dass der Abgabesatz auf 4,8 Prozent sinken wird. Das hätte man ahnen können, weil es bekannt war, wenngleich nicht amtlich, aber wenn man vor dem Termin das Papier raushaut, ist es wohl besser, um die Vorwürfe aufzublasen. Übrigens: Als Grund für die Senkung hieß es:

„Seit zwei Jahren werden die Zahlungen der Unternehmen stärker kontrolliert. Die dadurch gestiegenen Einnahmen haben jetzt die Abgabensenkung ermöglicht.“ [Quelle: nmz-online]

Die blöde Bürokratie, die der VhU anprangert ist jetzt auch noch Schuld daran, dass der Abgabesatz sinkt! Das darf nämlich nicht wahr sein und dem dem VhU nicht genügen. Verständlich, dass man die Zahlen nimmt, die einem ins Konzept passen. Aber sie verlieren bei der Betrachtung des Gesamtzusammenhangs einfach an Bedeutung und werden argumentativ wirkungslos.

Die Presse

Die Presse springt gleichwohl darauf an. Sven Astheimer in der FAZ übernimmt quasi komplett die Argumentation des VhU ohne sie zu kommentieren.

„Die Privilegien in der Sozialversicherung von selbständigen Künstlern und Publizisten bescheren den Unternehmen hohe Bürokratiekosten. Für jeden abgeführten Euro fällt bei den Arbeitgebern ein weiterer Euro an. Das kostet die Wirtschaft rund 250 Millionen Euro im Jahr, wie aus aktuellen Berechnungen der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände hervorgeht. Deren Hauptgeschäftsführer Volker Fasbender dringt gegenüber dieser Zeitung deshalb auf eine Reform des Systems.“ FAZ: Wirtschaft läuft gegen die Künstlersozialkasse Sturm

Nicht nur, dass dabei die dort genannten Zahlen nach oben gebügelt werden (siehe oben – aus 80 Cent werden 1 Euro – statt aus 80 % dieser Studie ohne Quellenangabe), nein, es wird damit wiedergegeben, was nur dieses Positionspapier behauptet. Eigentlich kann der VhU der FAZ nur dafür danken, dass der Autor kostenlos eine Pressemeldung daraus gezimmert hat.

Der Spiegel macht es leider nicht viel besser. Statt auf die Quelle zurückzugreifen, verweist man auf das, was in der FAZ der Volker Fasbender als Hauptgeschäftsführer des VhU gesagt habe. Kommentar: Fehlanzeige.

Ganz unterste Schublade dagegen ist, dass man in dem Zusammenhang dann die Wirtschaft zum Subjekt macht. Nicht der VhU hat das alles gesagt sondern die Wirtschaft. Schlusssatz im Artikel des Spiegels:

„Die Wirtschaft will seit längerem weniger Geld für die KSK zahlen.“

Potztausend. Wie überraschend. Aber wirklich die gesamte Wirtschaft?

Immerhin hat die Süddeutsche Zeitung dem etwas entgegengesetzt. Allerdings nicht sehr viel – auch sie veweist nur auf den FAZ-Artikel, nicht auf das Positionspapier.

„Die Zahl der Versicherten ist stark gestiegen – allein in den vergangenen zwanzig Jahren von rund 80000 auf zuletzt 180 000. Das hängt auch mit der Ausweitung der in Frage kommenden Berufe zusammen, von denen es mittlerweile mehr als hundert gibt.“ [SZ: Wirtschaft greift Privilegien für Künstler und Journalisten an]

Die Nebelkerze ist gezündet

In den sozialen Netzen hat das schon alles zu viel Irritationen geführt. Es wäre sicher hilfreich, wenn aus der Politik schnellstmöglich auf diesen schmallippigen Text des VhU reagiert würde. Aber auch eine Stellungnahme des Deutschen Kulturrates wäre wünschenswert. Denn, wir wissen ja, siehe Pressereaktion, wie sich das seine Bahn ins öffentliche Bewusstsein zieht. Und das alles mit diesen schiefen Argumenten, mit diesen tendenziösen Verweisen.

Eigentlich ja nicht der Rede wert. Aber, was hilfts, wenn sich sonst keiner äußert, machen wir es hier auf dem Sperrsitz.

UPDATES